Obwohl wir in Deutschland eines der härtesten Sozialsystem Europas haben, glauben die meisten Deutschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, dass sie von diesem Umstand gar nicht betroffen wären. Dabei geht die Gefahr dieses Systems weit über die Erwerbslosen hinaus, die wir leichtfertig für die einzig Betroffenen halten. Warum?
© dpaProtest am Fischmarkt in Hamburg
1. Weil uns die Angst vor Hartz IV dazu bringt, Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die eigentlich inakzeptabel sind.Dass wir uns fürchten vor einem sozialen Abstieg, verstärkt paradoxerweise unser Abstiegsrisiko. Die Nachfrage nach Erwerbsarbeit ist so groß, das Angebot auf der anderen Seite aber dermaßen gering, dass die Anbietenden freie Hand haben bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Die Konkurrenz bei der Jobsuche ist so groß, dass sich immer jemand findet mit der Bereitschaft den Job unter allen Bedingungen zu leisten.
Unterbezahlung, keine Versicherungen der Arbeitnehmenden und unbezahlte Überstunden sind die Folgen. Dank der Existenz von Hartz IV haben wir keinerlei Mitspracherecht bei der Gestaltung unserer Beschäftigungsverhältnisse. Es gilt das Prinzip der Jasager*innen. Mach den Job, egal unter welchen Bedingungen, sonst macht ihn halt wer anders!
2. Weil Qualifikationen keine Garantie auf Beschäftigung sind. Auf Unbefristete schon gar nicht.Im April 2016 sind der Bundesagentur für Arbeit 635.000 freie Stellen gemeldet. Dem gegenüber stehen offiziell rund 2,9 Millionen Arbeitssuchende. Tatsächlich sind es sogar noch mehr, da aus diesen Zahlen all diejenigen herausrechnet werden, die sich in einer Maßnahme befinden, krankgeschrieben sind oder einer Beschäftigung nachgehen, für die sie mindestens eine Stunde pro Woche aufwenden.
Die geringsten Chancen auf eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben übrigens,
laut einer aktuellen Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, befristet Beschäftigte in wissenschaftlichen Einrichtungen:
„Lediglich neun Prozent der Vertragsänderungen waren dort auf Übernahmen zurückzuführen, 55,7 Prozent auf Verlängerungen und 35,1 Prozent auf Personalabgänge."
3. Weil Hartz IV mehrfach gegen das Grundgesetz verstößt, welches die Grundlage für unser Zusammenleben ist und uns alle vor staatlicher Willkür schützen soll.Unser Grundgesetz verbietet viele Vorgänge, die für Hartz-IV-Beziehende Alltag sind: die Sanktionierungspraxis, die Überwachung, der Zwang in unerwünschte Arbeitsverhältnisse und Maßnahmen, die Anrechnung von Kindergeld und Kindesunterhalt an das Einkommen der Eltern, das Aufzwingen sogenannter Eingliederungsvereinbarungen, das Verbot, den Wohnort unabgemeldet zu verlassen und vieles mehr.
Verstöße gegen das Grundgesetz sollten wirklich alle interessieren. Denn wenn wir damit erst beginnen, ist am Ende niemand von uns mehr sicher vor der Willkür eines überwachenden und strafenden Systems.
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