Der größte Regenwald der Erde ist weitaus weniger unberührt als angenommen: Sogar im Landesinneren betrieb bis zu eine Million Menschen Ackerbau, berichten britische Archäologen.

Kreisförmige Strukturen in der Nähe von Dörfern
© Exeter University
Hunderte Dörfer, deren prosperierende Einwohner sich vom Ackerbau ernährten und sich in unterschiedlichen Sprachen verständigten: Teile des Amazonas-Regenwaldes waren einst dicht bewohnte Kulturlandschaften. Das berichtet ein Archäologenteam der britischen Universität Exeter anhand von Ausgrabungen im Bundesstaat Staat Mato Grosso im Landesinneren von Brasilien.

Der Amazonas ist der wasserreichste Fluss der Erde, der tropische Regenwald der größte verbliebene Urwald der Welt. Archäologische Untersuchungen legen nahe, dass hier seit mindestens 11.200 Jahren Menschen leben. Lange hatten Wissenschafter jedoch angenommen, dass die Region nur spärlich besiedelt war, weil die nährstoffarmen Böden keinen Ackerbau zuließen. Später entdeckte man, dass sich vor allem in Wassernähe Gemeinschaften ansiedelten, die die Region bis zur Ankunft der Europäer intensiv nutzten. Nun berichten Forscher im Fachmagazin "Nature Communications", dass die Menschen sogar im Landesinneren sesshaft wurden. Ihnen zufolge lebten einst bis zu eine Million Menschen mitten im Regenwald.

"Die weit verbreitete Annahme, dass der Regenwald in weiten Teilen unberührt war und in erster Linie Nomaden beherbergte, ist ein Missverständnis. Besonders im Landesinneren lebten viel mehr Menschen als angenommen und die Spuren ihrer Aktivitäten finden wir heute noch", erläutert der Archäologe Jonas Gregario de Souza von der Universität Exeter in einer Aussendung zur Studie.

Weite Teile des Amazonas-Gebiets sind archäologisch kaum erforscht, insbesondere entlegene Gebiete abseits der Küsten. Mit seinen Ausgrabungen schließt das Forschungsteam eine Lücke in der Geschichte des tropischen Regenwalds.

Gregario de Souza und seine Kollegen fanden die Überreste befestigter Dörfer und mysteriöse, großflächig auf dem Erdboden geformte Linien. Solche kreisförmigen, quadratischen und hexagonalen Figuren werden Geoglyphen genannt. Die Experten wissen nicht, wozu die seltsamen Geoglyphen dienten, da die meisten offenbar nicht bewohnt waren. Sie gehen somit davon aus, dass sie bei spirituellen Zeremonien zum Einsatz kamen.

Weiters analysierten die Forschenden Objektfunde, etwa die Überreste von Kohle und Töpferei. Die zusammengenommenen Daten ergeben, dass eine Strecke von 1800 Kilometern im Südamazonas zwischen den Jahren 1250 und 1500 ständig bewohnt war. Gregario de Souza und seine Kollegen gehen davon aus, dass es zwischen 1000 und 1500 befestigte Dörfer gegeben haben müsse, von denen bisher nur ein Drittel entdeckt worden sei. Das Team nimmt überdies an, dass 1300 Geoglyphen auf einer Fläche von 400.000 Quadratkilometern im Südamazonas zu finden sind. Im nun untersuchten Gebiet wurden deren 81 gefunden.

Netzwerk von Dammstraßen verbindet die Dörfer

Viele der Dörfer wurden in unmittelbarer Nähe der seltsamen Bodenlinien angelegt. Die Geoglyphen sind durch ein Netzwerk von Dammstraßen verbunden, von denen einige aufwendig und über viele Jahre konstruiert wurden. Laut den Forschern wurden die Bauarbeiten bei Dürren durchgeführt. Wenn der Regen ausblieb, wurden Teile des Dschungels abgeholzt um Platz für Getreide und Obstbäume zu machen, für die der Boden auch in trockenen Zeiten fruchtbar genug war. Die Bodenbewirtschaftung ermöglichte die Land- und Forstwirtschaft.

Der Amazonas-Regenwald reguliert das Weltklima. Die moderne Landnutzung fügt den Wäldern jedoch immense Schäden zu. Zusätzliches Wissen über ihre Geschichte könnte der Menschheit ermöglichen, nachhaltige Zukunftsentscheidungen zu ihrem Schutz zu treffen. "Wir sind hocherfreut über diesen Reichtum an archäologischen Nachweisen", sagt Ko-Autor Jose Iriarte zu dem vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekt: "Die meisten Schätze sind noch nicht einmal ausgegraben. Sie werden helfen, die Historie des größten Regenwaldes zusammenzusetzen."