Ein Erdbeben mit Stärke 4,2 hat am Samstagabend den Grossraum Zürich erschüttert. Nachbeben sind möglich - auch stärkere.

Als wäre ein Auto in eine Wand geprallt: So haben Bewohner in der Altstadt das Erdbeben gespürt, das am Samstag um 23.45 Uhr die Schweiz erschüttert hat. Andere Stadtzürcher hörten einen Knall oder fühlten ein leichtes Vibrieren. Besorgte Einwohner meldeten sich umgehend bei der Kantonspolizei und der Stadtpolizei Zürich, wo insgesamt gegen 500 Telefonanrufe eingingen. Schäden wurden nicht gemeldet - nicht zufällig.

Das Epizentrum des Bebens lag zwischen Zuger- und Ägerisee, der Bebenherd etwa 30 Kilometer unter dem Boden, also vergleichsweise tief, sodass Schäden unwahrscheinlich sind, wie Florian Haslinger sagt, Seismologe beim Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich. Spürbar war der Erdstoss in weiten Teilen der Deutschschweiz, ebenso im Berner Jura, im Goms und im Tessin. Dass ein Knall hörbar war, ist gemäss Haslinger «wohl auf eine Kopplung der seismischen Wellen an die Atmosphäre zurückzuführen». Dadurch werde eine Schallwelle erzeugt, die sich wie ein Knall anhöre. Mit einer Stärke von 4,2 auf der Richterskala war das Beben das stärkste im Grossraum Zürich seit fast 50 Jahren. Nur 1962 schüttelte es die Erde kräftiger durch. In Eglisau registrierten die Messgeräte eine Stärke von 4,3. Weniger heftig waren die Beben 1997 mit Epizentrum in Zug (3,2) und 1984 beim Albis (3,8). Die jüngste Erschütterung ist laut Haslinger ein Ereignis, das zwar nicht so oft vorkommt, aber nicht unüblich ist.

Zürich gefährdeter als gedacht

Grund für das Beben ist ein Prozess, der vor 65 Millionen Jahren angefangen hat und bis heute andauert: die Alpenfaltung. Die Kollision zwischen der eurasischen und der afrikanischen Platte führt zu Spannungen im Erduntergrund. Diese lösen sich nach und nach - zuletzt am Samstagabend. Ein Nachbeben hält Fachmann Haslinger für möglich: «In der Regel fallen diese schwächer aus. Es ist aber auch ein stärkeres Ereignis möglich.» Beben mit einer Stärke zwischen 4 und 5 kommen weltweit rund 6000-mal pro Jahr vor. Bei dieser Intensität sind kleine Schäden an Gebäuden möglich - aber nicht zwingend: Je nach Dauer, Bodenbeschaffenheit und lokaler Bauweise können Beben mit gleicher Stärke unterschiedliche Auswirkungen haben.

Das Erdbeben, das am 11. März letzten Jahres in Fukushima zu einem Tsunami führte, hatte eine Stärke von 9,0. Ein Beben der Stärke 9 ist dreissigmal stärker als ein Beben der Stärke 8, tausendmal stärker als ein Beben der Stärke 7, also rund 30 Millionen Mal stärker als jenes vom Samstagabend in Zürich.

Erdbeben mit einer Stärke von 5 auf der Richterskala sind hierzulande nicht allzu selten. Das letzte mit dieser Magnitude wurde 1964 in Obwalden registriert. In der Schweiz gelten Basel und das Wallis als jene Gebiete, die von den stärksten Erdbeben bedroht werden. Vor sechs Jahren haben Forscher in Sedimentspuren im Zürichsee jedoch Hinweise für starke Erschütterungen in der Region Zürichsee gefunden. Offenbar kam es vor 2200, 11'500 und 13'800 Jahren zu Beben mit ähnlicher Stärke (circa 7) wie jenes, das 1356 Basel verwüstete.

Häuser obligatorisch versichern

Für den Fall, dass sich das Basler Erdbeben heute wiederholen sollte, rechnen Experten mit bis zu 2000 Toten und Schäden bis zu 80 Milliarden Franken. Allein bei den Gebäuden entstünden laut einer Studie der Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re Kosten von 13 bis 47 Milliarden Franken. Politisch umstritten ist, ob die Schweiz eine obligatorische Gebäudeversicherung gegen Erdbebenschäden mit landesweit einheitlichen Prämien einführen soll. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats hat jüngst zwei entsprechende Vorstösse abgelehnt.

Tages-Anzeiger