Kabul (dpa) - Nach der Befragung Hunderter Gefängnisinsassen in Afghanistan haben die Vereinten Nationen den Sicherheitsbehörden des Landes systematische Folter und Misshandlung vorgeworfen. In zahlreichen Gefängnissen des Geheimdienstes NDS und der Polizei würden Insassen mit Methoden verhört, die nach internationalem Recht als Folter gelten, heißt es in einem am Montag in Kabul vorgestellten Bericht der Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA). Dazu gehörten massive Drohungen, Schläge mit Gummischläuchen und Stromkabeln, Elektroschocks und das Herausreißen von Zehennägeln.

Bereits vor einem Monat hatte der britische Sender BBC die in dem UN-Bericht erhobenen Vorwürfe vorab öffentlich gemacht. Die Internationale Schutztruppe Isaf hatte daraufhin die Überstellung von Gefangenen an mehrere afghanische Haftanstalten bei auf weiteres gestoppt. Die afghanische Regierung wies die Anschuldigungen zurück.

Nach UN-Angaben wurden für die Studie 47 Gefängnisse in 22 der 34 afghanischen Provinzen inspiziert. Insgesamt seien 379 Häftlinge befragt worden. Etwa 40 Prozent davon wurden demnach vor allem im Laufe von Vernehmungen massiv misshandelt. In mindestens fünf Einrichtungen des NDS hätten Beamte die Gefangenen «systematisch gefoltert», um Informationen oder Geständnisse zu erpressen. Die Verantwortlichen seien bislang nicht zur Rechenschaft gezogen worden.

Der UN-Gesandte für Afghanistan, Staffan de Mistura, schlug trotz der nachgewiesenen Misshandlung von Häftlingen versöhnliche Töne an. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Folter nach behördlich vorgegebenen Richtlinien angewandt werde, sagte er in Kabul. Vielmehr hätten Geheimdienst und Innenministerium für die Studie eng mit den UN zusammengearbeitet. Das zeige die bestehende Bereitschaft der afghanischen Regierung, die nun notwendige Reformen in Justiz, Strafverfolgung und Strafvollzug einzuleiten.

Ein Sprecher der Isaf sagte am Montag, aufgrund der erhobenen Vorwürfe gebe es seit Anfang September keine Gefangenentransfers in 16 afghanische Haftanstalten. Die Isaf sei mit der Regierung im Gespräch, um die Probleme zu lösen. Dies sei aber bislang noch nicht vollständig geschehen.

In der Vergangenheit hatten Menschenrechtler wiederholt Verfehlungen der afghanischen Sicherheitskräfte dokumentiert and angeprangert. So warnte die Hilfsorganisation Oxfam in einem im Mai vor einer möglichen Zunahme der Übergriffe auf Zivilisten, wenn die Afghanen die Verantwortung für die Sicherheit von den internationalen Truppen übernehmen. In dem Oxfam-Bericht wird neben Übergriffen auf Zivilisten auch von Folter und willkürlichen Tötungen berichtet.

Nach einem Nato-Beschluss sollen afghanische Sicherheitskräfte bis Ende 2014 im ganzen Land das Kommando führen. Bereits im Juli wurden die ersten sieben Städte und Provinzen übergeben.

dpa