Der Unmut der Soldaten über die Bundeswehrreform ist groß, wie eine Umfrage zeigt: Neun von zehn Befragten hält eine Korrektur für nötig, fast die Hälfte bewertet die Umsetzung als misslungen.
Thomas de Maiziere
© dpaZukünftig sollen Soldaten besser informiert werden: Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere spricht mit Bundeswehrsoldaten in Kundus
Die Bundeswehrreform und die damit verbundenen Standortschließungen stoßen in der Truppe auf breite Ablehnung. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Bundeswehrverbandes unter Führungskräften der Armee. Das Verteidigungsministerium sieht die Neuausrichtung der Streitkräfte trotz der Verunsicherung auf gutem Weg. „Insgesamt wird deutlich, dass die generelle Richtung stimmt“, sagte ein Sprecher am Freitag. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, beklagte massive Defizite bei der Vermittlung der Reform.

„Jetzt muss mit den Soldaten gesprochen werden“

Der Bundeswehrverband und die Technische Universität Chemnitz stellten am Freitag eine Studie zur Bewertung der Reform durch Führungskräfte der Bundeswehr vor. Demnach finden mit 88 Prozent fast neun von zehn Befragten, dass die Reform einer baldigen Korrektur bedürfe. 76 Prozent haben das Gefühl, dass sie an den Veränderungen kaum mitwirken können. „Die Ergebnisse der Befragung sind alarmierend und signalisieren einen akuten politischen Handlungsbedarf“, lautet das Fazit der Studie.

„Die Enttäuschung ist riesig“, sagte Verbandschef Ulrich Kirsch. „Jetzt muss dringend mit den Soldaten gesprochen werden, um zu ergründen, warum sie zu einem so harten Urteil kommen.“ Bislang geschehe dies nicht in ausreichendem Maße. Dabei könne die Bundeswehr-Führung aus der Einbindung der Soldaten auch wertvolle Erkenntnisse gewinnen, woran es genau hapere und wie sinnvoll umgesteuert werden könne.

Wehrbeauftragter: massive Unzufriedenheit in Truppe

Für die Studie wurden 4000 Fragebögen verschickt, rund die Hälfte kam ausgefüllt zurück. Demnach halten 46,7 Prozent der Befragten die Umsetzung der Reform für „schlecht“ oder „sehr schlecht“. 58 Prozent gaben an, sie hätten im Zug der Neuausrichtung schon einmal darüber nachgedacht, die Bundeswehr zu verlassen. 63,3 Prozent würden ihren Kindern den Dienst in den Streitkräften nicht empfehlen. 65,4 Prozent fühlen sich von der Politik alleine gelassen.

Der Wehrbeauftragte sieht seinen Jahresbericht vom Januar durch die Umfrage bestätigt. Darin hatte Königshaus von einer massiven Unzufriedenheit in der Truppe berichtet. „Die Soldatinnen und Soldaten empfinden die interne Kommunikation als völlig unzureichend“, erklärte er am Freitag. „Sie sind unzufrieden, weil sie sich nicht mitgenommen fühlen - das trifft sowohl auf die Planung der Reform als auch auf die jetzt laufende Umsetzung zu.“ Es genüge nicht, den Führungskräften 80 Seiten Gesetze zu schicken und darauf zu vertrauen, dass sie die Sache schon richten. „Das ist eine Überforderung der Truppe.“

Soldaten sollen mehr eingebunden werden

Das Verteidigungsministerium erklärte, es sei zu erwarten gewesen, dass mit einer solch umfassenden Neustrukturierung auch ein Gefühl der Unsicherheit bei den Soldaten einhergehe. „Es muss uns aber nachdenklich stimmen, dass nur die Hälfte der Befragten die Umsetzung der Neuausrichtung als positiv bewertet und sogar größeren Handlungsbedarf als zuvor sieht.“

„Das ist kein befriedigender Wert“, räumte Verteidigungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans ein. Das Ministerium werde deshalb „zügig umfassende Maßnahmen ergreifen, um die Beteiligung und die Kommunikation zu verbessern“. Nach Angaben des Ministeriumssprechers soll die Frage der Einbindung der Bundeswehrangehörigen in die Reform zentraler Bestandteil einer Bundeswehrtagung Ende Oktober sein.

Nach Reform nur noch 264 Bundeswehrstandorte

Die Reform gilt als eine der umfassendsten Umstrukturierungen der Bundeswehr seit ihrer Gründung. Die tiefgreifendste Veränderung war die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011. Die Truppenstärke von einst 250 000 Soldaten soll auf höchstens 185 000 reduziert werden. Die Zahl der Zivilbeschäftigten sinkt von 76 000 auf 55 000. 31 Bundeswehrstandorte werden bis 2017 geschlossen, rund 90 teils drastisch verkleinert. Nach Umsetzung der Reform werden nur noch 264 Standorte übrig sein.

chz/dpa/AFP