Griechenlands Schuldenschnitt hat Merkel an das Ende eines langen Prozesses gesetzt. Die Politik der Kanzlerin bewahrte Europa davor, aus purer Kopflosigkeit zu handeln. Torsten Krauel über die Ergebnisse des zweiten Brüsseler Rettungsgipfels.
donald tusk, angela merkel
© AFPDer polnische Premier Donald Tusk (l.), der momentan die Ratspräsidentschaft inne hat, küsst am Rande des Krisengipfels in Brüssel die rechte Hand von Kanzlerin Merkel

Es gibt zu Angela Merkel ein Missverständnis, das scheinbar unausrottbar ist. Es lautet: Merkel ist so wie alle anderen.

So wie die Experten, die ihren Tunnelblick gern mit Panik anreichern. Oder so wie die Politiker, die im Augenblick einer Krise sofort eine Maximallösung fordern - und zwar die Lösung, die zu dem Zeitpunkt gerade nahezuliegen scheint, obwohl das gesamte Ausmaß des Problems womöglich noch gar nicht erfasst worden ist.

So ging es zum Beispiel mit dem Schuldenschnitt für Griechenland. Der sollte nach Experten- und Politikermeinung sofort verkündet werden, denn er sei unausweichlich. Das war er zwar auch, aber in der Finanzwelt ist es manchmal wie beim Arzt.

Eine Sofortoperation ohne Allergiecheck kann tödlich verlaufen, besonders dann, wenn potenzielle Nebenrisiken zwar erkannt, aber noch nicht verlässlich diagnostiziert worden sind. Übereiltes Handeln kann schlimmere Folgen haben, als zunächst gar nicht zu handeln.

Angela Merkel hat das von Anfang an einkalkuliert. Sie hat darauf gedrungen, zuerst den IWF mit an Bord zu holen, einen Schutzschirm zu bauen und die Banken zu beteiligen, bevor man an den Schuldenschnitt geht.

Sie hat vor allem auch dafür gesorgt, dass Griechenland erst einmal Anlauf zu präzedenzlosen Reformen nehmen und so der Finanzwelt die Ernsthaftigkeit des Vorhabens unter Beweis stellen konnte. Das war psychologisch extrem wichtig.

Angela Merkel hat den Schuldenschnitt an den Schluss einer komplizierten Diagnose- und Vorbereitungszeit gesetzt. Sie hat dafür gesorgt, dass er beherrschbar bleibt, statt wie 2008 das ganze Bankensystem zu sprengen.

Ihre „Politik der kleinen Schritte“ hat die Europäische Union davor bewahrt, aus purer Kopflosigkeit zum Spielball von Kräften zu werden, die ein verfrühter Schuldenschnitt geweckt statt gebändigt hätte. Wäre es nach der SPD oder der Linkspartei gegangen, hätten wir heute eine Lage, die wir sehr bereuen müssten.

Der Brüsseler Gipfel vom 27.Oktober hat auch noch etwas anderes gezeigt. Der Euro, nach Meinung seiner Kritiker eine Währung zur Kontrolle Deutschlands, ist kein antideutsches Instrument. Deutschland hat sich bei der Griechenland-Krise am Ende in den wesentlichen Punkten durchgesetzt. Auch in dieser Frage gilt: Träume sind Schäume. Am Ende zählt die Realität.