Den einen gilt er als Scharlatan, den anderen als Impf-Hoffnung: der Mediziner und Forscher Winfried Stöcker. Im Alleingang entwickelte er vor einiger Zeit ein Vakzin gegen SARS-CoV-2. Nun haben die ersten Arztpraxen damit begonnen, das Präparat Patienten zu verabreichen.

Impfspritze
© www.globallookpress.comBeim vom Lübecker Mediziner, Forscher und Unternehmer Winfried Stöcker entwickelten Corona-Vakzin handelt es sich um einen sogenannten "Totimpfstoff", Symbolbild
Im Februar machte der Lübecker Forscher Prof. Dr. med. Winfried Stöcker von sich reden. Während die großen Pharmakonzerne begannen, aufgrund von Notfallzulassungen den immer größer werdenden Markt mit ihren in Rekordzeit entwickelten Corona-Impfstoffen zu versorgen, entwickelte der Lübecker Unternehmer und ehemalige Inhaber der Firma EUROIMMUN Medizinische Labordiagnostika AG quasi im Alleingang einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Das demzufolge ohne aufwendige Kühlung auskommende "rekombinante Antigen" verfügt nach Angaben des 74-Jährigen über eine 90-prozentige Wirksamkeit.

Prompt handelte sich Stöcker massive Kritik ein. So verwies der Focus vor einiger Zeit darauf, dass sich Pharmaunternehmen bei der Entwicklung ihrer Corona-Vakzine üblicherweise "durch aufwendige präklinische Testphasen arbeiten, bevor sie überhaupt die Zulassung für eine Studie am Menschen beantragen". Stöcker hingegen habe sein Vakzin "einfach ohne die nötige Genehmigung durch das in Deutschland zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI)" getestet.

Wie das Blatt weiter berichtet, bezeichnete der Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Gießen, Friedemann Weber, das Vorgehen Stöckers als "unzulässige Menschenversuche". Die Lübecker Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz ein. Auf seiner eigenen Webseite hält Stöcker dagegen und spricht von einer "journalistische Kampagne".
"Angesichts der günstigen Aussichten des Lübecker Verfahrens und in Sorge um ihren Milliardenprofit setzen offensichtlich einige Marktteilnehmer und ihre Unterstützer alle Hebel in Bewegung, den Initiator durch gezielte Verleumdungen in Verruf zu bringen und ihn zu kriminalisieren."
Zudem könne "jeder Arzt" in Deutschland demzufolge "ein Antigen mit einem Adiuvans zusammenmischen (erst jetzt ist es ein Impfstoff) und seinen Patienten legal verabreichen", ist sich Stöcker sicher. Bei seiner Einordnung beruft sich der Forscher auf eine Grundlagenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 18.03.1997 - 1 BvR 420/97-).

Aktuell steigt die Nachfrage nach Stöckers Vakzin, bei dem es sich um einen klassischen "Totimpfstoff" handelt. Nach Angaben des umtriebigen Mediziners, Forschers und Unternehmers könne sein Antigen im Kühlschrank gelagert werden, sei zudem schnell lieferbar und müsse im Vergleich zu mRNA-Vakzinen, wie etwa dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer, nicht vom Körper selbst gebildet werden.

Erste Arztpraxen haben demzufolge bereits damit begonnen, das Vakzin des Mediziners zu verabreichen. So berichtet etwa die Sächsische Zeitung von einer Ärztin, die auf das Vakzin des Lübecker Forschers setzt und es auf Wunsch spritzt. Sich selbst und ihren Mitarbeitern hat sie den Impfstoff zuerst injiziert.

Im Gegensatz zum Impfstoff der Herstellers BioNTech/Pfizer habe es bislang "keinerlei Nebenwirkungen" gegeben.
"In der Deutschen Ärztezeitung gab es einen Hinweis, dass Personal nach einer Impfung zwei bis drei Tage ausfallen könnte. So einen Ausfall kann ich mir nicht leisten."
Die Lübecker Nachrichten verweisen darauf, dass Stöcker nun erstmals Bestellmöglichkeiten für die Komponenten anbiete. Demzufolge habe die Ärztin "mindestens 150 Interessenten", die sich das umstrittene Vakzin injizieren lassen wollten.

Dabei ist die Medizinerin, die anonym bleiben will, grundsätzlich von der Notwendigkeit überzeugt, die Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 zu "immunisieren" - und dies möglichst schnell. Dass sie nun vor allem auf den Stöcker-Impfstoff setzt, erklärt die Ärztin mit der vorhandenen Impfskepsis unter den Patienten. Sie halte sich am Aufruf von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der mutmaßlich gefordert habe, alle zur Verfügung stehenden Impfstoffe auch einzusetzen. Steinmeier bezog sich jedoch auf bereits zugelassene Präparate.

Nach Angaben der Sächsischen Zeitung beziehe die nicht genannte Ärztin die benötigten "Komponenten des Antigen-Stoffes direkt von Stöcker". Dadurch sei es ihr möglich, den Impfstoff selbst herzustellen, was demzufolge einen entscheidenden Vorteil biete, denn so ließe sich das Problem der nicht vorliegenden Zulassung umgehen.
"Als Ärztin darf ich ein Arzneimittel, das ich herstelle, auch verabreichen. Es kommt darauf an, dass die Gesundheit erhalten wird."
Die Medizinerin verweist dabei auf den Begriff des sogenannten "individuellen Heilversuchs". Bei diesem handelt es sich um die Anwendung eines nicht zugelassenen Medikaments im Einzelfall, über die der Arzt im Rahmen der Therapiefreiheit mit Zustimmung des Patienten allein und aus eigener Initiative entscheidet.

An dieser Stelle setzt die Kritik etwa des Zittauer Professors für Medizinrecht Erik Hahn an. Wie die Sächsische Zeitung schreibt, sei laut Hahn zunächst fraglich, "ob eine Impfung überhaupt ein Heilversuch sein kann, weil der Patient ja gar nicht krank ist".
"In der Sekunde, wo der Arzt mit einer Methode in die Massenbehandlung geht, fällt ein individueller Heilversuch weg."
In einem Beitrag von Spiegel TV äußerte sich vor einiger Zeit der Virologe und Corona-Berater der Bundesregierung Christian Drosten gegenüber Stöcker und dessen Impfstoff-Entwicklung. So wird aus einer E-Mail Drostens an Stöcker zitiert, in der dieser auf den Selbstversuch Stöckers eingeht, der nach eigenen Angaben auch Professor der Medizinischen Tongji-Hochschule in Wuhan ist.
"Insgesamt kann ich Ihren Selbstversuch gut nachvollziehen, aber man muss natürlich beachten, dass die Vermarktung eines Impfantigens sehr hohe Qualitätsansprüche erfüllt, wenn man den Impfstoff vermarkten will."