Tausende Menschen mit armenischen Wurzeln sind am Sonntag weltweit auf die Straßen gegangen, um an den Völkermord an der armenischen Bevölkerung im damaligen Osmanischen Reich im Jahr 1915 zu erinnern. Die Demonstranten forderten die Türkei als völkerrechtlichen Nachfolgestaat auf, diese Ereignisse als „Genozid“ anzuerkennen. Gleichzeit sorgt in Schweden die Aufforderung der dortigen türkischen Botschaft, einen Dokumentarfilm über den Genozid an den Armeniern abzusetzen, für Empörung.

Reuters
© Armenien Genozid
Der armenische Präsident Serzh Sargsian und seine Ehefrau Rita Sargsian legten anlässlich des 101. Gedenkjahres der Ereignisse von 1915 Blumen am Genozid-Denkmal in Jerewan nieder. An dem Event nahmen unter anderem auch der Hollywood-Star George Clooney und Charles Aznavour, der 92-jährige französische Chansonnier mit armenischen Wurzeln, teil.

Sargsian nutzte die Gelegenheit, um auf das aktuelle Aufflammen der Feindseligkeiten mit dem Turkstaat Aserbaidschan im Bergkarabach-Konflikt hinzuweisen. Kommentar: USA kann es nicht lassen? Neuer Krieg im Kaukasus wird zur Gefahr für RusslandDie multiethnische Enklave befindet sich politisch als auch militärisch in einem Schwebezustand, seit sich beide Konfliktparteien 1994 auf einen Waffenstillstand einigten. Zuvor nahm die armenische Seite die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörige Region mit militärischer Gewalt ein. Aserbaidschan beansprucht diese Region immer noch für sich.


In diesem Kontext betonte der armenische Präsident nochmals seine Entschlossenheit, gegenüber Aserbaidschan:
„Ich erkläre das vor der ganzen Welt: Es wird keine Vertreibung oder Deportation der Armenier in Bergkarabach geben. Wir werden keinen weiteren Völkermord an den Armeniern ermöglichen. ‚Wir‘ bedeutet: Die armenische Nation.“
In Moskau kamen ebenfalls zahlreiche Menschen zum Gedenken an den Völkermord zusammen. Sie trugen Armenien- und Russland-Flaggen. Dabei erinnerten sie in Reden und Gesängen an 1915. Russland gilt als einer der außenpolitisch engsten Verbündeten Armeniens. In Russland lebt zudem eine signifikante armenische Diaspora.


„Die Erinnerung an die Opfer des Völkermords wird ewig leben“, ist auf einem großen, schwarzen Demonstrationsbanner in der russischen Hauptstadt zu lesen.

In Griechenland demonstrierten hunderte ethnische Armenier gemeinsam mit Unterstützern. Sie marschierten durch Athen und warfen der Türkei und Aserbaidschan vor, den Konflikt um die umstrittene Region Bergkarabach zu eskalieren.


Kommentar: Der Vorwurf entspricht der Realität...


Ähnliche Demonstrationen gab es in der iranischen Hauptstadt Teheran. Auch hier forderten Demonstranten Ankara dazu auf, die Ereignisse von 1915 als „Genozid“ anzuerkennen. Außerdem wurden die Feindseligkeiten um Bergkarabach kritisiert.
„Unsere Forderung ist, dass die Türkei die historische Wahrheit und die legale Verantwortung dafür anerkennt.“
So Karen Khanlari, eine iranisch-armenische Parlamentsabgeordnete, im Interview mit der Nachrichtenagentur Ruptly.


Nach armenischer Darstellung begannen die Massaker von Armeniern im Osmanischen Reich mit der Festnahme von 250 Intellektuellen in Istanbul. Diese sollen im weiteren Verlauf getötet worden sein.

Angesichts ihrer territorialen Siedlungsnähe zur Front mit dem zaristischen Russland in Ostanatolien und ihrer Positionierung aufseiten Moskaus im Ersten Weltkrieg hatten die Osmanen nach Revolten im Hinterland entschieden, die osmanischen Armenier zu deportieren.

Die Türkei, der Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, gibt seinerseits zu, dass zahlreiche osmanische Armenier zu dieser Zeit schlecht behandelt wurden und eine nicht unerhebliche Zahl starb. Ankara jedoch betont, dass die Zahl der Opfer aus politischen Erwägungen von einigen armenischen Organisationen stark übertrieben werde. Türkischen Darstellungen zufolge gab es keinen „Genozid“. Die Umstände und die Art der Übergriffe könnten laut der offiziellen türkischen Argumentation nicht offiziell als systematische Anstrengung seitens des Osmanischen Reiches gewertet werden, die eine gezielte Vernichtung der armenischen Minderheit zum Ziel gehabt hätte.

In diesem historischen Kontext, hat die türkische Botschaft zu Stockholm den schwedischen Fernsehsender TV4 gebeten, eine Dokumentation über die Verfolgung von Armeniern während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich nicht auszustrahlen. Dabei wurde der Sender dazu aufgefordert, die Ausstrahlung des Films „zu überdenken“, da dieser „am Prinzip der Objektivität scheitern“ würde.

Im Vorfeld der Ausstrahlung des Dokumentarfilms mit dem Titel „Seyfo 1915 - Der assyrische Genozid“ teilte TV4 mit, dass der Sender eine E-Mail vom Pressesprecher der türkischen Botschaft, Arif Gülen, erhalten habe. In dieser stellte sich der türkische Diplomat gegen die Verwendung des Begriffs Genozid:
„[...] die Entscheidung über die Ausstrahlung des Dokumentarfilms zu überdenken. Nur ein kompetentes, internationales Gericht kann entscheiden, ob ein bestimmtes Ereignis ein Völkermord ist.“
Der Brief wurde später auf der Webseite des Medienunternehmens veröffentlicht.

Das Anliegen der türkischen Botschaft provozierte eine scharfe Reaktion beim schwedischen Fernsehsender, welcher Gülens Initiative als Versuch der Einflussnahme und politischen Druck wertete. TV4 versprach, den Dokumentarfilm dennoch auszustrahlen.

Die Programmdirektorin von TV4, Viveka Hansson, gab in einer schriftlichen Stellungnahme an:
„Wir können das nicht akzeptieren. Wir protestieren gegen jeden Versuch, Druck auszuüben, um die freie Meinungsäußerung zu bedrohen.“
Weltweit erkennen angesichts der Quellenlage die meisten Historiker den Genozid als belegt an. Die Armenier selbst nennen das Ereignis Aghet (Katastrophe).