De Vries
© UnbekanntCornelia de Vries, Diplom Sozialpädagogin
Frage: Frau de Vries, Sie kritisieren eine vor kurzem veröffentlichte Studie, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es einen Rückgang bei sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche gibt. Warum?

De Vries: Zum einen stellen wir in Frage, ob die Zahl sexueller Übergriffe überhaupt anhand eines Fragebogens, wie er in der Studie angewandt wurde, ermittelt werden kann. Die Fragen, die gestellt wurden, können retraumatisierend wirken. Wenn ein betroffenes Mädchen beispielsweise unverblümt gefragt wird, ob ein Mann sein Glied in ihren Mund geschoben hat, wird sie darauf womöglich gar nicht antworten können. Zum anderen wird in der Studie nur nach Tätern gefragt, die über fünf Jahre älter sind, als das Opfer. Unsere Erfahrungen jedoch zeigen, dass sexualisierte Gewalt zunehmend unter Gleichaltrigen stattfindet - diese Taten fallen aus dieser Studie vollkommen raus. Wenn ein Mädchen von ihrem vier Jahre älterer Bruder sexualisierte Übergriffe erleben muss, wird dies nicht erfasst.

Frage: Das heißt also, dass Sie den Rückgang aus Ihrer Arbeit nicht bestätigen können?

De Vries: Dass der Missbrauch generell rückläufig ist, können wir absolut nicht bestätigen. Die Beratungsanfragen in der direkten Beratung sind konstant geblieben. Es ist zudem eine neue Form hinzugekommen, die in dieser Studie völlig außer Acht gelassen worden ist. Im Rahmen unserer Präventionsveranstaltungen „Chatten - aber sicher?!“ in Schulen erreichten uns allein im letzten Jahr 380 Meldungen über sexualisierte Übergriffe im Netz, Cybermobbing und Übersendung pornografischer Bilder.

Frage: Wie muss man sich sexuelle Übergriffe im Netz vorstellen?

De Vries: So, wie auch über soziale Netzwerke wie Facebook oder SchülerVZ Schüler gemobbt werden, finden dort auch sexualisierte Belästigung und Übergriffe statt. Pädophile gehen z.B. in diese Foren und geben sich als Gleichaltrige aus. Dann versuchen sie, per Webcam Bilder zu machen oder auch an die Daten der Kinder zu kommen, um so einen persönlichen Kontakt herzustellen. Wichtig ist, über diese Gefahren aufzuklären.

Cornelia de Vries ist Diplom Sozialpädagogin und arbeitet seit 2002 als Beraterin bei „Wildwasser“. Die Beratungsstelle kritisiert die kürzlich veröffentlichte Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer.