Entzündetes Zahnfleisch ist keine harmlose Erkrankung im Mund: Denn professionelle Zahnpflege sorgt nicht nur für ein schönes Lächeln, sondern schützt auch Herz, Kreislauf und Gehirn.
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© pa/chromorangeDer gründliche Blick und das Stochern des Zahnarztes lohnt sich: Er sollte messen, wie tief die Taschen am Zahnhals sind

Aktuelle Forschungen belegen, dass der Zustand des Gebisses auch wesentlich zur allgemeinen Gesundheit beiträgt. So haben taiwanesische Kardiologen um Zu-Yin Chen jetzt auf der Jahresversammlung der American Heart Association eine Studie vorgestellt, die keine Zweifel daran lässt, dass professionelle Zahnpflege nicht nur für ein schöneres Lächeln sorgt, sondern auch Herz und Hirn vor nachhaltigen Schäden schützt.

Das Forscherteam vom Veterans General Hospital in Taipeh analysierte die Krankenversicherungsdaten von über 100.000 Personen, und zwar aus einem durchschnittlichen Zeitraum von sieben Jahren.

Alle Probanden hatten zu Beginn des Zeitraums keinerlei Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems. Die eine Hälfte unterzog sich dann mindestens einmal jährlich einer professionellen Zahnreinigung, während sich die andere Hälfte ausschließlich auf ihre heimische Bürstenarbeit verließ.

Das Ergebnis: Wer die Prozedur beim Zahnarzt in Anspruch nahm, entwickelte ein um 13 Prozent geringeres Schlaganfallrisiko - und sein Risiko für einen Herzinfarkt war sogar um 24 Prozent kleiner. Was konkret bedeutet, dass eine professionelle Zahnreinigung für den Schutz des Herzens ähnlich wichtig ist wie körperliche Bewegung.

Für Parodontologin Nicole Pischon vom Berliner Universitätsklinikum Charité sind die Ergebnisse der taiwanesischen Studie daher auch „etwas Besonderes“. Denn bisher sei zwar nachgewiesen, dass die Behandlung einer schon bestehenden Parodontitis, bei der bereits der Zahnhalteapparat angegriffen ist, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermindert. Doch die neue Studie zeige nun auch, dass bereits eine gründliche vorsorgende Mundhygiene zu diesem Schutz beitragen kann, sagt Pischon.

Dass umgekehrt eine mangelhafte Zahnhygiene schwer krank machen kann, bestätigt eine schwedische Untersuchung an knapp 8000 Probanden, die jetzt ebenfalls von der American Heart Association vorstellt wurde. Hier zeigten Personen mit weniger als 21 Zähnen ein um 69 Prozent höheres Herzinfarktrisiko im Vergleich zu jenen Probanden, die noch mit einem fast kompletten Gebiss ausgestattet waren.

Doch selbst, wenn der Zahnhalteapparat noch nicht angegriffen ist, können Entzündungen auf die Blutgefäße schlagen. Die schwedischen Forscher fanden nämlich auch heraus: Je höher die Anzahl der für eine beginnende Entzündung typischen Zahnfleischtaschen, umso höher das Infarktrisiko.

„Die Personen mit den meisten Taschen hatten ein um 53 Prozent größeres Risiko als die mit den wenigsten Taschen“, warnt Studienleiter Anders Holmlund. Es reicht also schon die oberflächliche und „triviale“ Zahnfleischentzündung (Gingivitis), um das Herz durchaus ernsthaft in Gefahr zu bringen.

Der Laie kann dies freilich nur schwer nachvollziehen. Er fragt sich, wie eine Entzündung, die sich auf einem lokal eng begrenzten Gebiet wie dem Mund abspielt, bis zum weit entfernten Herzmuskel „ausstrahlen“ kann. Doch mittlerweile weiß man von ähnlichen Zusammenhängen auch bei Arthritis, Diabetes und sogar einigen Tumorgeschwüren. Wenn sich also eine Entzündung am Zahnfleisch breit macht, leiden darunter auch andere Teile des Körpers.

Und hierfür sollen vor allem zwei Mechanismen verantwortlich sein. Dem einen liegen die Bakterien in den Zahnbelägen (Plaques) zugrunde, die an einer Zahnfleischentzündung beteiligt sind. Diese Bakterien können nämlich über die Blutwege, so die Theorie, auch zu anderen Bereichen des Körpers vordringen und dort für Schäden sorgen. Die Beweislage für diese Terrorwanderungen ist jedoch schwach. Pischon hält den zweiten Mechanismus für bedeutsamer, um die Fernwirkung vom Zahnfleisch in andere Körperbereiche zu erklären.

Demzufolge kann die Parodontitis, wie Pischon betont, „als entzündliche Erkrankung andere entzündliche Erkrankungen ‚triggern‘“. Und zwar dadurch, dass Entzündungsbotenstoffe ausgeschüttet werden, die ihre Wirkung nicht nur im Mundbereich, sondern auch weit entfernt davon entfalten. Die Arteriosklerose im Herzkranzgefäß etwa wäre somit eine indirekte Folge der Zahnfleischentzündung, weil sie nicht direkt aus den Plaquebakterien als Entzündungsauslöser, sondern aus den Immunreaktionen auf eben diese Entzündung resultiert. Doch „indirekt“ heißt nicht „weniger“.

Von anderen Leiden wie Allergien weiß man ja nur zu gut, wie heftige sich Immunreaktionen auf den kompletten Körper auswirken können.

Auch eine aktuelle Studie der New York University belegt, wie eng das Mundmilieu mit anderen Organsystemen verzahnt ist. Die Forscher um Jose Scher analysierten das Erbgut der gesamten Darm- und Mundflora von acht Rheumapatienten und neun gesunden Kontrollpersonen.

Das Ergebnis: Die Rheumatiker tickten mikrobiologisch anders. Sowohl in ihrem Mund als auch in ihrem Darm zeigte sich ein deutlicher Überhang an Bakterien der sogenannten Prevotella-Gruppe. Die gelten als äußerst potente Entzündungsauslöser. Dazu passt, dass 66 Prozent der Rheumapatienten an einer Zahnfleischentzündung litten - bei den Gesunden waren es nur zwölf Prozent.

Gründe genug also, sich intensiv der Mundhygiene zu widmen. So soll eine neue Zahnpasta mit Milchsäurebakterien die Zahl der für Karies verantwortlichen Streptokokken in der Mundhöhle reduzieren, berichtet das Magazin Technology Review. Forscher der Berliner Firma Organobalance und von BASF wollen die Karies-verursachenden Streptokokken mit Milchsäurebakterien bekämpfen.

Diese Bakterien verklumpen mit den Streptokokken zu festen Partikeln, die sich leicht aus dem Mund spülen lassen. Damit reduziere sich die Gesamtzahl der Kariesbakterien um etwa die Hälfte. Klinische Versuche hätten bewiesen, dass die Milchsäurebaktierien ausschließlich mit der Streptokokken-mutans-Population reagieren und die gutartige Bakterienflora im Mund unangetastet lassen.

Aber vor allem ist wichtig für die Mundgesundheit, dass überhaupt zwei tägliche Zahnputzeinheiten absolviert werden. Das entfernt Keim-fördernde Beläge, und die Fluoridzusätze härten den Zahnschmelz und schützen ihn damit indirekt vor Karies. Zahnseide oder andere Hilfsmittel reinigen die Zahnzwischenräume, wo sich die entzündungsfördernden und Zahnfleisch-schädigenden Plaques besonders gerne festsetzen.

Die taiwanesische Studie liefert indes ein Argument für eine zusätzliche Profireinigung beim Zahnarzt. „Hier werden dann auch noch jene Stellen erreicht, die bei der herkömmlichen Gebissreinigung außen vor geblieben sind“, betont Pischon. Außerdem kann der Profi den Zahnstein besonders gründlich entfernen.
Normalerweise reichen zwei Profireinigungs-Termine pro Jahr. „Doch in einigen Fällen können auch mehr Einheiten nötig sein“, sagt Pischon. Dies hänge ab vom Entzündungsgrad des Zahnhalteapparates und den individuellen Risikofaktoren, wie etwa dem Zigarettenkonsum.

In einer schwedischen Langzeitstudie zeigte sich, dass eine regelmäßige Profireinigung wesentlich zum Gebisserhalt beiträgt - doch dabei wurden die Studienteilnehmer anfangs sechs, und später bis zu vier Mal jährlich in die Praxis gebeten. Hierzulande aber gehört selbst die einmal jährliche Reinigung nicht zum verpflichtenden Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen.

Die Profireinigung kann je nach Zahnarzt 60 bis über 100, mitunter sogar 200 Euro pro Einheit kosten - Verbraucherschützer bezweifeln die Verhältnismäßigkeit solcher Unterschiede.