Bisher war sich die Wissenschaft nicht sicher, ob der uns nahe verwandte Neandertaler die Fähigkeit zur menschlichen Sprache besaß und ob er diese verstehen konnte. Eine neue Studie legt jetzt zumindest den Schluss nahe, dass der Neandertaler zumindest physiolgisch dazu imstande gewesen sein sollte.
Schädel Mensch Neandertaler Gehör
© Mercedes Conde-Valverde / Binghamton University3D-Rekonstruktion der Innenohrstrukturen im Schädel moderner Menschen (l.) und des Neandertalers „Amud1“ (r.).
Im Fachjournal "Nature, Ecology & Evolution" (DOI: 10.1038/s41559-021-01391-6) berichtet das Team um Mercedes Conde-Valverde von der Universidad de Alcalá und Rolf Quam von der Binghamton University, wird die Frage, ob die menschliche Form der Kommunikation, die gesprochenen Sprache, einst auch anderen Menschenarten und im speziellen unseren nächsten Verwandten, den Neandertalern, möglich und zu eigen war.
Hintergrund

Noch bei den meisten Primaten, selbst bei Schimpansen sowie bei verschiedenen frühen Menschenvorfahren wie etwa dem Australopithecus africanus waren die Innenohren noch nicht derart geformt, dass diese die Frequenzbandbreite der menschlichen Sprache besonders gut auflösen konnten. Selbst die Ohren des nun ebenfalls analysierten Homo heidelbergensis, einer Menschenart aus der mittleren Altsteinzeit, waren noch ähnlich ungeeignet zum Hören von Sprache.
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Die Analyse scheint die Fähigkeit des Neandertalers, das Frequenzspektrum der menschlichen Sprache gehört zu haben, nahezulegen.
Anhand von CT-Scans erstellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und 3D-Modelle der Innenohrstrukturen verschiedener Neandertaler-Schädel, fossiler Schädel des Homo heidelbergsens aus der Höhle Sima de los Huesos und frühgeschichtlicher Menschen-Schädel. Mit den Modellen konnten die Forschenden dann simulieren, bis zu welchen Frequenzen die Arten hören konnten und stellten fest, dass Neandertaler - im Gegensatz zu ihren Vorfahren - bis zu 5 kHz und damit deutlich innerhalb der Bandbreite der menschlichen Sprache hören konnten. Die Analysen zeigen sogar, dass Neandertaler innerhalb der Bandbreite der menschlichen Sprache von 3,5-5 kHz besonders gut hörten.
Neandertaler Gehör Frequenz
© Mercedes Conde-Valverde / Binghamton UniversityRekonstruktion der Hörmuster moderner Menschen (Homo sapiens) von Neandertalern und Homo heidelbergensis (Sima de los Huesos) auf der Grundlage der Innenohr-Anatomie. Deutlich zu erkennen ist die Ähnlichkeit zwischen Menschen und Neandertalern im Vergleich zu den Funden aus Sima de los Huesos.
Auf diese Weise können die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nun zeigen, dass beide Menschenarten zumindest anatomisch in der Lage waren, einander akustisch unmittelbar zu verstehen. (Anm. GreWi: Dieser Aspekt wird bei der Untersuchung möglicher Kontakt- und Kommunikationsszenarien mit einer außerirdischen Intelligenz oft übersehen). "Das Vorhandensein ähnlicher Hörfähigkeiten, besonders der ähnlichen Frequenzbandbreite, zeigt, dass Neandertaler über ein Kommunikationssystem verfügten, das genau so komplex und effizient war wie die menschliche Sprache.

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Anscheinend könnte "die Sprache der Neandertaler" deutlich mehr Konsonanten aufgewiesen haben.
Ein weiteres interessantes Ergebnis der aktuellen Analyse sei zudem die Erkenntnis, dass einhergehend mit der Frequenzbandbreite die mögliche Neandertaler-Sprache vermutlich aus deutlich mehr Konsonanten basierte als unsere modernen Sprachen: "Die meisten früheren Studien der Fähigkeit der Neandertaler für Sprache konzentrierten sich auch deren Fähigkeit, die auch heute noch im Englischen am meisten genutzten Vokale zu produzieren", erläutert Quam und führt dazu weiter aus: "Wir glauben aber, dass dieser Fokus nicht zwangsläufig angebracht ist, da die Verwendung von Konsonanten sogar einen Weg darstellt, mehr Informationen in vokale Signale einzubetten. Zudem unterscheidet die Nutzung von Konsonanten die menschliche Ausdrucksweise von nahezu allen anderen Primaten."

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