Als "Repressionsvereinfachung" bezeichnet Susan Bonath in der Jungen Welt den Gesetzesentwurf des SPD-geführten Ministeriums für Arbeit und Soziales bezüglich der Neureglung des Hartz IV-Systems. Und in der Tat trifft diese Bezeichnung den Kern des seit vier Jahren anhängigen Vorhabens genauer als der von Ministerin Andrea Nahles gewählte Name "Rechtsvereinfachungsgestz". Denn was der Vorschlag bereithält, führt in der Praxis vielfach zu Kürzungen, mehr Kontrolle und einem zusätzlichen Ausbau von Bürokratie.
Drei Teilbereiche des Gesetzespaketes wurden in den Medien bereits thematisiert: Die geplante Neuregelung, Alleinerziehenden tageweise die Unterstützung zu kürzen, wenn das Kind Zeit beim anderen Elternteil verbringt, sorgte für einige Empörung. Neben zusätzlichem finanziellen Druck auf Alleinerziehende, schafft eine solche Regel auch ein neues bürokratisches Monstrum, da jeder Betreuungstag von Kindern in getrenntlebenden Hartz IV-Familien gesondert protokolliert werden muss.
Der Plan, gegen geltendes Recht, EU-Ausländer künftig weitestgehend von den deutschen Sozialleistungen auszuschließen, gelangte ebenfalls bereits an die Öffentlichkeit.
Wie Report Mainz vor rund zwei Wochen aufdeckte, soll außerdem das Widerspruchsrecht bei fehlerhaft ausgestellten Jobcenter-Bescheiden stark eingeschränkt werden. Obwohl bis zu 50 Prozent aller Hartz IV-Bescheide nicht korrekt sind, sollen die Betroffenen künftig nur noch einen Monat Widerspruch einlegen können und danach jegliches Recht auf Nachzahlungen von Leistungen, die ihnen eigentlich zustehen, verlieren. Konkret geht es dabei um das Instrument des "Überprüfungsantrags", das abgeschafft werden soll.
Doch Nahles "Rechtsvereinfachung“ soll noch viel weiter gehen. Wenig beachtet wurden in der öffentlichen Debatte bisher die geplanten Änderungen, die unter dem Begriff "sozialwidriges Verhalten" zusammengefasst werden. Kritiker wie die Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, sprechen hier gar vom Aufbau eines zweiten Sanktionsregimes. Sollten Hartz IV-Empfänger künftig nicht jede Stelle annehmen, die das Jobcenter ihnen vorschlägt, kann dies als "sozialwidrig" gewertet werden und dazu führen, dass das Jobcenter Lohn, den die Betroffenen durch "eigenes Verschulden" nicht verdient haben - aber haben könnten - zurückfordern.
Ähnlich wie beim sogenannten "Investorenschutz", der im Zuge des Freihandelsabkommens TTIP umgesetzt werden soll, geht es hier also vor allem um fiktive Zahlen, aus denen letztendlich konkrete Forderungen werden.
Bis zu vier Jahre lang soll so die Mindestsicherung, die garantieren soll, dass für das Nötigste im Leben gesorgt ist, gekürzt oder gestrichen werden. Der Sozialrechtsanwalt Lutz Achenbach bezeichnet die Pläne wie folgt:
Hartz IV würde nun tatsächlich die Maschinerie zur Fabrikation des verschuldeten Menschen, da es Sozialleistungen nunmehr nur noch auf Pump gäbe.Weitere Repressionsmaßnahmen soll es nach dem Wunsch der Großen Koalition auch bei geplanten Umzügen von Hartz IV-Empfängern geben. Selbst wenn die neue Miete angemessen ist, können die Jobcenter den Umzug verwehren. Frührentner und Ehrenamtliche sollen weitere Leidtragende der "Reform" sein.
Ungeachtet der verheerenden Kritik, die von Sozialverbänden und deren Experten bereits an dem Gesetzesentwurf geäußert wurde, sollen diese sich am kommenden Montag ein letztes Mal im dafür zuständigen Bundestagsausschuss äußern dürfen. Für August 2016 ist dann die Abstimmung im Parlament geplant, die dank der bequemen Stimmenmehrheit der Großen Koalition kein wirkliches Hindernis für die Verschärfungen im Sozialrecht sein wird.
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