Die fetten Jahre fangen gerade erst an - und schon bekommt China die Schattenseiten des Wohlstands zu spüren: Jeder zehnte Bürger ist zuckerkrank. Eine dramatische Diagnose. Doch die großen Pharma-Konzerne freut´s.
Westliches Essen in China
© BloombergWestliche Essensgewohnheiten halten Einzug in China.

Es sind im wahrsten Sinne des Wortes schwere Zeiten, vor denen die Mitarbeiter großer US-Firmen stehen - zumindest für die Fülligen unter ihnen. Denn ihr Arbeitgeber stellt sie vor die Wahl: sündigen oder kassieren. Der IT-Konzern IBM etwa zahlt jedem seiner übergewichtigen Angestellten einen Bonus von 150 Dollar - vorausgesetzt, er nimmt den Kampf gegen den Hüftspeck auf. Sport treiben statt faulenzen; Gemüse statt Burger; Frischluft statt qualmen, lautet das Angebot, das übrigens auch für Familienangehörige gilt. Im Kampf gegen die Wohlstandskrankheit Diabetes ziehen die Arbeitgeber alle Register - auch oder vor allem, um die eigenen Kassen zu schonen. Studienergebnisse bei IBM belegen, dass die jährlichen Gesundheitskosten für die Programmteilnehmer um 19 Prozent weniger steigen als die der sündigen Kollegen.

500 Millionen Diabetes-Kranke

Typisch Amerika, möchte man meinen. Zuckersüße Milchshakes, fette Pommes und Burger im XXL-Format gehören auf den Speiseplan der Amis wie die Nationalfl agge in den Vorgarten. Doch die USA sind längst kein Einzelfall. Mit wachsendem Wohlstand breiten sich westliche Ernährungsgepflogenheiten besonders in Boomländern wie China und Indien mit Besorgniserregendem Tempo aus. Nach jüngsten Zahlen der amerikanischen Diabetesgesellschaft IDF (International Diabetes Federation) belegt die Volksrepublik mit rund 90 Millionen Diabetes-Kranken (zehn Prozent der Bevölkerung) inzwischen den traurigen Spitzenplatz - vor Indien (rund 50 Millionen). „Auf jeden HIV-Patienten in der Welt kommen drei Diabetes-Kranke in China“, beschreibt IDF-Experte David Whiting die neue Gefahr.

Laut den Analysten der Danske Bank wächst die Zahl allein im kommenden Jahr um ein Fünftel. Weltweit steigt die Zahl der Betroffenen bis 2030 von rund 250 Millionen (3,6 Prozent der Bevölkerung) auf fast eine halbe Milliarde Menschen. 3,2 Millionen Todesfälle pro Jahr stehen laut der Weltgesundheitsbehörde WHO (World Health Organization) mit Diabetes im Zusammenhang. Damit fordert die Stoffwechselkrankheit mittlerweile genauso viele Opfer wie Aids.

Peking ist alarmiert

Das Analyse- und Wirtschaftsberatungsinstitut Economist Intelligence (EIU) beziffert den Verlust für Chinas Volkswirtschaft auf Grund von Diabetes auf satte 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - selbst für die Wachstumslokomotive China ein schwer verdaulicher Brocken. Die Konsequenz: Die Regierung startet die größte Gesundheitsreform in der Geschichte des Landes. Satte 120 Milliarden Dollar nimmt der Staat zwischen 2009 und 2012 in die Hand, um zwei Ziele zu erreichen: eine Krankenversicherung für jeden der 1,3 Milliarden Chinesen bis 2020 und eine bessere medizinische Grundversorgung. Mittel, die in die Förderung der heimischen Pharma- und Biotech-Industrie und damit in die Entwicklung neuer medizinischer Geräte, Medikamente und Gesundheitszentren fließt. Die Folge: Insbesondere in den ländlichen Gebieten steigt die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen, Krankheiten werden früher erkannt, medizinisches Equipment und Präparate stärker nachgefragt.

Ein staatlich verordneter Wirtschaftsschub, der lokalen wie ausländischen Pharma-Firmen enorme Wachstumsperspektiven eröffnet. „Wir gehen davon aus, dass die Dynamik des chinesischen Pharma-Markts weiter anhalten wird“, sagt Morris Hosseini, Pharma-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants. „Wir halten ein Wachstum von 15 Prozent pro Jahr bis 2015 für nicht unrealistisch.“

Bayer boomt im Reich der Mitte
Insulin spritzen
© ColourboxEine Diabetikerin spritzt Insulin

Aussichten, die vor allem die Big Player der Pharma-Branche aufhorchen lassen - Konzerne wie der US-Hersteller Abbott Laboratories, die dänische Novo Nordisk oder Bayer. Allesamt Platzhirsche ihrer Branche mit bereits starkem China-Geschäft, einer klaren Stoßrichtung in die Emerging Markets und Produkten im Sortiment, die unter anderem die Volkskrankheit Nummer eins bekämpfen sollen: Diabetes. „80 Prozent aller städtischen Todesfälle in China gehen auf Bluthochdruck, Diabetes und Herz-Kreislauf- Erkrankungen zurück“, betont Bayer-Vorstandschef Marjin Dekkers die Bedeutung Chinas für den Pharma-Riesen aus Leverkusen.

Milliardeninvestintionen in China

Um die Kunden noch enger an die ohnehin schon starke Marke zu binden, stockt Dekkers die Investitionen im Land bis 2016 um eine weitere Milliarde auf insgesamt mehr als drei Milliarden Euro auf, baut moderne Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in Shanghai und Peking aus und verlagert zwei der 15 Hauptverwaltungen in die Volksrepublik.

Kein Wunder: Mit einem Gesamtumsatz von 2,9 Milliarden Euro wurde „Great China“ - China, Hongkong und Taiwan - 2010 für Bayer zum drittgrößten Einzelmarkt weltweit. „Das hat all unsere Prognosen übertroffen“, schwärmt der Manager.

Aufbruch Ost heißt es auch beim Diabetes-Marktführer Novo Nordisk. Die Dänen kommen im weltweiten Markt für Insulin auf einen Anteil von mehr als 50 Prozent. Umsatz und Gewinn kennen seit Jahren nur eine Richtung: aufwärts. Dieses Jahr erhielt der Konzern die Zulassung für das Diabetes-2-Mittel Victoza in China - ein Meilenstein bei der Expansion ins Reich der Mitte.

Alterung treibt die Nachfrage

Schon jetzt beherrscht Novo Nordisk zusammen mit der französischen Sanofi-Aventis und dem US-Hersteller Eli Lilly rund 80 Prozent des Marktes. Und der wird für den Insulinhersteller immer wichtiger: Erstens, weil sich die Insulinnachfrage in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelte, und zweitens, weil die Chinesen nicht nur kränker, sondern immer älter werden. Zwischen 2006 und 2010 vollendeten 46 Millionen Chinesen das 50. Lebensjahr.

Bis 2020 kommen laut Roland Berger weitere 180 Millionen Menschen dazu. „Der Wechsel des Lebensstils, also Bewegungsmangel und falsche Ernährung, ist das eine“, sagt Leander Fortmann, Direktor des Beratungsunternehmens Novumed. „Zum anderen rächt sich jetzt die jahrzehntelange 1-Kind-Politik Chinas, die zu einer rapiden Alterung der Gesellschaft führt.“

Wachstum durch Zukäufe

Die großen Player wissen ihre Chance zu nutzen. Beispiel: Abbott Labaratories. Wie in der Branche üblich, stärken auch die Amis die Präsenz vor Ort durch Investitionen in neue Werke oder Zukäufe starker lokaler Anbieter. Beispielsweise durch die Übernahme der belgischen Solvay Pharmaceutical, ein Spezialist für Herzerkrankungen, der besonders in den Schwellenländern einen Großteil seiner Produkte verkauft.

Kurz zuvor stieg Abbott mit dem zwei Milliarden Dollar teuren Zukauf der indischen Piramal Healthcare 2010 über Nacht zum größten Pharma-Konzern auf dem Subkontinent auf. Für die Analysten von First Global die Bestätigung ihrer Top-Empfehlung: „Die Expansionsstrategie in Richtung Schwellenländer - insbesondere durch Solvay und Piramal - wird für Abbott auf kurze bis mittlere Sicht zu einem immer wichtigeren Wachstumstreiber werden.“