Bevor ein Medikament in die Apotheken kommt, wird es klinisch getestet, seine Wirksamkeit untersucht. An der Medizinischen Fakultät der Uni Leipzig werden diese Testreihen meist von Pharmaunternehmen finanziert. Die Wissenschaft ist auf das Geld angewiesen. Doch das Sponsoring wirkt sich mitunter auf die Studienergebnisse aus, sagen Forscher - ein schmaler Grat.
Waage - Ungleichgewicht
© Britta VeltzkeUngleich verteilt: Klinische Studien werden überwiegend aus Mitteln der Pharmaindustrie finanziert.

Die Pharmaindustrie hat zur Get-Together-Party geladen: „In gemütlicher, lockerer Atmosphäre werden Getränke gereicht sowie ein Buffet angeboten", heißt es auf der Homepage der Anästhesietage. Auf dem Messegelände Leipzig tauschten sich vor zwei Wochen Ärzte, Studierende und Industrievertreter aus fünf Bundesländern über Schmerztherapien und Intensivmedizin aus. Studenten besuchten den Kongress kostenlos - dazu verteilten Pharmaunternehmen wie Pfizer und Co. massenhaft Kugelschreiber und Werbetaschen. Kleinigkeiten, die den Mediziner nachhaltig an die spendablen Unternehmen erinnern sollen.

Ärzte und die, die es einmal werden wollen, sind eine stark umworbene Berufsgruppe. Denn die Mediziner sichern mit den Medikamenten, die sie verschreiben, die Existenz der Pharmaindustrie.

Wie unabhängig kann bezahlte Forschung sein?

Es ist ein langwieriger und für die Unternehmen kostspieliger Prozess, bis ein Medikament zugelassen wird. Ein wichtiger Schritt dabei sind klinische Studien - und diese werden, wie das Beispiel der Universität Leipzig zeigt, in erheblichem Maß von der Industrie bezahlt. Von den drei Millionen Euro, die die Medizinische Fakultät im vergangenen Jahr für Medikamententests aufwendete, „kamen etwa 2,3 bis 2,5 Millionen von Pharmaunternehmen", sagt Kerstin Grätz, Leiterin des Referats Forschung der Medizinischen Fakultät. „Forschung ist ohne Drittmittel nicht denkbar", ergänzt sie. Insgesamt warb die Fakultät voriges Jahr rund 41 Millionen Euro ein.

Doch wie unabhängig kann bezahlte Forschung sein? „Studien, die die Industrie finanziert, fallen vier Mal häufiger im Sinne des Auftraggebers aus als andere", meint Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Der promovierte Politikpsychologe erforscht neue Formen der Korruption.

Auch Professor Elmar Brähler, Mitglied des Hochschulrats, sagt, der Zusammenhang zwischen Finanzierung einer Studie und ihrem Ergebnis sei unbestreitbar. Brähler war fünf Jahre lang Ombudsmann zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Während dieser Zeit sei ihm jedoch kein Fall bekannt geworden, in dem sich die Industrie mit unlauteren Mitteln in die Forschung eingemischt habe.

Doch wie empfinden Studenten und junge Ärzte die Situation? Einer von ihnen ist Jonas Özbay. Der Leipziger Medizin-Absolvent macht gerade seine Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner im Diakonissen-Krankenhaus in Leipzig-Lindenau. Bereits in seiner Studentenzeit habe er den Eindruck gewonnen, dass sich nur Pharmaunternehmen mit viel Geld und guten Beziehungen zu den Hochschulen durchsetzten.

Plumpe Manipulation von Studien gibt es selten

Und das geht zum Beispiel so: Viele Dozenten der Medizinischen Fakultät sind praktizierende Ärzte, die sich wie alle Mediziner regelmäßig weiterbilden müssen. Sonst droht der Ausschluss aus der Ärztekammer. „Es gibt nur sehr wenige Veranstaltungen, die nicht direkt von Pharmafirmen gesponsert werden", erklärt Özbay. Beliebte Lockangebote der Industrie seien geringe oder gar keine Teilnahmegebühren. Oft gebe es Essen, Übernachtungs- oder Anfahrtskosten gratis dazu. Das in derartigen Veranstaltungen Gelernte gäben die Dozenten in Vorlesungen an ihre Studenten weiter. Oft würden dann Präparate bestimmter Firmen als die Besten angepriesen.

Plumpe Manipulationen von klinischen Studien gibt es seiner Meinung nach hingegen selten. „Versuche, die ein Medikament zur Zulassung bringen, laufen nach rein wissenschaftlichen Kriterien ab", meint Özbay. Kliche gibt jedoch zu bedenken: Um Studien im Sinne des Auftraggebers zu beeinflussen, könne man bestimmte Risikogruppen, wie etwa alte Menschen oder Mehrfachkranke, ausschließen oder die Versuchsdauer verändern, um sich dem gewünschten Ergebnis anzunähern. Er nennt dieses Phänomen „korporative Korruption - ohne Schmiergeldzahlung und unterhalb der Kriminalitätsgrenze".

Bei der öffentlichen Finanzierung der Forschung gilt: Je mehr Drittmittel eingeworben werden, desto mehr gibt es vom Staat obendrauf. Dadurch würden unrentable Bereiche zu Stiefkindern, wie die medizinische Soziologie oder Geschichte, erklärt Özbay.

Und auch bei Neuberufungen von Professoren solle die Pharmaindustrie indirekt ihre Finger im Spiel haben, so Thomas Lindner von der „Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte": „Wenn ein Kandidat bereits enge Kontakte zur Industrie hat, steigert sich seine Attraktivität für das Institut - klinische Studien bringen Geld und Renommee."

Kein Geld, keine Forschung - das ist auch dem angehenden Allgemeinmediziner Özbay bewusst. „Die reine öffentliche Forschungsfinanzierung könnte ein Ansatz sein, ist aber ohne große politische Richtungsentscheidungen nicht bezahlbar."

Die Autorin Britta Veltzke ist Mitglied der Lehrredaktion Campus, einem Gemeinschaftsprojekt des Studiengangs Journalistik der Universität Leipzig und der Leipziger Volkszeitung.

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