Schönheiten nach heutigem Maßstab waren die Neandertaler nicht, oder es müssten sich jene Forscher schon sehr geirrt haben, die das Erscheinungsbild der vor etwa 30000 Jahren ausgestorbenen Menschenart rekonstruierten. Dass dicke Augenwülste und mächtige Kiefer Homo sapiens jedoch noch lange nicht dazu berechtigen, seinen ausgestorbenen Verwandten mit Herablassung zu betrachten, daran erinnert nun eine Studie des Immunologen Laurent Abi-Rached von der Stanford University und seinen Kollegen (Science, online). Ihren Analysen zufolge kann sich der moderne Mensch vor allem deshalb gegen die Übermacht krankmachender Bakterien und Viren wehren, weil ihm vor 65000 bis 45000 Jahren zumindest für einen kurzen Augenblick Augenwülste und vorspringende Unterkiefer egal waren und er sich mit dem Neandertaler paarte. Etwa im gleichen Zeitraum hatte Homo sapiens außerdem mit einer weiteren Menschenform Sex, dem Denisova-Menschen. Er lebte unter anderem im heutigen Sibirien; über sein Erbgut berichteten Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie im vergangenen Dezember.

Diesen artübergreifenden Paarungen verdanke der moderne Mensch einen wichtigen Teil seines Immunsystems, schreibt das Team um Abi-Rached. Das menschliche Immunsystem besteht unter anderem aus Proteinen des sogenannten HLA-Systems (für Human Leucocyte Antigen), die wichtig sind für die Abwehr von Krankheitserregern. Da sich Bakterien und vor allem Viren extrem schnell verändern können, muss auch das HLA-System sehr vielfältig sein. Einige Varianten treten bei Menschen je nach Region unterschiedlich häufig auf. Zum Beispiel wissen Forscher von einer Genvariante, die bei Afrikanern extrem selten ist, bei Menschen im heutigen Sibirien jedoch auffallend häufig vorkommt. Diese spezielle Genvariante sei durch die Kreuzung mit dem Denisova-Menschen in das Erbgut von Homo sapiens gelangt, schließen die Forscher aus ihren Analysen. Bezogen auf sein gesamtes Genom, stammen bis zu neun Prozent des Erbguts heutiger Menschen vom Neandertaler beziehungsweise dem Denisova-Menschen. Der Anteil könne in den für das Immunsystem zuständigen Abschnitten jedoch viel höher sein, schreiben die Forscher.

Noch ist die These nicht endgültig belegt, wonach der moderne Mensch einen wichtigen Teil seines Immunsystems dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen verdankt. Die Studienautoren hätten alle anderen Erklärungsmöglichkeiten außer Acht gelassen, kritisiert der renommierte Genetiker David Reich von der Harvard University in der Zeitschrift Science. Hingegen hält der Immunologe John Trowsdale von der University of Cambridge 'die Tatsache, dass diese Gene in den modernen Menschen übergesprungen sind, für eine sehr attraktive Interpretation'.