In Syrien löschen Milizionäre im Blutrausch ganze Familien aus. Die Opposition veröffentlichte in der Nacht nach dem Massaker die ersten Videobilder. Der Angriff auf den kleinen Weiher außerhalb des Dorfes Marsaf sei nach dem gleichen Muster abgelaufen wie das Massaker von Al-Hula im Mai, erklären die Aktivisten.Sanktionen und unbewaffnete UN-Beobachtern beeindrucken sie nicht.

Istanbul. Die kleinen leblosen Körper der Kinder sind mit Eis bedeckt. Die jüngsten Opfer des Massakers von Al-Kobeir sollen dort liegen bleiben, wo sie die letzten schrecklichen Minuten ihres kurzen Lebens verbracht haben. So wollen es die Aktivisten. Sie hoffen, dass die UN-Beobachter die neuesten Gräueltaten der Milizen dokumentieren - damit sich die Weltgemeinschaft entschließt, Präsident Baschar al-Assad mit Gewalt zu entmachten.

Die Opposition veröffentlichte in der Nacht nach dem Massaker die ersten Videobilder. Der Angriff auf den kleinen Weiher außerhalb des Dorfes Marsaf sei nach dem gleichen Muster abgelaufen wie das Massaker von Al-Hula im Mai, erklären die Aktivisten. Erst bombardierte die Armee eine Stunde lang. Dann wurden aus dem benachbarten Dorf Al-Asile Milizionäre angekarrt, die jeden niedermetzelten, den sie finden konnten.

„In Al-Haffa in der Provinz Latakia lief gestern eine ganz ähnliche Operation. Doch dort gelang es Widerstandskämpfern, mehrere Milizionäre zu verwunden, weshalb die Aktion dann erst einmal abgebrochen wurde“, erklärt ein pensionierter General, der mit der Opposition sympathisiert. Während seiner aktiven Zeit beim Militär hat er mit der Schabiha-Miliz auch selbst Erfahrungen gesammelt: „Sie haben hauptsächlich vom Schmuggel gelebt. Gelegentlich überfielen sie Bauernhöfe und vergewaltigten dort die Frauen.“ Der weißhaarige Militär, der sich schon zum Morgenkaffee eine Zigarette anzündet, fügt verächtlich hinzu: „Ihre Bärte waren so lang, als wollten sie damit den Boden putzen.“

Die Nachricht aus Al-Kobeir macht auch im Dolmabahce-Palast in Istanbul die Runde. Hier sitzen gerade die wichtigsten Außenminister der Syrien-„Freundesgruppe“ zusammen, um wieder einmal über einen Ausweg aus der Krise zu beraten. Hillary Clinton ist dabei, Frankreichs neuer Chef-Diplomat Laurent Fabius und Guido Westerwelle.

Die aktuellen Berichte aus Syrien sorgen dafür, dass der Frust der Minister über die bislang doch recht erfolglosen Anstrengungen wächst. Auch Westerwelle macht aus seiner Unzufriedenheit darüber, dass der Friedensplan von Kofi Annan noch nicht greift, keinen Hehl mehr. „Die Lage entwickelt sich alles andere als gut“, gibt der Minister zu. „Überall gibt es wachsende Zweifel.“

Vor allem reiche Golf-Staaten wie Katar fordern ständig Luftangriffe und Waffen für die Regimegegner. Die Deutschen gehören dagegen weiterhin zu den entschiedensten Gegnern einer militärischen Lösung. Immer noch hofft man darauf, Russland könne dem Assad-Regime seine Unterstützung entziehen. Dann könnte der Weg frei sein für eine „Jemen-Lösung“: Das heißt Assad geht ins Ausland und überlässt seinem bisherigen Vize das Feld. Inzwischen kursiert auch ein Szenario, wie das ablaufen könnte. Demnach gäbe es auf Einladung Annans bald ein Treffen der fünf Veto-Mächte mit einigen anderen wichtigen Staaten. Dort könnte dann eine Resolution des Sicherheitsrates auf Grundlage von Kapitel VII Artikel 41 der UN-Charta vorbereitet werden - nicht nur regionale, sondern weltweite Sanktionen gegen das Regime, aber „unter Ausschluss von Waffengewalt“.

Zwei Voraussetzungen müssten dafür allerdings erfüllt sein: Die Veto-Mächte China und Russland machen mit und Assad müsste zum Gang ins Exil bereit ist, nach Russland vielleicht oder auch in den Iran. Die syrische Opposition hält dies für wenig realistisch. Ein Dissident, der in die türkische Grenzprovinz Hatay geflohen ist, sagt: „Ein Präsident, der sogar den Tod enger Verwandter geheim hält, nur um sein Image als starker Mann nicht zu gefährden, ist zu einem solchen Schritt nicht bereit.“

dpa