Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat angekündigt, die Wahlbetrugsvorwürfe prüfen zu lassen. Das tat er via Facebook - und gab damit das verbale Feuer frei.
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Dmitri Medwedew wirkt lässig, den linken Arm auf einen Pfosten gestützt, irgendwo draußen in der Natur. Russlands Präsident trägt einen hellblauen Wollpulli und blickt fast ein wenig schüchtern in die Kamera. Das Foto ist auf seinem Facebook-Profil zu sehen.

Und dort verkündet er auch das fast schon Unglaubliche: Dass er die Betrugsvorwürfe prüfen lassen wolle, die während und nach der Wahl aufkamen und die zu massiven Protesten im ganzen Land geführt haben. Allein in Moskau gingen bis zu 100.000 Demonstranten auf die Straße. Er sei zwar nicht mit den Parolen und Erklärungen einverstanden, die auf den Demonstrationen geäußert wurden. Die Menschen in Russland hätten jedoch das Recht, ihre Meinung frei zu äußern. Er habe angeordnet, sämtlichen Informationen auf Verstöße gegen die Wahlgesetze nachzugehen.

Neben der Ankündigung an sich ist ungewöhnlich, dass Medwedew sie ausgerechnet über das Online-Netzwerk Facebook verbreitet. Die diente schon im arabischen Raum als Protestplattform, aber nicht unbedingt als Forum staatsmännischer Mitteilungen. Schon im Iran ist der Kurznachrichtendienst Twitter zum Symbol einer Protestbewegung geworden, nun hat Medwedew selbst über Facebook eine Plattform für das wütende Volk geschaffen, sich in der Öffentlichkeit über ihn und seine Regierung zu äußern. Es könnte die Vorlage für einen zweiten Massenprotest werden. Einen leisen, auf der keine Parolen gebrüllt, sondern in die Tastatur gedrückt werden.

Bislang sind es zwar noch lange nicht 100.000 Menschen, wie am Samstag in Moskau, aber immerhin gab es am späten Nachmittag schon fast 13.000 Kommentare. Manche wohlwollend, die meisten jedoch kritisch bis beleidigend, denn die Mehrzahl der Bürger glauben dem Kreml-Chef offenbar kein Wort.

"Das ist der übliche Quatsch, es ist ekelig zu lesen", kommentiert etwa eine Userin.

Ein Mann namens Nikolai sagt: "Diese Antwort ist des Präsidenten unseres Landes nicht würdig. So einen Präsidenten brauchen wir nicht."

Ein Nutzer sagt sogar: "Wie eklig, dieser Fisch".

Wieder ein anderer: "Die Wahlen finden nur wegen der Optik statt, um zu zeigen, dass es Wahlen gibt. Sie sollen die Illusion schaffen, dass wir einen Staat haben. Doch die Machtpyramide versucht, so viel wie möglich für sich selbst herauszusaugen."

Medwedew löschte die provokanten Kommentare nicht. Dabei handelt es sich ganz offensichtlich um seine offizielle Seite.

Die Kommentare machen noch einmal deutlich, wie wenig die russischen Bürger ihrer Regierung Glauben schenken. Wie wütend und enttäuscht sie sind nach einer Wahl, bei der es offensichtlich massive Manipulationen gab. Bei der sie im Internet Videoclips sahen, in denen Wähler mehrere Stimmzettel abgaben, etwa drei ältere Frauen in Jekaterinburg. Sie sahen, dass im Ural Krankenschwestern die Stimmzettel ihrer Patienten ausfüllten und wie in Orenburg zwei Offiziere 200 Pässe zur Abstimmung brachten.

Und natürlich glauben sie es auch nicht, wenn die Regierung ankündigt, die Vorwürfe nun aufklären zu wollen.

Erstaunlich jedoch ist, dass die russische Regierung die kritischen Kommentare zulässt, auch wenn sie die Vorwürfe bestreitet. Bricht in Russland ein neues Zeitalter an? Taut der russische Winter, kommt jetzt der russische Frühling?

Weitere Kommentare der russischen Regierung dämpfen diese Hoffnung. Die Klagen über Wahlbetrug stellten "in keiner Weise" die Rechtmäßigkeit der Wahl oder das Gesamtergebnis in Frage, erklärte der Sprecher von Regierungschef Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Montag. Selbst wenn alle "angeblichen" Behauptungen über Manipulationen zusammengerechnet und vor Gericht bewiesen würden, seien insgesamt nur rund 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen betroffen.

Die nächste Groß-Demo steht bevor

Auch der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika erteilte der Forderung der Opposition nach Neuwahlen eine Absage: Trotz möglicher Verstöße gebe es keinen Grund, die Ergebnisse zu annullieren oder die Abstimmung zu wiederholen, sagte Tschaika.

Unterdessen kündigte die Opposition eine neue Großkundgebung für den 24. Dezember an. Nicht bei Facebook, sondern auf der Straße: Die Bewegung Solidarnost hat bei der Verwaltung in Moskau eine Erlaubnis für eine Versammlung mit bis zu 50.000 Regierungsgegnern beantragt.

Möglich, dass sie eine Genehmigung bekommen. Auch den Massenprotest am Samstag ließ die russische Regierung zu. Doch wahrscheinlich würden die kreml-kritischen Facebook-User dazu schreiben: Dass die Regierung das zulässt, ist nur für die Optik, um zu zeigen, dass es Meinungsfreiheit gibt.

mit Agenturen