Seit Jahren kämpft Israel gegen die Atombombe in den falschen Händen - nicht nur mit Hilfe des Westens. Geheime Dokumente beweisen, wie prekär die Lage für das Land ist.
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© PICTURE-ALLIANCE / DPA/AFP Das Bild zeigt ein Teil der 1981 von israelischen Kampfbombern zerstörten irakischen Atomanlage Osirak (Archivbild aus dieser Zeit)

Am 7. Juni 1981 zerstörte die israelische Luftwaffe den irakischen Atomreaktor Osirak.

Beschwörend rief der damalige israelische Ministerpräsident Menachem Begin einen Tag nach dem Angriff aus: "Wenn der nukleare Reaktor nicht zerstört worden wäre, hätte es noch einmal einen Holocaust in der Geschichte des israelischen Volkes gegeben. Es wird aber nie mehr einen Holocaust geben. Niemals wieder! Niemals wieder!"

Die offizielle Begründung der israelischen Regierung fiel weniger dramatisch, aber umso deutlicher in der Sache aus: "Wir werden unter keinen Umständen zulassen, dass ein Feind Massenvernichtungswaffen entwickelt, die gegen die israelische Bevölkerung eingesetzt werden könnten.“

Damit war die "Begin-Doktrin" geboren, die seit 1981 den Umgang Israels mit potenziellen nuklearen Aufsteigern in der Region Nahost bestimmt.

Das wurde deutlich, als im Frühjahr 2006 der iranische General Asgari überlief und berichtete, der Iran finanziere ein von Nordkorea und Syrien betriebenes nukleares Waffenprojekt. Damit bestätigten sich amerikanische und israelische Erkenntnisse, dass eine durch Luftaufklärung bekannte Anlage im syrischen Dir al Sur ein nukleares Projekt zur Produktion von waffenfähigem Plutonium war. Es wurde am 6. September 2007 durch israelische Jagdbomber zerstört.

Damaskus leugnet bis heute

Zwar bestreitet Damaskus bis heute, dass es sich um einen nuklearen Reaktor gehandelt hat; die Beweise sind jedoch erdrückend. Auch die IAEA hat in ihrem Bericht vom Mai 2011 keinen Zweifel daran gelassen, dass das ominöse "Gebäude“ in Dir al Sur ein von Nordkoreanern geplanter und gebauter Plutoniumbrüter war.

Hier endet üblicherweise die Geschichte der "Begin-Doktrin“. Und tatsächlich sind die Fälle Osirak und Dir al Sur die einzigen Angriffe gegen Nuklearanlagen, die Israel bisher durchgeführt hat.

Es gibt jedoch noch einen weiteren, bisher weithin unbekannt gebliebenen Fall, in dem Israel die Anwendung der "Begin-Doktrin“ zwar konkret geplant hatte, der Angriffsbefehl aber nicht gegeben wurde: es geht um die Absicht Israels in den frühen achtziger Jahren, das pakistanische Atomwaffenzentrum Kahuta zu zerstören und damit Pakistans nukleare Ambitionen zu unterbinden.

Die Geschichte begann 1979, als dem israelischen Geheimdienst klar wurde, dass ein pakistanischer Wissenschaftler geheime Pläne zum Bau von Ultrazentrifugen aus der holländisch-deutschen Anlage URENCO gestohlen und nach Pakistan transferiert hatte.

Umgehend schrieb Begin einen Brief an seinen holländischen Kollegen, in dem er seine Sorge über eine "islamische Bombe" zum Ausdruck brachte und um geeignete Maßnahmen ersuchte, die Folgen des Diebstahls unter Kontrolle zu bringen.

Indien auf Zerstörung des pakistanischen Atomwaffenprogramms aus

Etwa zur gleichen Zeit begann sich in der indischen Führung ein Konsens heraus zu bilden, das pakistanische Nuklearwaffenprogramm, das in seiner entscheidenden Entwicklungsphase war, präventiv zu zerstören.

Wie Adrian Levi und Catherine Scott-Clark in ihrem 2007 erschienenen Buch Deception berichten, besuchten im Februar 1983 indische Militärs, die einen fertigen Angriffsplan bei sich hatten, ihre israelischen Kameraden, um sich von den einschlägigen Fachleuten beraten zu lassen und um elektronisches Gerät zur Ausschaltung der pakistanischen Flugabwehr zu kaufen.

Bald jedoch nahm der pakistanische Geheimdienst die Spur der indischen Militärs auf. Überdies ließ die pakistanische Führung die Inder wissen, dass im Fall eines Angriffs auf das pakistanische Atomwaffenzentrum Kahuta Pakistan die indische Nuklearanlage Trombay mit konventionellen Waffen zerstören werde; da Trombay in der Nähe von Mumbai lag, musste Indien desaströse Auswirkungen auf die Bevölkerung befürchten. Der Plan wurde auf Eis gelegt.

Dann kam Israels Stunde. Die israelische Regierung bot an, den Angriff durchzuführen. Indien sollte lediglich zwei Luftwaffenbasen zur Verfügung stellen.

Indira Gandhi billigte den Militärschlag

Anfang 1984 billigte Indiens Ministerpräsidentin Indira Gandhi die israelisch-indische Aktion. In dieser Situation sah die CIA, die durchgehend informiert war, keine andere Möglichkeit mehr, als den pakistanischen Präsidenten Zia Ul Haq zu informieren. Zugleich wurde massiv Druck auf Israel ausgeübt, von diesem Abenteuer Abstand zu nehmen.

Schließlich zog Indira Gandhi ihre Zustimmung zurück. Damit war ein Versuch, die "Begin-Doktrin“ ein weiteres Mal umzusetzen, gescheitert - mit fatalen Folgen. Der pakistanische Atomschmuggler Abdul Qadeer Khan entwickelte in Kahuta nicht nur die erste islamische Atombombe; er bot in den Jahren zwischen 1985 und 2003 auch großzügig an, befreundete islamische Staaten für je 150 Millionen Dollar zu Atomwaffenstaaten hochzurüsten.

Khans erfolgreichster Klient war der Iran, der alle Ingredienzien für ein Atomwaffenarsenal - Material und Pläne - von Khan bezog und nach Erkenntnissen aller Geheimdienste wie auch der IAEA durchaus in der Lage ist, in kurzer Zeit einen nuklearen Sprengsatz zu bauen.

Ist also der Iran der nächste Kandidat für eine Anwendung der "Begin Doktrin“? Nahe liegend ist es - doch wäre es auch militärisch möglich? Darüber wird inzwischen weltweit diskutiert, auch unter Experten. Dennoch ist echte Expertise Mangelware in dieser Diskussion.

"Saddam Tapes" könnten militärische Überzeugungen verändern

Alles ist politisch aufgeladen und verstellt den nüchternen Blick auf Möglichkeiten oder auch Unmöglichkeiten. Einmal mehr sind die Experten dabei, ihren Ruf nachhaltig zu schädigen. Dazu passt, dass die vor kurzem erfolgte Veröffentlichung von Teilen der so genannten "Saddam Tapes“ geeignet ist, die militärstrategische Elite in ihren konzeptionellen Grundüberzeugungen massiv zu verunsichern.

Mehr noch. Saddams hinterlassene Überlegungen zum Thema Krieg und Frieden in Nahost bestätigen eindringlich, dass die erste Anwendung der "Begin-Doktrin“ 1981 gegenüber dem Irak die richtige Entscheidung war und Israel einen weiteren Krieg um seine Existenz erspart hat.

Saddam Hussein plante vom Anfang seiner Präsidentschaft an einen erneuten Krieg der "Arabischen Nation“ gegen Israel. Irak, Syrien und möglicherweise Jordanien würden unter Saddams Führung eine umfassende konventionelle Auseinandersetzung mit dem Staat der Juden beginnen.

Kriegsziel sollte die Zerstörung Israels oder doch wenigstens dessen Zurückwerfen auf die Grenzen vor 1967 sein. 1985 führte er in einem Gespräch mit einigen Mitarbeitern hierzu aus: "Entweder werden die Araber Sklaven Israel sein - oder die Araber werden ihr eigenes Schicksal bestimmen und Israel wird ein unbedeutendes Anhängsel - wie Formosa (Taiwan) im Verhältnis zu China.“

Saddam glaubte an die Hilfe der Sowjets

Um diesen nächsten Krieg gegen das nuklear gerüstete Israel auf durchgängig konventionellem Niveau halten zu können, mussten die Nuklearwaffen Israels neutralisiert werden. Dazu bedürfte es eigener Nuklearwaffen. Da eine Eigenentwicklung zunächst nicht zur Verfügung stehen konnte, glaubte Saddam, dass "unsere sowjetischen Freunde" aushelfen würden.

Dabei schwebte Saddam kein umfangreiches, sich quantitativ am israelischen Gegner orientierendes Potenzial vor. Er wollte nur eine einzige Bombe. Angesichts der geographischen Gegebenheiten glaubte Saddam, dass sich Israel durch die Einsatzandrohung auch nur eines einzigen nuklearen Gefechtskopfes vom Einsatz seiner Nuklearwaffen abschrecken lassen würden.

Das würde dem Irak und seinen Verbündeten die Möglichkeit geben, einen "geduldigen Krieg“, einen Abnutzungskrieg gegen Israel zu führen, indem die langfristig größeren Ressourcen der "Arabischen Nation“ den Ausschlag geben würden. Dieser Krieg, so Saddam, könnte durchaus ein Jahr dauern.

Allerdings musste Saddam sehr schnell erkennen, dass die Hoffnung auf nukleare Hilfe der "sowjetischen Freunde“ trog. Anfang der Achtzigerjahre begann daher der Versuch, Nuklearwaffen selbst zu entwickeln. Mittel hierzu sollte das Plutonium sein, das der von Frankreich gelieferte Reaktor Osirak liefern würde. Das war die Ausgangslage für die israelische Führung im Sommer 1981.

Israel musste im Sommer 1981 handeln

Der Reaktor würde zwar, wie die Israelis wussten, erst in einigen Jahren waffenfähiges Plutonium liefern, er stand aber unmittelbar vor Aufnahme des Betriebs. Wollte man den Reaktor zerstören, dann musste man spätestens im Sommer 1981 handeln. Niemand in der israelischen Regierung wäre bereit gewesen, einen laufenden Reaktor zu bombardieren und dabei unabsehbare Konsequenzen in Kauf zu nehmen.

Die Zerstörung des Reaktors Osirak hat es Saddam für viele Jahre unmöglich gemacht, seine von ihm selbst gesetzte Bedingung - eine einzige Atombombe - für einen Krieg gegen Israel erfüllt zu sehen. Israel hatte richtig entschieden - auch wenn es die vergleichsweise kruden militärischen Überlegungen Saddams nicht kannte.

Die Wirkung des Angriffs von 1981 hielt 10 Jahre lang. Dann stand Saddam erneut unmittelbar vor der Entwicklung einer Nuklearwaffe. Die Voraussetzung hatte Saddam durch ein umfangreiches, von der IAEA auf beschämende Weise übersehenes Urananreicherungsprogramm geschaffen.

Hussein Shahristani, Iraks begabtester Nuklearwissenschaftler, den Saddam für seine Weigerung, eine Atombombe zu bauen, ins Gefängnis geworfen hatte, ließ daran keinen Zweifel. Nach seiner Flucht in den Iran 1991 erklärte er, Saddam hätte eine erste Nuklearwaffen produzieren können, wenn er den Einmarsch nach Kuwait - und damit den Beginn des Krieges gegen die von den USA geführte Koalition - sechs Monate später begonnen hätte.

Israel hat viel Glück gehabt

Und Israel? Es hatte einfach nur Glück gehabt. Weder hatte sein Geheimdienst die nukleare Situation im Irak richtig eingeschätzt, noch war seinen Verantwortlichen klar, dass der Einmarsch Saddams nach Kuwait nur ein Präludium zum lange ersehnten Krieg gegen Israel hätte sein sollen.

Für die militärstrategischen Chefdenker des Westens bedeuten Saddams konkrete Überlegungen zu Krieg und Frieden in Nahost, einige ihrer nahezu unbestrittenen Grundannahmen zu überdenken. Dies gilt insbesondere für die Motivlage bei der Entscheidung, sich nuklear aufzurüsten.

Nach der "conventional wisdom" sind es überwiegend defensive Motive, die diese Entscheidung auslösen. Der Fall, dass nukleare Aufrüstung betrieben wird, um einen beabsichtigten konventionellen Krieg führen zu können, kommt in diesen Gedankengängen nicht vor.

Und natürlich schon gar nicht, dass ein zum Krieg entschlossener Führer eine minimale Gegenabschreckung von einer einzigen Nuklearwaffe für ausreichend halten könnte. Die Protokolle von Saddams Gesprächen sind zur rechten Zeit an die Öffentlichkeit gelangt - nicht zuletzt, weil sie bestätigen, dass die "Begin-Doktrin" ihre Berechtigung hatte - und möglicherweise auch weiterhin hat.

Der Autor Hans Rühle ist Experte für die Weitergabe von Atomtechnologie und Waffen. Von 1982 bis 1988 war er Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium.