Geladene Mikroben - bereits seit einiger Zeit beschäftigen sich Wissenschaftler mit diesen skurril wirkenden Wesen, denn ihr Potenzial hat Potenzial: Es ist bereits gelungen, elektrogene Bakterien anzuzapfen, um biologische Batterien zu entwickeln. Warum einige Mikroben Spannung erzeugen, ist klar. Letztlich ist es der gleiche Grund, aus dem wir Sauerstoff atmen: Während Tiere und Pflanzen die Elektronen innerhalb der Mitochondrien jeder Zelle auf Sauerstoff übertragen, exportieren die elektrogenen Bakterien sie aus ihren Zellen. In geologischen Umgebungen reagieren sie dort mit Metallen wie Eisen oder Mangan.
Bisher ging man davon aus, dass elektrogene Bakterien nur in bestimmten sauerstoffarmen Lebensräumen vorkommen. Nun hat sich das Spektrum dieser Kategorie von Mikroben deutlich erweitert, denn offenbar sind auch viele bereits bekannte Bakterien elektrogen. Zu Beginn ihrer Studie haben die Forscher der University of California in Berkeley die elektrogenen Merkmale zunächst bei dem Bakterium Listeria monocytogenes festgestellt. Diese Mikrobe ist als Erreger der Listeriose bekannt, die beim Menschen zu Magen-Darm-Beschwerden führen kann.
Spannende Listerien
Wie die Forscher feststellten, erzeugen Kulturen von L. Monocytogenes elektrischen Strom, wenn sie sich in einer elektrochemischen Kammer befinden, in der eine Elektrode Elektronen einfängt. Weitere Untersuchungen bestätigten, dass es sich tatsächlich um einen Effekt handelt, der auf elektrogenen Merkmalen dieser Bakterien beruht. Offenbar verwenden sie das System aber nur, wenn es notwendig ist - etwa wenn die Sauerstoffkonzentrationen niedrig sind. Messungen ergaben, dass sie dann etwa gleich viel Leistung entwickeln wie die bisher bekannten Vertreter der elektrogenen Bakterien.
Wie weitere Untersuchungen zeigten, basiert die Erzeugung von Spannung bei L. monocytogenes allerdings auf einem bisher unbekannten Konzept. Grundsätzlich erfordert die Übertragung von Elektronen aus der Zelle eine Kaskade spezieller chemischer Reaktionen, erklären die Forscher. Ihren Ergebnissen zufolge ist das neu entdeckte extrazelluläre Elektronentransfersystem einfacher als die bereits bekannte Transferkette. Dies liegt daran, dass es sich bei L. monocytogenes um ein gram-positives Bakterium mit einer einschichtigen Hülle handelt, so die Forscher. Die bisher bekannten elektrogenen Mikroben gehören hingegen den gram-negativen Bakterien an - bei ihnen müssen die Elektronen zwei Lipidmembranen in der Zellhülle überwinden. Den Untersuchungsergebnissen zufolge spielt bei dem neuentdeckten Konzept die Substanz Flavin die Hauptrolle beim Transfer. Bei den bisher bekannten elektrogenen Bakterien sind hingegen komplexere Substanz-Systeme am Werk.
Hunderte geladene Bakterienarten
Im Rahmen ihrer Studie identifizierten die Forscher auch genetische Faktoren, die für die elektrogenen Fähigkeiten von L. monocytogenes zuständig sind. Dies eröffnete wiederum die Möglichkeit, auch bei anderen Bakterien nach diesem bisher unentdeckten Merkmal zu suchen. So zeichnete sich ab: Offenbar nutzen hunderte gram-positive Mikrobenarten dieses System. Bei einigen bestätigten die Forscher dies auch durch Tests in elektrochemischen Kammern.
Wie sie berichten, handelt es sich bei vielen dieser geladenen Bakterien um Vertreter der natürlichen Darmflora des Menschen - andere sind wiederum als Krankheitserreger bekannt.
"Die Ergebnisse könnten nun Licht auf Fragen werfen, wie diese Bakterien uns infizieren beziehungsweise uns helfen, einen gesunden Darm zu erhalten",sagt Co-Autor Dan Portnoy. Andere der neu identifizierten Elektro-Bakterien sind hingegen für die Fermentierung von Nahrungsmitteln wie Joghurt oder Sauerkraut verantwortlich, sagen die Forscher. Ihnen zufolge spielt der Elektronentransport möglicherweise sogar eine Rolle für die Entwicklung des Geschmacks von fermentierten Lebensmitteln.
Wie die Wissenschaftler betonen, gibt es nun noch einige spannende Fragen zu klären - etwa wann die Bakterien auf den "Elektro-Betrieb" umschalten und warum. Auch Nutzungsmöglichkeiten der Mikroben in biologischen Batterie-Systemen zeichnet sich ab. "Dies ist ein buchstäblich spannender Teil der Physiologie von Bakterien, von dem man bisher nichts wusste", resümiert Erstautor Sam Light von der University of California in Berkeley. Es scheint sich demnach nun ein ganzes Feld an Forschungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Quelle: University of California - Berkeley, Nature, doi 10.1038/s41586-018-0498-z
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