EU-Kommissionspräsident Juncker verweist darauf, dass Europas Terroristen nicht von außen importiert wurden. Sie seien hier aufgewachsen. Eine besondere Mahnung richtet er an die Jugend Europas.
Jean-Claude Juncker
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigt sich im Interview tief erschüttert über die Anschläge in Brüssel - in der Stadt, in der auch er lebt, seit er Chef der EU-Kommission ist. Er fühle sich inzwischen als Brüsseler, und er findet, dass die Belgier stolz sein können auf die Reaktion der Menschen nach den Attentaten. Für die Taten der Terroristen sucht er nach Erklärungen, ohne abschließende Schlüsse zu ziehen. Er appelliert aber an die jungen Menschen in Belgien und ganz Europa, sich nicht kleinkriegen zu lassen und die Hoffnung nicht zu verlieren.

Frage: Wie fühlen Sie sich heute, am Tag nach den tragischen Ereignissen?

Jean-Claude Juncker: Ich bin nach wie vor traurig, denn ein Ereignis wie dieses bewegt einen natürlich zutiefst. Doch nach einem Treffen mit dem belgischen Premierminister auf der Place de la Bourse bin ich trotz allem auch voller Optimismus, denn ich habe auf diesem Platz junge Belgier und auch viele andere singen hören. Und zu sehen, wie diese Jugendlichen sich ganz offensichtlich nicht unterkriegen lassen wollen und diesen Hasstiraden und hasserfüllten Aktionen eine klare Botschaft der Liebe entgegenstellten, das macht Mut. Daher bin ich zwar traurig, aber nicht verzweifelt.

Frage: War die Schweigeminute gestern Mittag in der EU-Kommission sehr schwer?

Juncker: Die Terroristen wollten Europa ins Herz treffen. Warum hätten sie sonst ihre verachtenswerten Taten so nahe am Sitz der Europäischen Institutionen begangen, wenn sie damit nicht die Botschaft vermitteln wollten, dass sie die Werte und Prinzipien Europas attackieren?


Kommentar: Sie attackierten dabei nicht diejenigen die wirklich Schuld tragen an den vielen weltweiten Kriegseinsätzen.
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Diese Schweigeminute war kein symbolischer Akt, sondern einer des Herzens. Dass der König, die Königin und die französischen und belgischen Premierminister in die Kommission gekommen waren, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen, das war ein starkes Signal. Das war nicht nur ein symbolischer Akt, sondern der Beweis von fest verwurzelten Überzeugungen, aus unserem tiefsten Inneren heraus.

Frage: Was möchten Sie heute den Brüsselern und Belgiern sagen?

Juncker: Noch bevor ich hierherzog und noch mehr, seit ich hier lebe, fühle ich mich als Brüsseler und Belgier, ich nehme am Leben dieser Stadt teil. Ich möchte den Brüsselern meine Hochachtung aussprechen, vor allem den jungen Menschen, dafür, dass sie sich wehren. Sie lassen den Mut nicht sinken, verändern auch nicht ihre Sicht, was Menschlichkeit angeht, sie bleiben bei ihren Überzeugungen. In einem Moment, in dem man uns dazu bringen will, unsere Toleranz aufzugeben, haben die jungen Belgier und Brüsseler eine mutige Toleranz bewiesen. Eine enorme Zahl von Menschen, Feuerwehrleute, Polizisten, zivile Helfer, sie alle haben in den letzten Tagen Enormes vollbracht, was ich ebenfalls würdigen möchte. Die Belgier können heute stolz auf sich sein.

Frage: In der französischen und englischen Presse wird Belgien als ein "failed state" dargestellt, ein Staat, der versagt.

Juncker: Dieser arroganten Einstellung muss ich klar widersprechen. Schon nach der letzten Sitzung des Europäischen Rates habe ich die Gelegenheit genutzt und auf einige Äußerungen gewisser türkischer Politiker geantwortet, die Belgien als unbedeutend dargestellt hatten. Wahr ist: Belgien ist alles andere als unbedeutend!

Frage: Es ist kein Nest von Dschihadisten, in dem alles Unglück Frankreichs seinen Anfang gefunden hat?

Juncker: Sollen doch die, die ohne Fehl sind, den ersten Stein werfen. Wer bitte hat im Bereich Terrorismus keine Fehler begangen? Es gab auch im Vereinigten Königreich schlimme terroristische Anschläge, in den 80er- und 90er-Jahren auch in Deutschland, in Spanien, in Italien und so weiter. Also sollte man jetzt nicht die Belgier belehren. Ich beteilige mich nicht an dieser Art von Missachtung.

Die Opfer stammen aus 40 Nationen, was auch zeigt, wie polyglott und multinational die belgische Hauptstadt ist, dass sie enorm vielfältig ist. Ich beobachte genau, wie das belgische Volk der Herausforderung begegnet, vor der es steht. Ich sehe, dass die belgischen Autoritäten und die Sicherheitsdienste mit wirklicher Professionalität reagieren. Im Vergleich zu so mancher Amateurhaftigkeit, die wir sonst erleben.

Frage: War die Kritik des französischen Ministers Michel Sapin an der Naivität der Belgier in den Gesprächen vom Mittwoch zwischen den Premierministern Valls und Michel nicht auch spürbar?

Juncker: Ich hatte mit dem französischen Premierminister ein langes Gespräch und habe dabei auch nicht die geringste Kritik oder auch nur eine Spur von Verurteilung seinerseits bezüglich dessen, was ich gerade erwähnt habe, erkennen können.

Frage: Mehr als ein Jahr nach Charlie Hebdo gibt es immer noch Koordinationsprobleme zwischen den Mitgliedsstaaten. Kommissar Avramopoulos hat es gestern Mittag so formuliert: "Die Mitgliedsstaaten müssen einander vertrauen." Doch dieses Vertrauen gibt es nicht. Unfassbar, oder?


Kommentar: Oder es soll bewusst so sein, denn letzten Endes wäre ein wirklich vereinigtes Europa eine Gefahr für die USA.
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Juncker: Ich habe als Ministerpräsident 1999 an einem Europarat in Finnland teilgenommen, bei dem wir uns geschworen haben, einen vollständigen und kompletten Informationsaustausch unter den Geheimdiensten zu schaffen. Dann nahm ich 2001, nach den Attentaten, bei einem Europaratstreffen teil, bei dem wir uns feierlich geschworen haben, einen perfekten Austausch von Informationen zwischen den Geheimdiensten zu schaffen. Und ich stelle fest, dass bis heute dieser Austausch höchst sparsam ist, um es vorsichtig auszudrücken. Ich wünschte mir, wir würden die Entscheidungen, die wir doch selbst getroffen haben, auch umsetzen oder sie in Gesetze verwandeln, diese guten Vorschläge, die die Kommission selbst formuliert hat.

Frage: Wie viele müssen noch sterben, bis das geschieht?

Juncker: Genau diese Frage habe ich mir auch gestellt. Und gerade weil ich sie mir gestellt habe, habe ich mir gesagt: Auch wenn es sehr lange dauert, bis die Fluggastdatenspeicherung endlich vom Europaparlament abgesegnet wird - was allerdings schnell verabschiedet werden sollte - , und auch wenn die Vorlage zum Waffenbesitz bereits beschlossen wäre und sogar wenn man ein ganzes Datensystem aufgebaut hätte: Wäre all das ausreichend gewesen, um die Geschehnisse von Brüssel zu verhindern? Das ist nicht unbedingt gesagt. Die Vorschläge, die wir unterbreitet, und die Entscheidungen, die wir getroffen haben, das sind nur Glieder einer Kette, die solider sein muss als die Gesetze selbst. Es existiert innerhalb unserer Gesellschaften eine kriminelle Energie, die keinesfalls nur am Rande besteht, und wir tun uns sehr schwer, sie zu bekämpfen.


Kommentar: Auch wenn es unwahrscheinlich ist, redet Juncker hier von Psychopathen in Machtpositionen?

Ich denke immer wieder über ein Phänomen nach, das ich kaum zu formulieren wage: Es gab doch auch in den 60er- bis 90er-Jahren Terroranschläge in verschiedenen Ländern Europas, und ich habe den Eindruck, dass diese Attentate damals die Völker Europas weniger betroffen gemacht haben als das, was jetzt passiert. Warum? Dabei gab es damals sogar noch eine höhere Anzahl von Opfern.

Frage: Liegt das vielleicht an der religiösen Komponente?

Juncker: Eben das frage ich mich. Die Terroristen von damals, das waren unsere eigenen. Aber wenn ich jetzt mal eine Dimension hinzufüge, die es damals noch nicht gab: Das sind religiöse Fanatiker, die Namen tragen, die nicht belgisch, luxemburgisch, deutsch oder französisch klingen. Es scheint, als ob der Terrorismus, der uns heute attackiert, von außen importiert wurde, dabei wurden diejenigen, die diese Taten begehen, in Wahrheit hier geboren, oft sogar auch ihre Eltern. Sie sind durch unsere Schulsysteme gegangen und haben aktiv an unserem sozialen Leben teilgenommen. Sie vermitteln nur den Eindruck, dass sie von woanders kämen, dabei sind sie von hier!


Frage: Und Ihre Schlussfolgerung: Haben wir bei ihrer Integration versagt, oder ist der Islam nur in kleinen Dosen mit der europäischen Gesellschaft kompatibel?

Juncker: Eine eindeutige Antwort habe ich darauf nicht, und ich will auch nicht dem simplen Reflex nachgeben, der all das als eine rein religiöse Frage oder als gescheiterte Integration deklarieren will. Aber es stimmt, dass keines unserer Länder in Sachen Integration sonderlich erfolgreich ist. Das ist unsere Schuld und auch die Schuld derjenigen, die immer wieder den nationalen Anstrengungen widerstehen und sich weigern, diejenigen zu integrieren, die zwar von woanders herkommen, aber längst bei uns sind. Es ist ein Wettstreit zwischen zwei Seiten in Sachen Integration.

Frage: Brauchen wir ein europäisches FBI?

Juncker: Ich bin sehr für den Austausch von Informationen zwischen Polizei und Geheimdiensten. Aber nur weil wir einem Skelett einen Hut aufsetzen, verleihen wir ihm kein Fleisch und Blut. Anders gesagt: Nur weil wir einer Sache, die es nicht gibt, einen Namen geben, wird das den Lauf der Dinge nicht ändern.

Frage: Was kann man also tun gegen den Terrorismus? Warten, bis er wieder aufhört?

Juncker: Man erwartet von den verantwortlichen Politikern immer, dass sie auf alles eine Antwort haben, dass alle ihren Vorschlägen folgen und sich dadurch alles verändert. Doch dem ist nicht so.

Frage: Ist denn nicht genau das Politik?

Juncker: Schon, aber man darf sicherlich auch nicht zu viel erwarten. Ich glaube - und das ist nur ein geringer Trost, aber dennoch meine Erfahrung der letzten Tage - , man muss auf diese jungen Menschen schauen, die so eine Welt nicht wollen. Wir haben ihnen erklärt, dass Krieg eine Sache unserer Großeltern und Eltern war und dass gewaltsame Auseinandersetzungen einer dunklen Vergangenheit angehören. Und dass es heutzutage Phänomene gibt, die man weder auf den ersten Blick noch nach intensiverem Nachdenken nachvollziehen kann. Ich glaube, wir können die Zukunft unserer Gesellschaften auf der Bereitschaft der jungen Leute aufbauen, die Nein sagen zu dieser Welt, die sich da gerade entwickelt.

Frage: Diese jungen Leute, die sich selbst in die Luft sprengen, sagen auch auf ihre Weise Nein zu der Welt, wie sie sie sehen.

Juncker: Ich will die Motivation derjenigen, die anderen Leid zufügen, gar nicht verstehen. Andererseits muss man über die Ursachen nachdenken. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für diese barbarischen Taten, aber ich bin bereit, mit allen zu diskutieren, die sich in unseren Gesellschaften nicht wohlfühlen. Auch wir haben durchaus manchmal Probleme mit unserem Zusammenleben, aber ich ziehe diese Art des Zusammenlebens hundertmal dem in anderen Gesellschaften vor, in denen Menschen aufgrund von Vorurteilen abgelehnt werden.

Frage: Der französische Ex-Präsident Sarkozy sagt, dass man die Europäische Verfassung mehr auf den Grundlagen der christlichen Werte hätte aufbauen sollen.

Juncker: Ich bin Christdemokrat, aber ich beziehe mich nur sehr ungern auf Dinge, in denen es um den Glauben geht. Ich weigere mich zu denken, dass die islamische Welt anders ist als unsere jüdisch-christlich inspirierte, was die essenziellen Werte anbetrifft. Ich habe viele islamische Freunde, auch Atheisten, Christen - und wann immer wir über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens sprechen, erkenne ich nicht den geringsten Unterschied zwischen den einen oder den anderen. Den Eindruck zu vermitteln, dass wir nicht genug auf christliche Werte bestehen, das erscheint mir eine gefährliche Vereinfachung der Dinge zu sein, denn sie provoziert einen kritischen Blickwinkel der Mehrheit auf die, die anders sind als wir. Ich mag keine Unterschiede hervorheben, ich bin ein Mann der Gemeinschaft.

Frage: Viele halten diese Ansicht für naiv.

Juncker: Ich bin viel lieber naiv als anderen feindlich gesinnt. Ich finde, wir bestehen zu Recht auf jenen zivilisatorischen Grundlinien, die die unsrigen sind. Ich widerspreche jeder Versuchung, zu einer übermäßigen Trennung zwischen Männern und Frauen zurückzukehren. Man muss auch Stopp sagen können, wenn wir anfangen, unsere wichtigsten Prinzipien Stück für Stück zu verkaufen. Aber ich weigere mich entschieden, die Welt in zwei Abteilungen einzuteilen: die der tugendhaften Christen und die der Heiden.

Frage: Wo sehen Sie in dieser Frage die Türkei?

Juncker: Auf diese Frage habe ich schon gewartet, doch sie hat mit den Ereignissen in Brüssel nichts zu tun.

Frage: Sie berührt aber das Thema der Verteidigung der europäischen Werte.

Juncker: Es ärgert mich, wenn man uns im Zusammenhang mit den Vereinbarungen mit der Türkei beschuldigt, die europäischen Werte nicht zu respektieren. Ich habe immer dafür gesorgt, dass diese Prinzipien in den langjährigen Beziehungen mit der Türkei anerkannt wurden. In unseren Vereinbarungen mit der Türkei haben wir verlangt, dass sie das europäische und internationale Recht unterschreiben müssen - und das haben sie getan. Und wir bestehen auf der absoluten Notwendigkeit, dass die Genfer Konvention respektiert wird; wir beharren ganz klar auf unseren Überzeugungen, wenn es um die Rechte von Frauen und Männern geht. Wir sind nicht dafür da, in Europa Gefängnisse zu organisieren, sondern um das Leben der Flüchtlinge - die wirklich bedauernswerte Menschen sind - "angenehmer" zu machen.

1997 wollte die Türkei EU-Beitrittskandidat werden, und ich habe ihren Antrag abgelehnt, obwohl gerade der Druck aus Frankreich enorm war. Ich habe damals gesagt, dass "es für ein Land, in dem gefoltert wird, keinen Platz am europäischen Tisch gibt". In Sachen Menschenrechte brauche ich keinerlei Lektion von anderen.

Frage: Wurden diese Dinge vielleicht verhandelt, als Frau Merkel Sie aus den Verhandlungen herausgehalten hat?

Juncker: Ich habe mit Frau Merkel schon so manche deftige und heftige Debatte geführt, doch in Sachen Flüchtlinge sind wir beide absolut einer Meinung. Heute mokieren sich viele über die humanen Gesten, die von den europäischen Vertretern zu sehen waren, man beschuldigt sie, Europa zu schwächen, das "Wir schaffen das!" von Merkel und die von Tränen überwältigte Mogherini.

Das sind Tränen, die derjenigen, die sie geweint hat, nur zur Ehre gereichen. Es gibt Momente im Leben der Völker, in denen es besser ist zu weinen, als zu schießen. Auch diese Art von Sensibilität ist europäisch. Und die negativen Kommentare über die Tränen von Mogherini oder den zutiefst christlichen und humanen Reflex Merkels sind einfach abscheulich.

Frage: Man sagt, dass man mit guten Gefühlen keine Politik machen kann.

Juncker: Bevor man Politik machen kann, muss man andere nicht nur respektieren, sondern lieben lernen. Ich bin kein Dorfpriester, aber wenn man die anderen Menschen nicht liebt, macht man schlechte Politik.


Kommentar: Und fast alle Menschen in Machtpositionen sind heutzutage Psychopathen. Psychopathen sind Menschen ohne Gefühle.

Frage: Hat man den jungen Menschen ein Europa angedient, das es heute nicht mehr gibt?

Juncker: Ich glaube nicht, dass man uns verantwortungsloses Verhalten vorwerfen kann. Schließlich will doch keiner die Basis unseres Erbes zerstören, das wir denen hinterlassen, die nach uns kommen. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass man den Jungen sagen sollte - ohne sie belehren zu wollen - , dass die europäische Integration die einzige mögliche Antwort ist. Wieder zu der alten Technik der kleinen Ländergrüppchen zurückzukehren - ist das ein Projekt für die Zukunft? Wir sind der kleinste Kontinent, unser relatives Gewicht wird weniger. Die einzige Antwort, die wir unseren Jugendlichen, die einmal unsere Länder lenken und leiten werden, mitgeben können, ist: unser Europa weniger zerbrechlich zu machen.

Frage: Sind Sie enttäuscht von der immer geringer werdenden Solidarität, die einige Länder unter den 28 zeigen?

Juncker: Manchmal bedauere ich diese Risse und Brüche durchaus, die da ganz offensichtlich entstanden sind. Es gibt keine Gemeinschaft in der "Europäischen Gemeinschaft". Warum nur, nach so vielen tragischen Erfahrungen, aber auch so vielen glücklichen Augenblicken, wie beispielsweise der deutschen Wiedervereinigung, zweifeln wir immer noch, warum ziehen manche Länder immer noch ihre nationalen Wege vor, die letztendlich doch nur wieder zu gefährlichen Konfrontationen führen?

Frage: Befindet sich Europa im Krieg?

Juncker: Ich weigere mich, diesen Ausdruck zu gebrauchen, denn niemand soll den Eindruck bekommen, dass wir uns in einem Bürgerkrieg befinden. Wir müssen eine Schlacht schlagen, einen erbitterten Kampf führen, und diesen, wenn nötig, auch ohne Pardon gegenüber denjenigen, die unsere ganze Lebensweise infrage stellen. Aber ich mag den Ausdruck "Krieg" nicht verwenden.

Ich wünschte mir, wir würden uns auf einen gemeinsamen Plan einigen, die besten Kräfte Europas vereinen. Wenn wir das schaffen, dann werden wir schließlich auch in der Lage sein, den Terrorismus aus unserer Region zu vertreiben. Ich weiß, dass das alles naiv klingt. Aber ich bleibe dabei, dass wir Vertrauen haben müssen in die großen Anstrengungen, zu denen die Europäer in der Lage sind. Nach dem Krieg, als unsere Eltern aus den Konzentrationslagern und von den Schlachtfeldern zurückkehrten, haben sie alle spontan gesagt: Das darf es nie wieder geben, und sie haben die Courage aufgebracht, es anders zu machen. Man darf im Leben, und auch im Leben eines Kontinents, nie die Hoffnung verlieren, dass wir die Dinge auch wieder verändern können.

Ich kann die Bitterkeit und die Verzweiflung der jungen Menschen verstehen, aber wenn die Älteren, die sich eigentlich einer gewissen Reife rühmen, selbst in diesen defätistischen Jargon verfallen, wo kommen wir dann hin? In was für einer Welt leben wir dann, wenn wir keine Kraft mehr haben, keinen Willen und vielleicht auch keine Macht mehr, den Jungen Hoffnung zu geben? Unsere wichtigste Aufgabe ist jetzt, die jungen Menschen davon zu überzeugen, dass sie zu Recht die Hoffnung nicht aufgeben. Seit ich hier in Brüssel lebe, bin ich zu einem noch überzeugteren Europäer geworden.

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben der „Welt“ die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Soir“ aus Belgien, „Le Figaro“ aus Frankreich sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Der Tagesanzeiger“ an.