Wie verändert Corona den Alltag armer Kinder? Wie und wo leben sie in Deutschland? Ein Blick auf die Lebensrealität von Armut betroffener Kinder in sieben Zahlen
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Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder aus sozial benachteiligten Familien nicht mehr erreichen, wenn die Schulen geschlossen sind, Kinder, die von zu Hause aus nicht am Unterricht teilnehmen können, weil die Eltern zu arm sind, um einen Computer zu kaufen. Bildungsforscher, Lehrerinnen und Kultusminister machten sich in den Monaten des Lockdowns Sorgen. Diese Ängste sind nun teilweise mit Zahlen belegt. Die Corona-Krise lässt ungelöste strukturelle Probleme sichtbarer werden, die schon lange bestehen: 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche wachsen in Deutschland in Armut auf oder sind davon gefährdet. Bildungschancen sind ungleich verteilt. Corona kann die Situation jedoch noch verschärfen. Homeschooling ist für viele der armen Kinder bislang nicht realisierbar. Das hat jetzt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung untersucht. Ein Blick auf die Lebensrealität armer Kinder in sieben Zahlen.

Fast die Hälfte der Kinder in Armut lebt in Wohnungen mit zu wenigen Zimmern und zu wenig Platz. Jedes vierte hat keinen Computer oder kein Internet zur Verfügung und etwa jedem siebten fehlt ein ruhiger Ort zum Lernen zu Hause. Unterricht ohne den Ort Schule ist für diese Kinder kaum möglich. Damit einher gehen weitere Einschränkungen im täglichen Leben: In den meisten dieser Familien können abgenutzte Möbel nicht ersetzt werden, sie können nichts sparen oder zurücklegen, haben kein Auto und fahren nicht in den Urlaub.

Die Lage wird sich in den kommenden Monaten zuspitzen, heißt es in der Studie: Die durch die Corona-Krise ausgelöste Rezession werde viele finanziell bereits schlechter gestellte Familien erst in die Armut treiben. Und die Armut werde sich in den jetzt schon armen Familien verstärken. Besonders Alleinerziehende und kinderreiche Familien werde das hart treffen.

Knapp 20 Prozent der Familien mit drei oder mehr Kindern beziehen Sozialleistungen. Bei Alleinerziehenden mit mindestens drei Kindern sind es sogar zwei Drittel. Die Armut steigt mit der Kinderzahl.

53 Prozent - so groß ist der Anteil der Alleinerziehenden unter den Familien, die Sozialhilfe beziehen - obwohl insgesamt nur ein Fünftel der Eltern in Deutschland alleinerziehend sind. Ihr Armutsrisiko ist um ein Vielfaches höher und sie sind noch weitaus abhängiger von der Kinderbetreuung als Familien mit zwei Elternteilen. Nur mit einer Kita oder der Schule haben sie die Chance, arbeiten zu gehen. Ab 2025 soll es einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung im Grundschulalter geben. Das hätte berufstätigen Alleinerziehenden während des Corona-Lockdowns allerdings nicht geholfen, weil Schulen und Kindergärten geschlossen waren. Ob sie nach den Ferien wirklich wieder ganz öffnen, hängt vom Infektionsgeschehen ab.

Kinderlose Familien in vergleichbarer finanzieller Situation sind besser gestellt, daran ändern auch Kindergeld und andere familienfördernde Maßnahmen nichts. Mit dem Starke-Familien-Gesetz ist Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) im vergangenen Jahr angetreten, Bildungsangebote auszubauen und Teilhabechancen zu erhöhen. Kritiker - wie die Autoren der Bertelsmann-Stiftung - finden das unzureichend und fordern eine sogenannte Kindergrundsicherung und ein Teilhabegeld statt einer Berücksichtigung der Kinder im Hartz-IV-System. Damit hätten Kinder selbst einen Anspruch auf finanzielle staatliche Unterstützung und würden nicht über Zahlungen und Vergünstigungen für die Eltern abgerechnet werden.

Zwei von drei armen Kindern sind nicht nur kurzzeitig in finanzieller Not, sondern mindestens fünf Jahre ihrer Kindheit. Jedes zweite dieser Kinder macht sich Sorgen darüber, wie viel Geld seine Familie hat.

Hier 2 Prozent, da 40 Prozent: Während in Ebersberg in Bayern nur etwa zwei von hundert Kindern von Armut betroffen sind, sind es in Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen mehr als 40 Prozent der Unter-18-Jährigen. Zwischen den einzelnen Regionen gibt es große Unterschiede. Besonders hoch ist der Anteil der armen Kinder auch in Stadtstaaten wie Berlin und Bremen, besonders niedrig im Südosten Deutschlands.

Insgesamt liegt die Zahl der Kinder in Armut seit Jahren mehr oder weniger stabil bei etwa 20 Prozent - auch in Zeiten wirtschaftlicher Hochs der vergangenen Jahre hat sie also nicht signifikant abgenommen.