© Juraj Lipták / LDA Sachsen-AnhaltDiese Doppelbestattung der Schnurkeramischen Kultur bei Karsdorf im Burgenlandkreis wurde mit der 14C-Methode datiert. Vor ca. 4.760-4.680 Jahren wurden hier eine erwachsene Frau und ein Junge mit reichen Beigaben (Gefäße, Feuersteinklingen, Muschelpailletten, durchbohrte Hundezähne) bestattet.
Einer jüngst in der Zeitschrift NATURE veröffentlichten Studie zufolge fanden vor ca.
4.500 Jahren massive Wanderungsbewegungen aus den eurasischen Steppengebieten nach Europa statt, die einen deutlichen Einfluss auf die Verbreitung einiger indoeuropäischer Sprachgruppen gehabt haben müssen. Die Studienergebnisse stellen die populäre Theorie der Sprachverbreitung im Zusammenhang mit der Einwanderung der ersten Bauern vor mehr als 9.000 Jahren aus dem Nahen Osten in Frage.
Fast drei Milliarden Menschen sprechen heute eine der 445 Sprachen, die der indoeuropäischen Sprachfamilie zugerechnet werden. Dazu gehören auch Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Griechisch, Iranisch und Russisch. Die Ähnlichkeit dieser in Eurasien weitverbreiteten Sprachen wurde bereits vor 200 Jahren erkannt. Die Herkunft und Ausbreitung dieser Sprachen liegt jedoch noch weitestgehend im Dunkeln.
In einer am Montag im Wissenschaftsmagazin Nature erschienenen Studie nimmt sich ein internationales Forschungsteam dieser Frage mit Hilfe von DAN-Analysen an. Das Team unter Leitung der Harvard Medical School in Boston, USA, und des Australian Centre for Ancient DNA der Universität Adelaide fand bei ihren Untersuchungen Hinweise auf massive Wanderungsbewegungen aus den eurasischen Steppengebieten vor ca. 4.500 Jahren.
Neue Technik zur effizienteren GensequenzierungDie Studie beruht auf einer bisher einmaligen Datenbasis: Im Vergleich zu bislang vorliegenden Studien wurden mehr als doppelt so viele Genome prähistorischer Europäer sequenziert. »Das spiegelt einen grundlegenden Fortschritt in der DNA-Forschung wider, der es möglich macht, gleichzeitig die Genome Dutzender von Individuen zu testen«, sagt Projektleiter
Professor David Reich von der Harvard Medical School, dem Broad Institute und dem Howard Hughes Medical Institute. »Wir haben eine neue Technik entwickelt, die es uns erlaubt, die Teile des Genoms zu isolieren, welche die meisten Informationen über die Menschheitsgeschichte enthalten und haben nur diese Abschnitte sequenziert.«
Die Proben für die Studie wurden von einem internationalen Team unter maßgeblicher Beteiligung der Universitäten Mainz, Basel und Tübingen, dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt mit Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle sowie dem neuen Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena zusammengestellt. Über die Hälfte der Proben stammt aus Sachsen-Anhalt, wo beim Bau einer ICE-Trasse und von Bundesstraßen wertvolle Neufunde gemacht wurden, deren genetische Analyse durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell unterstützt wurde.
Gemeinsame Herkunft der frühen BauernInsgesamt wurden die Gene von über 90 Individuen sequenziert, die zwischen 3.000 und 8.000 Jahren vor heute in Europa lebten. Bei der Analyse der Datensätze kristallisierten sich zwei wesentliche Bevölkerungsumbrüche heraus:
Der erste Umbruch geht auf die Ausbreitung der frühen Bauern über ganz Europa zurück. Diese zogen vor mehr als 9.000 Jahren aus dem Nahen Osten nach Westen und wurden bereits vor rund 7.500 Jahren in Mittel- und Westeuropa sesshaft.
Diese Bevölkerungsgruppe unterscheidet sich genetisch deutlich von den damals in Europa lebenden Jägern und Sammlern. Archäologisch wurden bisher zwei unterschiedliche Wanderungsrouten der Bauern beschrieben, welche im Wesentlichen auf Unterschieden im materiellen Fundgut, z. B. Keramiken, aus dem Mittelmeerraum und dem mittel- und nordeuropäischen Raum beruhen. »Die genetischen Daten bestätigen dies jedoch nicht«, sagt Erstautor
Dr. Wolfgang Haak von der Universität Adelaide. »Die frühen Bauern aus Spanien, Deutschland und Ungarn sind genetisch nahezu identisch, was auf einen gemeinsamen Ursprung im Nahen Osten schließen lässt.«
Die »Jäger-Sammler-Bevölkerung« ist jedoch nicht komplett verschwunden. »Um 6.000 bis 5.000 Jahren vor heute sehen wir einen Wiederanstieg des Jäger-Sammler-Anteils im Genom”, sagt Co-Erstautor
Dr. Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School.
»Das bedeutet, dass Jäger-Sammler-Gesellschaften noch bis lange nach Ankunft der Bauern bestanden haben müssen.« »Es zeigt aber auch, dass Jäger-Sammler nach und nach in bäuerliche Gemeinschaften integriert wurden«, fügt Autor
Professor Kurt Alt von der Universität Basel und der Privatuniversität Krems hinzu.
Die Wanderungsbewegung aus dem OstenBereits in vorausgegangenen Arbeiten hatten einige der Autoren auf die genetische Zusammensetzung aller Europäer aus drei wesentlichen Bestandteilen hingewiesen:
genetischen Anteilen von Jäger-Sammler-Populationen, ersten Ackerbauern und Viehzüchtern und einer dritten Komponente mit Ähnlichkeit zu Sibiriern und sogar den ersten Indianern Amerikas. Die Auswertung des Erbgutes der frühen Bauern hatte gezeigt, dass dieser dritte Anteil zu dieser Zeit noch nicht in Europa vorhanden war und daher erst später hinzugekommen sein musste. Wann und wie dies geschah, war jedoch unklar.
»Es war ein echtes Aha-Erlebnis, als wir die ersten Daten ansahen«, schwärmt Lazaridis.
»Der dritte Anteil war in jedem Individuum zu sehen, das jünger als 4.500 Jahre war, und in keiner der älteren Proben aus Mitteleuropa.« Haak geht sogar noch weiter:
»Das Signal ist so stark, dass man fast von einer genetischen Datierung sprechen könnte, basierend auf dem Vorkommen von ein, zwei oder allen drei Komponenten.« Tatsächlich fanden sich unter den Proben auch einige Ausreißer, die bisher archäologisch allein aufgrund der Ausrichtung der Bestattungen als älter eingestuft wurden, allerdings die dritte Komponente aufwiesen. Zur Klärung des Alters dieser beigabenlosen Bestattungen wurden 14C-Datierungen in Auftrag gegeben. »Die auffälligen Übereinstimmungen in den materiellen Hinterlassenschaften der Schnurkeramik- und der Yamnaya-Kultur waren bereits bekannt. Diese enge Verbindung konnte nun auch naturwissenschaftlich belegt werden.«, ergänzt
Professor Harald Meller, Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale).
»In Deutschland sind es die sogenannten Schnurkeramiker am Übergang zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit, bei welchen erstmals die dritte Komponente auftaucht und deren genetisches Material damit einen zweiten Bevölkerungsumbruch markiert. Und zwar mit lautem ‚Hallo!’«, sagt Haak. »Basierend auf einem direkten Vergleich mit Individuen der
Yamnaya-Kultur, Viehhirten aus den eurasischen Steppengebieten, konnten wir den genetischen Steppenanteil in den Schnurkeramikern aus Sachsen-Anhalt auf beträchtliche 75 Prozent errechnen,« sagt Lazaridis, und fügt hinzu, »dass sich die Schnurkeramiker und die Yamnaya-Population trotz geographischer Distanz von 2.600 km erstaunlich ähnlich sehen.«
Indoeuropäisch aus der Steppe?Bei einem genetischen Einschlag dieser Größenordnung drängt sich die Frage auf, ob diese Expansion auch einen Einfluss auf die Verbreitung von Sprachen hatte. »
Die Ergebnisse legen nahe, dass die Schnurkeramiker nicht nur genetisch eng mit den Hirten aus der Steppe verwandt sind, sondern möglicherweise auch eine ähnliche Sprache hatten«, sagt Lazaridis. »Da sämtliche Mittel- und Nordeuropäer heutzutage einen hohen genetischen Anteil der damaligen Steppenbewohner in sich tragen und zudem eine indoeuropäische Sprache sprechen, ist zumindest ein deutlicher Beitrag der Steppe nicht ausschließen«, bemerkt Haak. Das deckt sich mit der Ansicht von Linguisten, die argumentieren, dass die Sprachentwicklung schneller voranschreitet als die der Gene und nach deren Ansicht eine Verbreitung der indoeuropäischen Sprache mit den ersten Bauern daher einige tausend Jahre zu alt ist. Reich fügt hinzu: »Unsere Ergebnisse stellen die Theorie der Sprachverbreitung im Zusammenhang mit der Einwanderung der ersten Bauern in Frage und belegen mit der spätneolithischen Wanderung aus der Steppe einen Bevölkerungsumschwung beachtlichen Ausmaßes, der eine spätere Verbreitung des Indoeuropäischen plausibel macht.«
Die fachübergreifende Interpretation von archäologischen, linguistischen und genetischen Daten ist jedoch kontrovers. »Das ist ein heikles Thema und muss mit Bedacht angegangen werden«, warnt Mitautor
Johannes Krause, Direktor des neuen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena. »Allerdings haben wir mit alter DNA endlich die zeitliche und genetische Auflösung, die uns hier weiterbringen kann. Wir haben diesbezüglich schon einen Workshop im Oktober in Jena anberaumt, in welchem wir uns zusammen mit Experten aus allen drei Fachrichtungen diesen Fragen widmen wollen.«
Eine nach wie vor ungelöste Frage ist die nach dem Ursprung der indoeuropäischen Sprachfamilie. Reich, Haak und ihre Kollegen sind trotz der monumentalen Aufgabe optimistisch, dass man sich der Lösung annähern wird. Haak sagt zuversichtlich: »Die Hauptaufgabe besteht nun darin, nach und nach die Fundlücken in unserer genetischen Kartierung zu stopfen. Wir wollen verstehen, wie ähnlich sich Bevölkerungsgruppen aus Europa, Anatolien, dem Kaukasus, Iran und Indien vor 3.000 bis 6.000 Jahren waren, um so dem potentiellen Ursprung der indoeuropäischen Sprachen näher zu kommen.«
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