Tripolis - Muammar Gaddafi ist nach vier Jahrzehnten an der Macht in Libyen am Ende.

Rebellen kämpften sich trotz heftigen Widerstands am Montag in Tripolis bis zum Anwesen des 69-Jährigen vor. "Hier wird überall geschossen", sagte ein Rebellen-Offizier der Nachrichtenagentur Reuters. Panzer Gaddafi-treuer Truppen seien vor dem Komplex aufgefahren. Die größte Gefahr aber gehe von Heckenschützen aus. Der Verbleib von Gaddafi war zunächst unbekannt. Zwei seiner Söhne wurden von Aufständischen festgenommen.

Westliche Staatschefs forderten, Gaddafi müsse vor Gericht gestellt werden. Die Aufständischen riefen sie dazu auf, auf Rache zu verzichten. Außerdem stellten sie Hilfen für den Aufbau eines demokratischen Staatswesens in Aussicht. Auch wurden erste Schritte unternommen, um die Ölindustrie wieder zum Laufen zu bringen.

Sonntagnacht hatten Rebellen den symbolbeladenen Grünen Platz im Herzen von Tripolis eingenommen. Hier hatte die Regierung immer wieder Kundgebungen veranstaltet, die die angebliche Beliebtheit Gaddafis im Volk demonstrieren sollten. Kämpfer und Anwohner feierten mit überbordender Freude die Einnahme des Platzes, obwohl in anderen Stadtteilen weitergekämpft wurde. Fahnen der Rebellen wurden geschwenkt, Freudenschüsse in den Nachthimmel abgegeben, der Platz wurde in "Platz der Märtyrer" umbenannt. Keine Grenzen kannte auch der Jubel in der Rebellenhochburg Benghasi, dem Sitz des Nationalen Übergangsrates.

HÄUSERKAMPF IN TRIPOLIS

In Tripolis kämpften sich die meist in Zivil gekleideten Truppen der Aufständischen Haus für Haus vor und versuchten, Scharfschützen auszuschalten. Aus dem Regierungsviertel heraus starteten Gaddafi-treue Truppen einen Gegenangriff mit Panzern und Kleinlastern mit Maschinengewehren auf der Ladefläche. "Die schossen wahllos in alle Richtungen immer wenn sie Gewehrfeuer hörten", berichtete der Sprecher der Rebellen, Nouri Echtiwi.

"Gaddafi ist am Ende. Wir sind nun frei", sagte ein Rebellenkämpfer mit Namen Abdullah Reuters, der mit seinen Kameraden Stellungen in westlichen Stadtteilen sicherte. Nach Angaben der Rebellen forderten die Kämpfe in Tripolis, der Hochburg Gaddafis, einen hohen Blutzoll.

Am Wochenende hatten die Aufständischen in einer sorgfältig geplanten Offensive Tripolis bereits zu großen Teile eingenommen. In der Nacht zum Sonntag stießen sie aus drei Richtungen gegen Tripolis vor, zeitgleich erhoben sich die Rebellen in der Stadt. Gaddafi hatte zuvor in offensichtlicher Verkennung seiner so gut wie aussichtslosen Lage den Rebellen Verhandlungen angeboten, die diese ausschlugen. In einer Radio-Ansprache rief er die Einwohner von Tripolis zum Kampf gegen die Rebellen auf, die er als "Ratten" bezeichnete.

Gaddafis Verbleib war unklar. Südafrika dementierte, es habe ein Flugzeug geschickt, das Gaddafi ins Exil bringen solle. Gaddafis Sohn Saif al-Islam wurde von Rebellen festgenommen. Auch der Internationale Gerichtshof bestätigte die Festnahme. Der Rebellenrat teilte auch mit, Gaddafis ältester Sohn Mohammed habe sich ergeben. Dem Sender Al-Dschasira sagte Mohammed, Bewaffnete hätten sein Haus umstellt, er und seine Familie seien unversehrt. Der libysche Ministerpräsident Al Baghdadi Ali al-Mahmudi setzte sich nach einem Bericht des Senders Al-Dschasira nach Tunesien ab.

HÖHEPUNKT DER ARABISCHEN REVOLTEN

Mit dem Fall Gaddafis hat der Arabische Frühling einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, nachdem im Februar Ägyptens damaliger Präsident Husni Mubarak vom Militär fallengelassen wurde und einem Volksaufstand weichen musste. Den Freiheitsbewegungen in der Region dürfte der Sieg über Gaddafi deutlichen Auftrieb geben.

Mit dem Machtverlust Gaddafis hat die Nato ihr Ziel erreicht, die mit stetigen Luftangriffen den Vormarsch der Rebellen entscheidend unterstützt hat. Lange Zeit drohte in den vor sechs Monaten ausgebrochenen Kämpfen ein militärisches Patt, nachdem sich die Fronten festgefahren hatten. Westliche Politiker wie der britische Premierminister David Cameron und Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle forderten, Gaddafi müsse vor Gericht gestellt werden. Ob Gaddafi im eigenem Land oder vor einem internationalen Gerichtshof der Prozess gemacht werde, müssten die Libyer entscheiden, sagte Westerwelle.

Cameron appellierte an die Rebellen, auf Vergeltungsmaßnahmen zu verzichten. Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt warnte, es bestehe das Risiko von Rache und unkontrollierter Gewalt. Beobachter befürchten zudem nach dem endgültigen Sieg über Gaddafi könnten im ohnehin angeknacksten Bündnis der Rebellen Kämpfe um Macht und Ressourcen ausbrechen. Libyen hat keine gewachsenen staatlichen Strukturen, die denen westlicher Demokratien vergleichbar sind. Es gibt keine unabhängige Verwaltung und Justiz. Traditionell sind die Stämme ein großer Machtfaktor. Daneben dürften auch Staatseliten und bislang oppositionelle Gruppen versuchen, ihren Einfluss auszubauen.

Nach Ansicht der Experten Annegret Bendiek und Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik müsste sich auch der Rebellenrat umorganisieren, da in ihm Vertreter des Nordostens überrepräsentiert sind. Den westlichen Staaten empfehlen die Experten, der Versuchung zu widerstehen, in die Regierungsbildung einzugreifen. Dies könnte den Übergangsprozess diskreditieren. Zwar könne es bei den zu erwartenden Machtkämpfen einen Bedarf für ausländische Vermittlung geben, nicht aber für externe Versuche, die führenden Akteure zu bestimmen.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärte, sein Land werde weiterhin den Übergangsrat der Rebellen unterstützen und lud dessen Vorsitzenden Mahmud Dschibril zu einem Besuch am kommenden Mittwoch nach Paris ein. Großbritannien und Deutschland versicherten, eingefrorene libysche Finanzmittel so schnell wie möglich freizustellen. Westerwelle bekräftigte, Deutschland wolle dem nationalen Übergangsrat 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Damit soll die Zeit überbrückt werden, bis die im Ausland eingefrorenen libyschen Gelder der neuen Regierung zur Verfügung gestellt werden können. Zunächst aber müssten die innenpolitischen Verhältnisse geklärt werden.

Deutschland sagte Hilfe beim Wiederaufbau des Landes zu. Voraussetzung sei aber, dass die Hilfe gewünscht sei, sagte Westerwelle.