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Bozen/ Schweiz - Vor rund eineinhalb Jahren gelang einem Forscherteam die Entschlüsselung des kompletten Genoms des Mannes aus dem Eis, also seines gesamten Erbguts. Die Weichen, um weitere Rätsel rund um die älteste Gletschermumie der Welt aufzulösen, waren damit gestellt. Nun folgt der nächste Meilenstein: Die Forscher des Instituts für Mumien und den Iceman der Europäischen Akademie Bozen (EURAC), der Institute für Humangenetik der Universität Tübingen und der Universität des Saarlandes haben die Rohdaten der DNA-Sequenzierung auf verschiedene Aspekte hin ausgewertet.

Die Ergebnisse wurden aktuell im Fachmagazin Nature Communications publiziert. Demnach hatte Ötzi eine genetische Veranlagung für Herz-Kreislauferkrankungen. Das ergaben die jüngsten Studien des Forscherteams rund um Albert Zink und Angela Graefen vom Bozner EURAC-Institut für Mumien und den Iceman, Carsten Pusch und Nikolaus Blin vom Institut für Humangenetik der Universität Tübingen sowie Andreas Keller und Eckart Meese vom Institut für Humangenetik der Universität des Saarlandes in Homburg.

An der 5.000 Jahre alten Gletschermumie ist jedoch nicht nur die genetische Veranlagung nachweisbar, sondern auch bereits ein Symptom der Erkrankung in Form einer Arterienverkalkung. Dabei war Ötzi seinerzeit nicht den Risikofaktoren ausgesetzt, die heute Herzkreislauf-Erkrankungen maßgeblich beeinflussen: Er war nicht übergewichtig, bewegte sich viel.

"Die Bestätigung, dass solche genetischen Veranlagungen schon zu Zeiten des Ötzi vorhanden waren, ist für uns sehr interessant. Denn es zeigt, dass Herz-Kreislauferkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten sind. Uns liegt nun daran, anhand dieser Daten die Entwicklung dieser Erkrankungen besser zu erforschen", unterstreichen der Anthropologe Albert Zink und der Bioinformatiker Andreas Keller.

Neben dieser genetischen Veranlagung konnten die Forscher Spuren von Borrelien aufspüren, die die Ursache einer Infektionskrankheit sind, die durch Zecken übertragen wird. Carsten Pusch, der die genetischen Untersuchungen in Tübingen leitete, vermerkt: "Dies ist der älteste Beleg für Borreliose und dafür, dass sie bereits vor 5.000 Jahren übertragen wurde.“
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Ein Aspekt, dem die Forscher außerdem nachgingen, ist die genetische Herkunft des Mannes aus dem Eis. Ihre Untersuchungen zeigen, dass Ötzi einer so genannten Haplogruppe des Y-Chromosoms angehört, die heutzutage in Europa relativ selten ist. Die Charakteristiken weisen zum einen darauf hin, dass Ötzis Vorfahren in der Jungsteinzeit im Zuge der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht aus dem Nahen Osten eingewandert sind. Zum anderen zeigt es sich, dass deren DNA sich bis heute in sehr abgelegenen Gegenden, etwa bei Inselbevölkerungsgruppen, gehalten hat wie beispielsweise auf Sardinien und Korsika.

Dabei ergaben die genetischen Untersuchungen auch zahlreiche Informationen zu den körperlichen Eigenschaften des Mannes aus dem Eis: Er hatte braune Augen, braune Haare und litt unter Laktoseunverträglichkeit, konnte also keinen Milchzucker verdauen. Dieser Befund stützt die Annahme, dass in der Zeit von Ötzi trotz der bereits vorherrschenden bäuerlichen Lebensweise die Laktoseintoleranz noch sehr weit verbreitet war. Die Entwicklung hin zur Milchverträglichkeit im Erwachsenenalter ging mit der Domestizierung von Tieren einher.


Kommentar: Etwas zur weiter oben angeführten Schlußfolgerung: "Denn es zeigt, dass Herz-Kreislauferkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten sind." Zur Lebenszeit Ötzis wurde bereits Landwirtschaft/Ackerbau betrieben, und Zivilisationskrankheiten hängen laut zahlreicher Studien mit der Ernährung von u.a. und besonders Kohlenhydraten (Getreide) und Milch zusammen. In diesem Sinne ergibt es Sinn, dass bereits zu Ötzis Zeiten solche Krankheiten existierten, besonders da die Physiologie der Menschen in jener Zeitperiode noch viel weniger Zeit hatte, sich von einer auf Fleisch und Fett basierenden Ernährung auf Kohlenhydrate umzustellen.
Für ausführliche Studienreferenzen und Erklärungen zur Thematik empfehlen wir das Buch Primal Body Primal Mind von Nora T. Gedgaudas.


Das Projekt wurde von der National Geographic Society (USA), Life Technologies (USA) und Comprehensive Biomarker Center (Heidelberg) unterstützt.

Aktuelle Informationen zu Veranstaltungen und Events rund um die Sonderausstellung des Südtiroler Archäologiemuseums Ötzi20 finden Sie hier.

Weitere Informationen bietet auch die Ötzi-Facebook-Seite


eurac.edu / iceman.it