Renten werden gekürzt, 30.000 Beamte entlassen: Die griechische Regierung hat ein hartes Sparprogramm verkündet. Den Griechen geht es an die Existenz.
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© DPA/DPATausende Beamte sollen entlassen werden: Sie protestieren in Athen gegen die Sparmaßnahmen

Es war Unerhörtes, was Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos den knapp elf Millionen Griechen verkündete: harte Einschnitte bis zur Entlassung von Beamten und anderen Staatsdienern - etwas, was es in Griechenland seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Schon bevor das Kabinett in einer Krisensitzung über die Einschnitte beriet, stimmte Venizelos das Parlament und die Öffentlichkeit auf die neue griechische Wirklichkeit ein, die ihm zuvor die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) in stundenlangen Videokonferenzen diktiert hatte.

„Müssen wir weitere Sparmaßnahmen treffen? Ja!”, trommelte der Minister im Parlament um Unterstützung. Griechenland sei auf die Hilfe der Kreditgeber angewiesen. Die Einschnitte werden schmerzhaft sein“, kündigte Venizelos bereits an. Dies gelte vor allem für Rentner, Arbeitslose und junge Menschen auf Arbeitssuche.

Nach einer sechseinhalbstündigen Kabinettssitzung wurde ein Regierungssprecher dann am Abend konkret: Betroffen von den Rentenkürzungen sind Renten über 1200 Euro im Monat sowie die Renten von denjenigen, die unter 55 Jahre alt sind. Die Zahl der öffentlichen Bediensteten, die nur noch auf Teilzeit beschäftigt werden, soll in diesem Jahr von 20.000 auf 30.000 erhöht werden.

Forderungskatalog der Troika

Die Griechen müssen konkret werden, denn der Forderungskatalog der Troika, bevor sie wenigstens die sechste, acht Mrd. Euro ausmachende Tranche aus dem seit Mai 2010 laufenden 110-Mrd.-Euro-Kreditprogramm für Griechenland freigeben will, ist lang.

Griechische Beamtengehälter sollen bis um die Hälfte gekürzt werden. Die Regierung in Athen soll sofort 25.000 Beamte entlassen und eine Entlassung auf Raten von weiteren mindestens 70.000 Staatsdienern vorbereiten: Diese sollen in eine „Arbeitsreserve“ überstellt und nach Umschulungen bei Bezug von 60 Prozent ihres bisherigen Gehalts nach einiger Zeit - möglicherweise nach einem Jahr - entlassen werden. Außerdem soll die Regierung die Subventionierung von Heizöl streichen und den steuerfreien Freibetrag für alle Griechen von 8000 auf 4000 Euro im Jahr halbieren. Die neuen Sparmaßnahmen sollen bis Jahresende eine Mrd. Euro einsparen, im kommenden Jahr weitere 6,5 Mrd. Euro, überschlug die Zeitung Kathimerini.

Ob dieses Paket ausreicht, ist freilich auch nach Venizelos' Auftritt vom Mittwoch unklar. Zwar sprach die EU-Kommission, bemüht um die Beruhigung der Finanzmärkte, von „guten Fortschritten“ in den Gesprächen. Die sind nicht abgeschlossen, sondern werden am Wochenende in Washington fortgesetzt: Dort ist Venizelos Gast der Jahrestagung von IWF und Weltbank.

Am Dienstag kommender Woche muss zudem Regierungschef Giorgos Papandreou zum Rapport bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin antreten. In der kommenden Woche fliegen auch die drei Chefunterhändler der Troika wieder nach Athen, um einen Deal festzuzurren und ein Fazit für ihren sechsten „Fortschrittsbericht“ zum Stand der griechischen Sanierungsbemühungen zu ziehen. Nur wenn dieser Bericht positiv ausfällt, dürfen Euroländer und IWF weitere Milliarden freigeben.

Sparmaßnahmen könnten nicht ausreichen

Doch der staatliche Schuldenberg macht schon jetzt rund 370 Mrd. Euro aus. Nach weiteren Krediten dürfte Griechenlands Verschuldung schon Ende 2011 über 170 Prozent der Wirtschaftsleistung gleichkommen. Athens Haushaltsdefizit war von Januar bis August mit gut 18 Mrd. Euro weit höher als im Vorjahreszeitraum - und fast schon so hoch wie die 19,8 Mrd. Euro, die eigentlich für das ganze Jahr angesetzt waren. Die neuen Sparmaßnahmen entsprächen bisher gut zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist ein Bruchteil dessen, was bei einem Haushaltsdefizits von bis zu zehn Prozent in diesem Jahr notwendig ist.
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© Infografik Welt OnlineSo hat sich die griechische Wirtschaft entwickelt

Dies gilt umso mehr, als die Wirtschaft nicht nur in diesem Jahr um mindestens 5,5 Prozent einbricht. Dem IWF zufolge wird Griechenlands Wirtschaft auch 2012 mit zwei Prozent schrumpfen. Die Arbeitslosenrate von 16,5 Prozent wird der Prognose zufolge auf 18,5 Prozent schnellen. Es kann auch schlimmer kommen: Seit Frühjahr 2010 wurden alle Annahmen von IWF und EZB von der wirtschaftlichen Wirklichkeit in Athen nach unten übertroffen.

Dabei gäbe es Möglichkeiten, die Wirtschaft anzukurbeln und die Staatseinnahmen zu erhöhen: Staatseigentum entschlossen verkaufen, Kartelle aufbrechen, drastisch gegen Steuerschuldner vorgehen. Steuerrückstände betragen über 41 Mrd. Euro - vier Fünftel eines Jahreshaushalts. Diese Versäumnisse brachten die Troika dazu, die Gangart beim Thema „Sparen im Staatsapparat“ zu verschärfen.

Zwar versprach Griechenland, es wolle die Beamten bis 2015 um 150.000 auf 577.000 verringern. Freilich sollte niemand entlassen werden - obwohl dies laut griechischer Verfassung möglich ist. Die Reduzierung sollte durch freiwilliges Ausscheiden und Verrentung erreicht werden. Das aber entlastet die öffentlichen Finanzen nur wenig - schließlich zahlt der Staat weiter die Renten der pensionierten Beamten.

Die Troika fordert nun angeblich, bis 2015 die Beamtenzahl um mindestens 200.000 zu verringern - auch durch schnelle Entlassungen. Die Axt am Staatsapparat anzulegen, ist bitter nötig. Griechenlands Beamtenapparat hat sich seit 1980 von gut 300.000 auf knapp 770.000 Beamte im Juli 2010 fast verdreifacht. Athen gibt heute die Hälfte seines Staatshaushalts nur für Beamtengehälter und - renten aus - eine der höchsten Raten aller Industrieländer. Zudem beschäftigt Griechenland weitere 600.000 Menschen in zumeist verlustbringenden Staatsbetrieben.

Generalstreik geplant

Beamten und Angestellte von Staatsbetrieben haben nicht nur einen sicheren Job, sondern verdienen auch noch bis zum Dreifachen wie in der Privatwirtschaft: Dort verloren im August jeden Tag über 1000 Griechen ihren Job. Gegen neue Einschnitte wollen die großen Gewerkschaften am 5. und 19.Oktober den Generalstreik aufrufen. „Wir werden bis zum Ende kämpfen, um diese (Spar-) Politik zu kippen”, kündigte Ilias Iliopoulos, Generalsekretär der Beamtengewerkschaft Adedy, an. „Die Troika und die Regierung müssen gehen.“ Die markigen Worte - und Fernsehbilder protestierender Griechen - verschleiern freilich, dass viele Streiks und Proteste nicht von der Mehrheit der Griechen unterstützt werden.

Streiks werden nicht in demokratischen Urabstimmungen beschlossen, sondern von Gewerkschaftsführern. Von den angeblich rund 2,5 Millionen Mitgliedern von GSEE und Adedy nahmen selbst in Athen manchmal nur wenige Tausend Menschen an Protesten teil. Umfragen zufolge würden die meisten Griechen Kürzungen im Staatsapparat begrüßen.

Doch davor scheuen Regierung und Opposition zurück: Für beide sind die Staatsdiener ihre Hauptwählerschaft. Stattdessen erhöht die Regierung lieber die Steuern. Eine zusätzliche Grundsteuer soll bis zu zwei Mrd. Euro bringen. Wer nicht zahlt, dem soll der Strom abgestellt werden. Freilich ist die Gesetzesänderung noch nicht verabschiedet, das staatliche Stromwerk hat schon Bedenken angemeldet.