Trotz unzähliger Sanktionen aus dem Westen bricht Russlands Wirtschaft nicht ein. Im Gegenteil - in mancher Hinsicht wurden Rekordergebnisse erreicht. Das betrifft insbesondere den Agrar- und Nahrungsmittelsektor. Teil 1 einer Analyse über die Hintergründe des Erfolgs.
© Legion-media.ruSymbolbild.
Eine Analyse von Alex MännerAngesichts der unzähligen Sanktionen vonseiten des kollektiven Westens schafft es Russland offenbar dennoch, in den meisten seiner Wirtschaftsbereiche durchweg positive Ergebnisse oder sogar Rekordwerte zu erreichen. Im Agrar- und Nahrungsmittelsektor zum Beispiel, dem in Bezug auf die nationale Sicherheit von der russischen Führung eine strategische Bedeutung beigemessen wird, erzielte man im vergangenen Jahr einen historischen Höchststand - insgesamt fast 160 Millionen Tonnen Getreide.
Nicht zuletzt deswegen zählt Russland zu den wichtigsten Akteuren auf dem globalen Agrarmarkt. Abgesehen von dem lukrativen Export gibt es aber auch eine steigende Nachfrage im Inland, weshalb die Russen massiv in die landwirtschaftliche Produktion investieren.
Dabei gilt der Agrarsektor als ein sehr kostenintensiver und wirtschaftlich instabiler Bereich, der unter anderem wegen der mangelnden Flexibilität der Produktionsprozesse schwierig an Marktveränderungen anzupassen ist. Zudem gibt es noch suboptimale Witterungsbedingungen, Infektionskrankheiten und Tierpandemien, die zu geringeren Erträgen oder sogar zu Produktionsausfällen führen können. Diesbezüglich entfällt auf den Staat die Rolle des Garanten für eine positive Entwicklung und die Koordination des Sektors.
Niedergang der AgrarsphäreZusammengenommen erscheint sowohl die aktuelle Entwicklung als auch die gesamte Evolution des russischen Agrarsektors im 21. Jahrhundert, insbesondere mit Blick auf den allgemeinen volkswirtschaftlichen Niedergang Russlands in den 1990er Jahren als äußerst bemerkenswert. Wie fast alle Bereiche der russischen Wirtschaft erlebte auch der Agrarbereich in dieser Zeit einen katastrophalen Einbruch in der Produktion, von dem er sich nach damaliger Ansicht nicht mehr erholen sollte.
Denn mit dem Aus für die sowjetische Planwirtschaft veränderten sich auch die agrarpolitischen Gegebenheiten im Land: So nahm etwa die Finanzierung und infolgedessen auch die Zahl der Facharbeiter dramatisch ab, weshalb die soziale Sphäre der ländlichen Gebiete relativ schnell und weitgehend degradierte. Dort fehlte es einerseits an Einkommensmöglichkeiten für die Menschen, andererseits waren die meisten landwirtschaftlichen Erzeuger aufgrund ihrer Finanzlage oft nicht einmal zur einfachsten Produktion selbst in der Lage.
Aufgrund dessen wurden sowohl die Landwirtschaft als auch die Tierhaltung - trotz ihrer immensen Produktions- und Exportperspektiven - in fast allen Teilbereichen sowie bei den meisten Indikatoren um Jahrzehnte zurückgeworfen. Die Getreideproduktion fiel binnen eines Jahrzehnts um mehr als die Hälfte und betrug um die Jahrtausendwende gerade mal
65 Millionen Tonnen, nachdem sie im Jahr 1998 sogar nur bei 48 Millionen Tonnen gelegen hatte. Nicht anders sah die Situation bei der Fleischproduktion aus, die ebenfalls um mehr als die Hälfte einbrach und im Jahr 1999 insgesamt weniger als fünf Millionen Tonnen ausmachte. Um diesen Wert fielen etwa die Produktionen von Schweinefleisch und Rindfleisch - auf 1,5 und zwei Millionen Tonnen, während die Geflügelproduktion in dieser Periode sogar um das Dreifache auf 600.000 Tonnen zurückging.
Zudem hatte sich damals der administrative Einfluss des Staates erheblich verringert, sodass - abgesehen von dem Arbeitermangel und den Finanzierungsproblemen - hauptsächlich die fehlende systemische Entwicklung zum Niedergang der gesamten Ernährungsindustrie führten. In der Folge wurde der Konsum immer weniger aus russischer Produktion gedeckt, weshalb man zunehmend mehr Lebensmittel importieren musste.
Mit dem Machtantritt von Wladimir Putin im Jahr 2000 wurde die Revitalisierung des Agrarsektors zum zentralen Aspekt der russischen Politik. Vor allem durch strukturelle Reformen und rigorose Finanzierung wie durch das "Programm zur Entwicklung der Landwirtschaft bis 2012" konnte der weitgehende Verfall im Agrarbereich gestoppt und in den 2010er Jahren schließlich in eine durchweg positive Entwicklung umgekehrt werden.
Aufschwung der ProduktionDiese Entwicklung zeichnet sich bis heute durch ein kontinuierliches Wachstum der Branche aus und wird konsequent mittels Zuschüssen, Investitionen, Förderprogrammen und den Instrumenten staatlicher Regulierung gefördert. Darüber hinaus hatte die russische Regierung die Importe durch Steuern oder gar durch Einfuhrverbote vermindert, um die heimische Agrar- und Nahrungsmittelproduzenten vor ausländischer Konkurrenz zu schützen und ihre Produktion auszuweiten.
Wie eingangs erwähnt, konnten sogar die westlichen Sanktionen die positive Entwicklung im russischen Agrarsektor nach der Jahrtausendwende nicht stoppen. So wurde in Russland in dem noch bis zum 30. Juni laufenden Agrarjahr 2022 eine Rekordernte von 157,7 Millionen Tonnen Getreide einschließlich der rekordträchtigen 104 Millionen Tonnen Weizen eingefahren. Dies entspricht einer Steigerung zum Vorjahr von knapp 30 und 37 Prozent, wie russische Medien unter Verweis auf vorläufige Angaben der nationale Statistikbehörde Rosstat
meldeten.
Eine positive Entwicklung gibt es auch in den anderen landwirtschaftlichen Bereichen: Bei der Ölsaatenproduktion wurde mit rund 29 Millionen Tonnen - nach einem Plus von 17 Prozent - ebenfalls ein historischer Höchststand erreicht. Im Bereich der Pflanzenzüchtung ist mit Ausnahme von Obstsorten ein relativ starkes Wachstum zu verzeichnen.
Des Weiteren wurden neue Bestmarken bei der Fleischproduktion realisiert.
Laut dem aktuellen Rosstat-Jahresbericht hat die Gesamtproduktion um knapp drei Prozent zugenommen und erreichte mit 16 Millionen Tonnen einen Rekordwert - und stellt damit inzwischen das sechste Rekordjahr in Folge dar. Die Geflügelproduktion stieg um 5,3 Prozent auf einen Höchststand von 7,1 Millionen Tonnen. Die Produktion von Schweinefleisch verzeichnete einen Anstieg von fünf Prozent und betrug 5,8 Millionen Tonnen, was ebenfalls ein historisches Maximum ist. Der Ertrag von Rindfleisch hingegen sank um 1,5 Prozent auf 2,7 Millionen Tonnen. Das Gleiche gilt auch für die Erzeugung von Ziegen- und Schaffleisch, die jeweils um etwa ein Prozent zurückgingen.
Der Tierbestand hat nach der Krise in der postsowjetischen Phase bis heute stark zugenommen. Während bei der Geflügelhaltung am Ende der Neunzigerjahre noch etwa 340 Millionen Tiere gezählt wurden, gab es im vergangenen Jahr schon mehr als 550 Millionen Tiere. Der Bestand an Mastschweinen wächst ebenfalls kontinuierlich seit Jahren und erreichte mit 27,6 Millionen Tieren den höchsten Wert seit fast dreißig Jahren. Der niedrigste Bestand wurde im Jahr 2004 datiert, als es nur 13,7 Millionen Tieren gab. Hingegen ist der Bestand an Rindern, Schafen und Ziegen seit dem Vorjahr nur unwesentlich - jeweils um etwa ein halbes Prozent - gesunken.
Mit der Rinderhaltung ist die Milchproduktion sehr eng verbunden, da das erzeugte Rindfleisch vorwiegend von den Milchkühen stammt, die aus der Produktion genommen wurden. In diesem Bereich wurde zwar das sechste Jahr in Folge ein Wachstum erzielt, allerdings fiel dieses deutlich geringer aus als in den anderen Agrarbereichen: Die Gesamtmilchproduktion nahm daher nur um zwei Prozent zu und betrug knapp 33 Millionen Tonnen - was 20 Millionen Tonnen weniger als noch zu Sowjetzeiten sind.
Ebenfalls weniger Wachstum gibt es bei der Erzeugung von Eiern. Nach einem Plus von 2,7 Prozent wurden im letzten Jahr knapp 46 Milliarden Stück Eier gezählt, was rund drei Millionen Tonnen entspricht. Damit liegt der aktuelle Ertrag von Eiern sehr nah an dem Höchstwert der sowjetischen Produktion und liegt deutlich über dem Niveau der Neunzigerjahre, als mit 31 Milliarden Stück im Jahr 1996 ein Rekordtief erreicht wurde.
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