Der Medizin-Professor Matthias Schrappe kritisiert das Vorgehen der Bundesregierung und des RKI und hält manche Ziele als "völlig irreal".

matthias schrappe
© ZDF
"Ein Ziel von 50 pro 100.000 Einwohner ist ein völlig irreales Ziel", sagte Medizin-Professor Matthias Schrappe gegenüber Bild.de (Artikel hinter Bezahlschranke). Dieses Ziel werde man in den Wintermonaten nicht erreichen, blickte er voraus. Des Weiteren sei es keine gute Politik ein solches Ziel vorzugeben, wie Bild.de den Mediziner zitiert.. "Die Bevölkerung wird in einen Dauer-Schockzustand versetzt", formulierte es Schrappe deutlich.

Sollte die Politik eine Sieben-Tage-Inzidenz von 50 oder 35 dauerhaft unterschreiten wollen, warnt Schrappe vor einem "unendlichen Lockdown". Seiner Ansicht nach sei der Zustand, in dem sich Deutschland befindet, "keine Welle, die man brechen kann", sondern "ein kontinuierliches Anwachsen."
Es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Regierung bewusst oder unbewusst den Zustand eines solchen Dauerschocks erreichen möchte, damit die Bevölkerung leichter zu lenken und zu kontrollieren ist. Dazu ein Auszug aus Naomi Kleins Buch Die Schock-Strategie:
Folter als Metapher

Von Chile über China bis zum Irak war Folter ein stummer Partner beim globalen Kreuzzug des freien Marktes. Folter ist jedoch mehr als nur ein Mittel, rebellischen Völkern eine ungewollte Politik aufzuzwingen; sie ist auch eine Metapher für die der Schockdoktrin zugrundeliegende Logik.

Unter Folter - oder in der verblümten Sprache der CIA: »Zwangsbefragung« - versteht man eine Reihe von Techniken, Gefangene zutiefst zu verwirren und in einen Schockzustand zu versetzen, um sie so zu zwingen, gegen ihren Willen Zugeständnisse zu machen. Die dahinterstehende Logik ist in zwei CIA-Handbüchern dargelegt, die seit Ende der neunziger Jahre nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen. Dort wird erklärt, dass man »resistente Quellen« zerbricht, indem man den Gefangenen gewaltsam die Fähigkeit nimmt, sich einen Reim auf die Welt um sie herum zu machen. Zunächst wird die Sinneswahrnehmung jeden Eindrucks beraubt (mit Kopfhauben, Ohrstöpseln, Fesseln, vollständiger Isolierung), dann wird der Körper mit überwältigenden Stimuli bombardiert (Stroboskopblitzen, plärrender Musik, Schlägen, Elektroschocks).

Ziel dieser »Weichklopf«-Phase ist, im Gehirn so etwas wie einen Wirbelsturm zu provozieren: Die Gefangenen regredieren so sehr und haben so viel Angst, dass sie nicht länger rational denken oder ihre Interessen schützen können. In diesem Schockzustand geben die meisten dem Vernehmungspersonal, was immer dieses will - Informationen, Geständnisse, Leugnen früherer Überzeugungen. Eines der CIA-Handbücher bietet eine besonders prägnante Erklärung: »Es gibt ein Intervall - das extrem kurz sein kann -, in dem der Atem aussetzt, eine Art psychischer Schock oder eine Lähmung eintritt. Es wird von einem traumatischen oder subtraumatischen Erlebnis verursacht, das sozusagen die dem Verhörten vertraute Welt und auch das Bild seiner selbst in dieser Welt sprengt. Erfahrene Vernehmer erkennen diesen Effekt, wenn er sich einstellt, und wissen, dass in diesem Moment die Quelle für Vorschläge viel offener ist, viel eher kooperieren wird, als unmittelbar vor dem Schockerlebnis

Die Schockdoktrin ahmt diesen Prozess exakt nach und versucht, bei der Masse das zu erreichen, was die Folter mit dem Einzelnen im Vernehmungsraum anstellt. Das deutlichste Beispiel war der Schock des 11. September, der für Millionen Menschen »die vertraute Welt« sprengte und eine Periode weitgehender Desorientierung und Regression einleitete, die die Regierung Bush meisterhaft ausnutzte. Plötzlich lebten wir in so etwas wie einem Jahr null, in dem alles, was wir zuvor über die Welt wussten, als das »Denken vor dem 11.9.« verworfen werden konnte. Wir Nordamerikaner, die noch nie viel von Geschichte verstanden, wurden zu einer Tabula rasa, einem weißen Stück Papier, auf das »die neuesten und wunderschönsten Worte geschrieben werden können«, wie Mao über sein Volk sagte. Sofort materialisierte sich eine neue Expertenarmee, die neue und wunderschöne Worte auf die weiße Leinwand unseres posttraumatischen Bewusstseins pinselte: »Kampf der Kulturen«, schrieben sie, »Achse des Bösen«, »Islamofaschismus«, »Heimatschutz«. Da die Gedanken aller nur noch um tödliche neue Kulturkriege kreisten, konnte die Regierung Bush durchziehen, wovon sie vor dem 11. September nur hatte träumen können: im Ausland privatisierte Kriege führen und zu Hause einen korporatistischen Sicherheitskomplex aufbauen.

So funktioniert die Schockdoktrin: Das ursprüngliche Desaster - der Staatsstreich, der Terroranschlag, der Zusammenbruch der Märkte, der Krieg, der Tsunami, der Hurrikan - versetzt die gesamte Bevölkerung in einen kollektiven Schockzustand. Die fallenden Bomben, die Gewaltausbrüche, die hämmernden Sturmböen klopfen ganze Gesellschaften genauso weich wie plärrende Musik und Schläge in der Folterkammer die Gefangenen. Wie der terrorisierte Gefangene, der die Namen von Kameraden verrät und seinen Glauben widerruft, geben schockierte Gesellschaften oft Dinge auf, die sie ansonsten vehement verteidigen würden. Jamar Perry und die mit ihm Evakuierten vor der Baracke in Baton Rouge sollten ihre Sozialwohnungen und öffentlichen Schulen aufgeben. Nach dem Tsunami sollten die Fischer auf Sri Lanka ihre wertvollen Grundstücke an der Küste Hoteliers überlassen. Die Iraker, wäre alles nach Plan verlaufen, sollten so geschockt und entsetzt sein, dass sie die Kontrolle über ihre Ölvorräte, ihre Staatsunternehmen und ihre Souveränität amerikanischen Militärbasen und »Grünen Zonen« überlassen hätten.