Sie weisen auf die Sinnlosigkeit des Systems hin, das auf der Ideologie von grenzenlosem Wachstum, endloser Ausbeutung und ständiger Expansion beruht. Sie warnen uns vor dem Gift des Karrierismus und der Sinnlosigkeit einer Suche nach Glück durch die Anhäufung von Reichtum. Sie halten uns einen Spiegel vor: von der bitteren Realität der Sklaverei und Jim Crow, vom völkermörderischen Abschlachten der amerikanischen Ureinwohner, über die Unterdrückung der Arbeiterbewegung bis zu den Grausamkeiten im Namen imperialistischer Kriege und der Zerstörung des Ökosystems. Sie verunsichern unseren Glauben an unsere eigene Tugendhaftigkeit. Sie fordern die vereinfachten Klichés heraus, mit denen wir unsere Nation beschreiben - das Land der Freien, das großartigste Land der Welt, der Leuchtturm der Freiheit - um dann unsere eigene Dunkelheit, unsere Verbrechen und unsere Ignoranz zu beleuchten. Damit bieten sie uns die Möglichkeit eines erfüllenden Lebens und der Möglichkeit der Transformation an.
Menschliche Gesellschaften sehen was sie sehen wollen. Sie erschaffen nationale Mythen einer Identität aus einer Mischung von historischen Begebenheiten und Fantasie. Sie ignorieren unangenehme Fakten, welche die Selbst-Glorifizierung stören. Sie vertrauen naiv auf die Idee eines linearen Fortschritts und auf eine abgesicherte nationale Vorherrschaft. Darum geht es beim Nationalismus - um Lügen. Und wenn eine Kultur ihre Fähigkeit des Denkens und Ausdrucks verliert, wenn sie abtrünnige Stimmen zum Schweigen bringt, wenn sie sich zurückzieht in das was Sigmund Freud als "screen memories" bezeichnet - jene beruhigenden Mischungen aus Fakt und Fiktion - dann stirbt sie. Sie verliert ihren inneren Mechanismus, der die Selbsttäuschung aufzeigt. Sie führt Krieg gegen die Schönheit und die Wahrheit. Sie schafft das Heilige ab. Aus der Bildung macht sie eine reine Berufsausbildung. Sie macht uns blind. Und genau das ist geschehen. Wir sind Schiffbrüchige in einem wilden Sturm. Wie wissen nicht mehr wo wir sind. Wir wissen nicht wohin wir treiben. Und wir wissen nicht was uns noch bevorsteht.
Der Psychoanalytiker John Steiner nennt dieses Phänomen "turning a blind eye" (englischer Ausdruck für "etwas ignorieren", wörtl. "ein blindes Auge hinwenden"). Er beschreibt, dass wir oft Zugang zu adäquatem Wissen haben, aber weil dieses unangenehm und beunruhigend ist, entscheiden wir uns unbewusst - und manchmal auch bewusst - dazu, es zu ignorieren. Er benutzt den Ödipus Mythos um dies zu veranschaulichen. Er argumentiert, dass Ödipus, Jocasta, Creon und der "blinde" Tiresias die Wahrheit, dass Ödipus wie prophezeit seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet hatte, wohl wüssten, aber insgeheim zusammengewirkt haben diese Wahrheit zu ignorieren. Auch wir, schreibt Steiner, verschließen die Augen vor den Gefahren die uns konfrontieren, trotz des Überflusses an Beweisen, dass uns eine Katastrophe bevorsteht wenn wir nicht unsere Beziehungen miteinander und zur Natur überdenken. Steiner beschreibt eine psychologische Wirklichkeit, die zutiefst furchteinflößend ist.
Ich habe diese kollektive Fähigkeit zur Selbsttäuschung während des Krieges in Bosnien und Kosovo bei den städtischen Eliten in Sarajevo und später in Pristina gesehen. Die gebildeten Eliten haben sich unerschütterlich geweigert zu glauben dass ein Krieg möglich ist, obwohl Gewaltakte von rivalisierenden bewaffneten Banden bereits damit begonnen hatten, am Sozialgefüge zu zerren. In der Nacht konnte man Schüsse hören. Aber sie waren die letzten, die es "wussten". Und auf gleiche Weise befinden auch wir uns in der Selbsttäuschung. Die physischen Hinweise auf den nationalen Zerfall - die bröckelnden Infrastrukturen, die verlassenen Fabrikgebäude und andere Orte der Arbeit, die Reihen zerstörter Lagerhallen, das Schließen von Bibliotheken, Schulen, Feuerwehrhäusern und Poststellen - die wir sehen, bleiben am Ende ungesehen. Der schnelle und furchteinflößende Verfall des Ökosystems, bewiesen durch steigende Temperaturen Dürren, Fluten, Ernteausfälle, wahnsinnige Stürme, schmelzende Eiskappen und steigende Meeresspiegel, ihnen allen wird mit Steiners "blindem Auge" begegnet.
Kommentar:
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Ödipus, am Ende von Sophokles Theaterstück, sticht sich die Augen aus, und wandert unter der Führung seiner Tochter Antigone ins Hinterland. Einstmals ein König wird er nun zum Fremden in einem fremdem Land. Er stirbt in Antigones Worten "in einem fremden Land, aber einem, das er ersehnt hat".
William Shakespeare spielt in seinem King Lear mit dem gleichen Thema von Sehen und Blindheit. Diejenigen mit Augen sind in King Lear nicht in der Lage zu sehen. Gloucester, dessen Augen ausgestochen wurden, findet in seiner Blindheit die Wahrheit offenbart. "Ich habe keinen Weg, und will deshalb keine Augen," sagt Gloucester nachdem er geblendet wurde. "Ich stolperte als ich sah". Als Lear seine einzige loyale Tochter Cordelia verbannt, welche er beschuldigt ihn nicht genug zu lieben, schreit er "Aus meinen Augen!", worauf Kent erwidert:
Schaut genauer, Lear, und lass mich bleibenDie Erzählung von Lear, genau wie die Geschichte von Ödipus, handelt vom Erlangen dieser inneren Sicht. Sie handeln von Moral und Intellekt, welche geblendet werden von Empirismus und Anschauung. Es geht darum zu verstehen, dass die menschliche Vorstellungskraft, wie William Blake es sah, unsere Manifestation der Ewigkeit ist. "Liebe ohne Vorstellungskraft ist ewiger Tod".
die wahre Leere Eures Auges.
Der Shakespeare-Gelehrte Harold Goddard schrieb: "Vorstellungskraft ist nicht die Fähigkeit zur Erschaffung von Illusionen; sie ist die Fähigkeit durch die allein der Mensch die Realität versteht. Am Ende wird die 'Illusion' zur Wahrheit." "Lass den Glauben den Fakt verdrängen" sagt Starbuck am Ende von Moby Dick.
"Es ist lediglich unser absurdes "wissenschaftliches" Vorurteil, dass Realität immer physisch und rational sein muss, welches uns für die Wahrheit blind macht", warnte Goddard. Es gibt, wie Shakespeare schrieb, "Dinge, die unsichtbar [sind] für die Sicht der Sterblichen". Aber diese Dinge sind nicht dem Beruf dienlich oder faktisch oder empirisch. Man findet sie nicht in nationalen Mythen von Ruhm und Macht. Man erlangt sie nicht durch Gewalt. Sie kommen nicht durch Kognition oder logische Schlussfolgerungen. Sie sind ungreifbar. Es sind die Realitäten von Schönheit, Trauer, Liebe, der Suche nach dem Sinn, dem Ringen unsere eigene Sterblichkeit anzuerkennen und der Fähigkeit der Wahrheit ins Angesicht zu blicken. Und jene Kulturen, die diese Kräfte der Vorstellungskraft verleugnen, begehen Selbstmord. Sie können nicht sehen.
"Wie soll mit dieser Wut noch Schönheit eine Bitte vortragen" schrieb Shakespeare, "Deren Akte nicht stärker sind als eine Blume?" Die menschliche Vorstellungskraft, die Fähigkeit Visionen zu haben, ein Leben von Bedeutung aufzubauen anstatt eines des Utilitarismus, ist so zerbrechlich wie eine Blume. Und wenn sie zertreten wird, wenn ein Shakespeare oder ein Sophokles in der empirischen Welt der Wirtschaft, des Karrierismus und der Macht der Aktiengesellschaften nicht länger als nützlich angesehen werden, wenn Universitäten glauben, ein Milton Friedman oder ein Friedrich Hayek seien wichtiger für die Studenten als eine Virginia Woolf oder ein Anton Chekhov, dann werden wir zu Barbaren. Wir stellen unseren eigenen Untergang sicher. Studenten, denen die Weisheit der großen Orakel der menschlichen Zivilisation verwehrt wird - Visionäre die uns ermahnen uns nicht selbst zu verehren, nicht vor der groben menschlichen Emotion der Gier nieder zu knien - können nicht gelehrt werden. Sie können nicht denken.
Um denken zu können muss man, wie Epikur sagt, "im Verborgenen leben". Wir müssen Mauern bauen, die die Scheinheiligkeit und den Lärm der Massen abschirmen. Wir müssen uns zurückziehen in eine Kultur der Druckerpresse wo Ideen nicht zu Geräusch-Bites und gedankenabtötenden Klischés deformiert werden. Denken ist, wie Hannah Arendt schrieb, "ein geräuschloser Dialog zwischen mir und mir selbst". Jedoch, schrieb sie weiter, setzt Denken immer die menschliche Eigenschaft der Pluralität voraus. Es hat keine zweckmäßige Funktion. Es hat kein Ziel oder Sinn ausserhalb von sich selbst. Es unterscheidet sich von logischem Schlussfolgern, welches sich auf endliche und identifizierbare Ziele konzentriert. Die logische Vernunft, Akte der Kognition - sie dienen der Effizienz eines Systems, mit ein geschlossen der Macht von Konzernen, welche im allgemeinen bestenfalls moralisch neutral sind, und oft böse. Die Unfähigkeit zu denken, schreibt Arendt, "ist kein Fehler der Vielen, denen es an Gehirnkapazität fehlt, sondern eine immer präsente Möglichkeit für jedermann - Wissenschaftler, Gelehrte, und andere Spezialisten auf mentalen Gebieten nicht ausgeschlossen."
Unsere Konzernkultur hat uns maßgeblich von unserer menschlichen Vorstellungskraft getrennt. Unsere elektronischen Geräte dringen tiefer und tiefer ein in einen Raum, der früher der Abgeschiedenheit, der Reflektion und dem Privaten vorbehalten war. Unsere Luft ist erfüllt von Flitter und Absurdität. Unsere Systeme der Bildung und Kommunikation verachten die Disziplinen, die es uns erlauben würden zu sehen. Wir zelebrieren prosaische berufsbezogene Fähigkeiten und die lächerlichen Anforderungen von standardisierten Tests. Wir haben jene die denken - viele Lehrer der Humanwissenschaften eingeschlossen - in die Wildnis verjagt, wo sie weder Arbeit, noch Bezahlung noch eine Stimme finden können. Wir folgen den Blinden über die Klippe. Wir stehen mit uns selbst im Krieg.
Die entscheidende Wichtigkeit des Denkens, so schreibt Arendt, wird nur "in Zeiten des Übergangs", offensichtlich, "wenn die Menschen nicht länger von der Stabilität der Welt und ihrer Rolle in ihr abhängig sind, und wenn die Fragen bezüglich der allgemeinen Umstände des menschlichen Lebens, welche als solche zeitgenössisch mit dem Erscheinen des Menschen auf der Erde sind, ungewöhnliche Schärfe erlangen." Niemals brauchen wir unsere Denker und Künstler mehr als in Zeiten der Krise, wie Arendt uns erinnert, denn sie liefern uns die subversiven Erzählungen, die es uns erlauben den Kurs zu ändern, einen Kurs, der unser Überleben ermöglicht.
"Was muss ich tun um Erlösung zu erlangen?" fragt Dimitri Starov in Die Brüder Karamazov, woraufhin Starov antwortet: "Vor allem anderen, belüge dich niemals selbst."
Kommentar: Wie G. I. Gurdjieff schon sagte:
Ein Mensch muss zuallerst gewisse Dinge verstehen. Er hat Tausende falsche Ideen und falsche Konzepte, in erster Linie über sich selbst, und er muss diese loswerden bevor er anfängt, sich neue Dinge anzueignen. Ansonsten wird das Neue auf einer falschen Grundlage aufgebaut und das Resultat wird schlechter als zuvor sein. Die Wahrheit zu sagen ist das Schwierigste auf der Welt; man muss sehr viel und sehr lange beobachten um in der Lage zu sein die Wahrheit zu sagen. Der Wunsch allein genügt nicht. Um die Wahrheit zu sagen muss man wissen, was die Wahrheit ist und was eine Lüge ist, und zwar zuerst in sich selbst. Und dies will niemand wissen.In diesem Zusammenhang sind folgender Artikel samt Dokumentation sehr empfehlenswert:
Erkenne dich selbst: Der Schlüssel zur objektiven Weltanschauung und der Weg aus der Matrix
Und hier liegt das Dilemma, welchem wir als Zivilisation gegenüber stehen. Wir marschieren in die Selbstzerstörung hinein. Der Konzernkapitalismus wird uns, wenn er unüberprüft bleibt, töten. Und dennoch weigern wir uns - weil wir nicht denken können und wir nicht länger jenen zuhören die denken können - das zu sehen was auf uns zukommt. Wir haben Unterhaltungsmechanismen entwickelt, um die brutale Wahrheit zu verschleiern und sie verstummen zu lassen, von der Klimaerwärmung zum Kollaps der Globalisierung und unserer Versklavung durch die Konzerne; und das bedeutet unsere Selbstzerstörung. Und selbst wenn wir nichts anderes tun können, so müssen wir als Individuen wenigstens den privaten Dialog und die Abgeschiedenheit pflegen, welche das Denken möglich machen. Es ist besser ein Ausgestoßener zu sein, ein Fremder im eigenen Land, als ein Ausgestoßener des eigenen Selbstes. Es ist besser zu sehen was uns bevorsteht und ihm zu widerstehen, als sich in Fantasien zurück zu ziehen, die aus einer Nation von Blinden geschaffen wurden.
Chris Hedges hat fast zwei Jahrzehnte als Auslandskorrespondent in Zentralamerika, dem Mittleren Osten, Afrika und dem Balkan gearbeitet. Er hat aus mehr als 50 Ländern berichtet und hat für den Christian Science Monitor, National Public Radio, die Dallas Morning News und die New York Times gearbeitet; für letztere 15 Jahre als Auslandskorrespondent. Hedges ist Senior Fellow an dem Nation Institute in New York und hat an der Columbia University, der New York University und der Princeton University gelehrt. Momentan unterrichtet er Insassen der Justizvollzugsanstalt in New Jersey.
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