Der anstehende Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Russland wäre noch vor wenigen Wochen undenkbar gewesen. Der Abschuss eines russischer Kampfjets durch die Türkei führte zu einer diplomatischen Eiszeit. Willy Wimmer, Ex-Vizepräsident der OSZE, äußert nun den Verdacht, dass der russische Jet unter Mithilfe der Nato abgeschossen wurde.


Kommentar: Dieser Verdacht deckt sich mit unserer Analyse der Ereignisse:

Nato Awacs
© U.S. Air Force/Bennie J. Davis III
Nach meinen Erkenntnissen waren sowohl eine amerikanische, als auch eine saudische Awacs-Maschine involviert. Flugzeuge wie dieses russische Kampfflugzeug holt man nicht einfach so vom Himmel. Sie müssen dahin geführt werden. Und das geht nur mit Awacs.


Wo kamen diese Awacs-Maschinen her?
Die amerikanische Maschine soll auf Zypern gestartet sein. Die andere ist von einem saudischen Stützpunkt gestartet. Die Nato hat ja für Grenzverletzungen, wenn es denn hier überhaupt dazu kam, Regeln, welche Konsequenzen das hat. Das läuft gewöhnlich so ab, dass erst zivile Einrichtungen das grenzverletzende Flugzeug ansprechen und auf den Irrtum aufmerksam machen oder es zur Landung veranlassen. Wenn das nicht reicht, übernehmen militärische Einrichtungen, die in Friedenszeiten ein Flugzeug auch bestenfalls zur Landung zwingen. Was dort abgelaufen ist, hat in keinster Weise den international verbindlichen Regeln entsprochen. Man hat das russische Flugzeug runtergeholt, weil man es runterholen wollte.

Kommentar: Mehr Informationen über die gefährlichen und gewissenlosen Spiele der NATO finden Sie hier.


Also wer wollte was mit dieser Aktion bezwecken?
Man muss davon ausgehen, dass, wenn man sich nicht mal an internationale Regeln hält, politische Interessen dahinterstecken. Es ging wohl darum, die Beziehungen zwischen der Türkischen Republik und der Russischen Föderation, die ja blühten, so zu zerstören, wie es ja auch anschließend geschehen ist. Letztes Jahr wurde auf amerikanischen Druck der Bau der Pipeline South Stream durch die EU gestoppt. Es ist wenige Wochen später der Türkei und Russland gelungen, mit Turkish Stream einen Ersatz für South Stream zu schaffen. Das war natürlich diametral zur amerikanischen Sanktionspolitik gegenüber Russland. Entsprechend kann man jetzt die Reaktion der Amerikaner interpretieren.
Der Abschuss erfolgte ja aber wohl von einem türkischen Jet. Wieso riskiert Erdogan so viel und setzt die Beziehungen zu Russland aufs Spiel?
Die türkische Seite legt ja inzwischen größten Wert darauf, eine Distanz zu legen zwischen den Piloten, die den Abschuss vorgenommen haben, und der eigenen Regierung. Wenn man sagt, dass lag in der Entscheidungsgewalt der Piloten — größer kann man sich ja gar nicht vom eigenen Militär distanzieren. So muss man vermuten, dass hier Piloten eigenmächtig von der Luftwaffenbasis Incirlik aus operiert haben. Gerade haben wir ja bei dem Putsch gesehen, dass offensichtlich innerhalb der türkischen Luftwaffe Dinge abgelaufen sind, die jetzt die Regierung veranlasst haben, durchzugreifen. Wer einen Putsch macht, der hat auch keine Skrupel, ein russisches Flugzeug vom Himmel zu holen.

Kommentar: Und diese Putschisten und Militärs sind von US-Agenten infiltriert, die wahrscheinlich auch den Befehl für den Abschuss gegeben haben. Gott sei dank geht Erdogan jetzt gegen dieses Netzwerk vor.


Aber zu Beginn hatte sich Erdogan ja hinter die Piloten gestellt. Es hat ein halbes Jahr gedauert bis er sich entschuldigt hat. Wie kam es zu dem Sinneswandel?
Man muss so eine Situation ja politisch und menschlich im Ablauf betrachten. Was soll denn ein türkischer Präsident anderes machen, wenn so etwas passiert, als zu sagen, das war auf Anweisung der türkischen Regierung? Sonst hätte er ja diejenigen benennen müssen, die es veranlasst haben. Das war sicher politisch ungemein kompliziert. Im Nachhinein kann man so Verständnis haben für die temporären Einlassungen von Erdogan. Später hat der türkische Präsident ja keine Gelegenheit ausgelassen, auf den russischen Präsidenten zuzugehen. So muss man sich fragen, was die türkischen Piloten veranlasst haben soll, eigenmächtig die russische Maschine runterzuholen. Diese Frage verlangt eine Antwort. Und die muss die türkische Regierung noch geben, auch wenn die Beziehungen zur Nato, zu den USA oder zu Saudi-Arabien darunter leiden werden.
Unmittelbar nach der Aussöhnung Russlands mit der Türkei kam es zum Putsch in der Türkei. Die Nato muss doch etwas davon mitbekommen haben?
Wenn ich mich mit meinen türkischen Freunden unterhalte, können die in Bezug auf alle Putsche in der Türkei seit 1945 gar nicht verstehen, dass wir fragen, wer dahintersteckt. In der Türkei sagt man immer wieder, die Amerikaner stecken dahinter. Wenn man die Politik der letzten Jahre betrachtet, geht es den Vereinigten Staaten seit geraumer Zeit darum, der Russischen Föderation wirklich an die Wäsche zu gehen, ökonomisch und politisch. Wenn dann ein so wichtiges Land, wie die Türkei, ausschert, und eigene Interessen in Bezug auf Russland verfolgt, dann muss die USA handeln. So ist es aus meiner Sicht klar, dass die amerikanische Seite im türkischen Militär ihre Finger im Spiel hat. Da ist es nur logisch, dass es einen Putsch in der Türkei gibt, damit die Politik Washingtons gegenüber Russland nicht gefährdet wird.
Erdogan fährt nun wohl zu einem Treffen mit Präsident Putin nach Russland. Wieso fährt er ausgerechnet als erstes nach dem Putsch nach Russland?
Wie man hört, hat Erdogan möglicherweise sogar sein Leben einer russischen Information zu verdanken. Die russische Seite hat wohl Erdogan gewarnt in Bezug auf die Sicherheit seines Urlaubsortes Marmaris. Die Russen hören natürlich von den Stützpunkten in Syrien aus alles ab und haben Erdogan entsprechend gewarnt. In einer solchen Situation wäre ein türkischer Präsident in der Vergangenheit als erstes nach Washington gefahren. Erdogan fährt aber offensichtlich lieber zuerst zu denen, mit denen er gut kooperieren kann und die ihm das Leben gerettet haben, wenn das so stimmt.

Wie soll sich denn nun die Rolle der Türkei in der Nato und im Verhältnis zu den USA entwickeln? Immerhin stellt die Türkei die zweitgrößte Nato-Armee.
Das Verhältnis zu den USA hat jetzt so massive Risse bekommen, dass man nicht weiß, wann es zusammenbricht. Das betrifft ja auch das Engagement der Bundeswehr als Teil der Nato in der Türkei. Wir sind ja nicht in der Türkei, weil Syrien über die Türkei hergefallen ist, sondern weil die Türkei offen im syrischen Bürgerkrieg gezündelt hat. Erdogan ist doch mitverantwortlich dafür, dass in Syrien Chaosherrscht und wir Hunderttausende Tote haben. Das heißt, die Bundeswehr schützt hier nicht einen Verbündeten, sondern ermuntert ihn durch unsere Präsenz, seine aggressive Vorgehensweise gegenüber einem Nachbarland durchzuziehen. Diese Schizophrenie ist doch inzwischen Bestandteil der Nato.