Der gewaltigste Einschlag eines Himmelskörpers auf der Erde seit über 100 Jahren verletzt in Russland Hunderte Menschen. Der «Meteorit von Tscheljabinsk» macht am 15. Februar 2013 die Schutzlosigkeit der Erde ganz deutlich. Weltweit forschen Experten an einem Abwehrsystem.

Moskau (dpa) - Hollywood hätte es kaum besser hinbekommen: Aus dem heiteren Winterhimmel über Russland rast plötzlich ein Feuerball hervor und explodiert mit zerstörerischer Kraft. Einem gleißenden Lichtblitz folgt ein ohrenbetäubender Knall, die mächtige Druckwelle lässt am 15. Februar 2013 in der Millionenstadt Tscheljabinsk Scheiben bersten und deckt Häuser teilweise ab. «Im Weltall lauern enorme Gefahren», warnt Johann-Dietrich Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln.

Als «dringenden Weckruf an die Erde» bezeichnet der US-Forscher Qing-zhu Yin den Absturz des Meteoriten. «Wenn die Menschheit nicht aussterben will wie die Dinosaurier, muss sie Maßnahmen ergreifen», betont er. «Kometen wie der Stern von Betlehem, an den in der Adventszeit wieder viel gedacht wird, bieten zwar ein prachtvolles Himmelsschauspiel», sagt auch Sergej Jessipow. Dringt aber ein größerer Brocken in die Erdatmosphäre, könnten die Folgen für unseren Planeten dramatisch sein, unterstreicht der Experte aus Nowosibirsk.

In Russland arbeiten Wissenschaftler schon lange an einem Schirm gegen die Gefahr aus dem All. «Das geplante System aus Abfangsatelliten soll die Erde weniger anfällig machen», sagt Anatoli Saizew, Direktor des Zentrums für planetaren Schutz in Moskau. Das Projekt «Zitadelle» mit Kosten von rund zwei Milliarden Euro soll frühestens in fünf Jahren fertig sein. Auch das DLR denke über einen Schutz nach, erzählt Wörner der Nachrichtenagentur dpa. So prüfe das Zentrum einen Einsatz von Lasern - diese könnten die Flugbahn eines Himmelskörpers so verändern, dass er in der Atmosphäre verglüht.

«Tscheljabinsk entging knapp einer Katastrophe», meint Olga Popowa von der Moskauer Akademie der Wissenschaften. Eine Warnung der Bevölkerung sei kaum möglich gewesen, schreibt die Expertin in einer Analyse für das Fachblatt Nature. Mit 19 Metern Durchmesser sei der Stein zu klein gewesen für die meisten Teleskope auf der Erde. «Zudem kam er aus dem grellen Sonnenlicht und war daher nicht zu entdecken», betont Popowa. Bei der Explosion über der Stadt am Ural wurden etwa 1500 Menschen verletzt, die meisten davon erlitten Schnittwunden.

Weil viele Russen ihre Autofahrten mit Kameras am Armaturenbrett aufzeichnen, ist die Detonation des Meteoriten bestens dokumentiert. Die Bilder vom gewaltigsten Einschlag eines Himmelskörpers auf der Erde seit über 100 Jahren gehen um die Welt.

Dass der Meteorit bereits in 30 Metern Höhe zerbrach, belegt nach Ansicht von Popowa eine Beschädigung des Steins. Er sei vermutlich vor 1,2 Millionen Jahren im All mit einem anderen Objekt kollidiert und seitdem auf dem Kurs Richtung Erde gewesen. Auf seinem feurigen Ritt staute der 12 000 Tonnen schwere Brocken zum Schluss eine Wand aus immer dichter und heißer werdender Luft vor sich auf. Schließlich wurde der Druck so groß, das er explodierte - 30 Mal stärker als die US-Atombombe von Hiroshima 1945.

Ein «Meteoritenregen in Form von Feuerbällen» ging dem russischen Zivilschutz zufolge über der Region rund 1500 Kilometer östlich von Moskau nieder. Zuletzt hatte 1908 in der Tunguska-Region (Sibirien) ein Himmelskörper größere Zerstörung angerichtet. Neuere Forschungen belegen, dass Geschosse vom Ausmaß des Tscheljabinsk-Brockens im Weltall siebenmal häufiger vorkommen als bisher berechnet.

Der Astronom Wladimir Krupko warnt aber vor Panikmache. «Täglich rieseln elf Tonnen Sternenstaub in winzigen Körnern auf unseren Planeten, und niemand verliert ein Wort darüber», sagt der Leiter des Planetariums in Omsk.


Etwa 200 Steine seien allein im vergangenen Jahr auf die Erde gestürzt - die meisten davon völlig unbemerkt. Sie seien jedoch kleiner gewesen als der Meteorit von Tscheljabinsk. «Wir beobachten alle großen Brocken, berechnen ihre Flugbahn und haben genug Zeit, uns auf Situationen einzustellen», sagte. «Aber kurz vor einer Katastrophe, die nur mit Atomraketenbeschuss im All abzuwenden wäre, stehen wir nun wirklich nicht.»