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© Getty ImagesViele deutsche Bürger erwartet mit der AfD eine böse Überraschung.
Es war ein Schock für die etablierten Parteien, als die AfD vor fast einem Jahr aus dem Stand in ein westdeutsches Parlament einzog. 6,1 Prozent der Hamburger Wähler hatten der rechtskonservativen Partei ihre Stimme gegeben.

Unter den Arbeitern der Hansestadt waren es sogar doppelt so viele. Und auch unter Arbeitslosen konnte die AfD damals gut punkten.

In Brandenburg hatte wenige Monate zuvor sogar jeder fünfte Arbeiter die Rechtspopulisten gewählt. Auch die Arbeitslosen waren mit 14 Prozent deutlich überrepräsentiert.Auch bei anderen Wahlen waren beide Gruppen unter den AfD-Anhängern besonders stark vertreten.

Politologe: "Das ist ein FDP-Programm"


Doch könnten viele dieser AfD-Sympathisanten irgendwann eine böse Überraschung erleben. „Viele ihrer Wähler werden noch bitter enttäuscht sein, wenn die AfD irgendwann einmal an die Regierung kommen sollte“, sagt der renommierte Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Die Partei- und Wahlprogramme der Rechtskonservativen stünden „in massivem Gegensatz zu den Interessen vieler ihrer Anhänger“.

„Das AfD-Programm ist ein FDP-Ersatzprogramm“, sagt der Professor, der knapp zwei Jahrzehnte Direktor der einflussreichen Akademie für Politische Bildung in Tutzing war. Schließlich sei die inhaltliche Ausrichtung der Partei in der Sozial-Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik noch von Wirtschaftsvertretern wie dem Ökonom Bernhard Lucke sowie dem Ex-BDI-Chef Olaf Henkel geprägt worden.

"Kaum jemand hat das Programm gelesen“

Die AfD-Klientel komme aber oft aus der unteren Mittel- oder Unterschicht. „Doch deren Interessen sind nicht die der FDP. Daher besteht zwischen den Wünschen der Wähler und der Ausrichtung der Partei hier ein riesiger Gegensatz“, sagt Oberreuter. Bislang merkten die AfD-Wähler jedoch noch nichts von dieser Differenz. „Kaum jemand hat das Programm gelesen.“

Ein Blick in die Partei- und Wahlprogramme der Partei gibt ihm Recht. Die Huffington Post durchforstete deren Landes- und Bundesprogramme. In Baden-Württemberg etwa fordert die Partei eine Art Zwangsarbeit für Langzeit-Arbeitslose.

Die Bundespartei glänzt ebenfalls durch ihr wirtschaftsliberales Auftreten. „Wir fordern eine drastische Vereinfachung des Steuerrechts in Anlehnung an das progressiv wirkende Kirchhof’sche Steuermodell“, heißt es etwa im Gründungsprogramm der AfD aus dem Jahr 2013.

Auch in den „Politischen Leitlinien der Alternative für Deutschland von 2015“ steht: „Wir streben ein neues, einfaches und gerechtes Steuerrecht an.“ Auch hier wird das Kirchhof-Modell gefordert.

Experten: Unsozialer Entwurf

Dumm nur, dass kaum ein steuerpolitischer Entwurf aus Sicht vieler Experten so unsozial ist, wie das Modell von Paul Kirchhof. Der Ex-Verfassungsrichter hatte bereits vor Jahren einen dreistufigen Einkommenssteuersatz gefordert. Je nach Einkommen sollen die Bürger demnach 15, 20 oder 25 Prozent Steuern zahlen. Topverdiener würde dieses Model massiv entlasten.

Die unteren Einkommensschichten hätten dagegen kaum etwas oder gar nichts von den Milliarden-Entlastungen. Im Jahr 2010 waren nicht einmal 29 Millionen Deutsche überhaupt steuerpflichtig. Doch Arbeitslose oder Geringverdiener - und damit auch besonders viele AfD-Wähler - zahlen häufig keinen Cent Einkommenssteuer. Eine Senkung der Lohnsteuer nützt ihnen also rein gar nichts.

Villenbesitzer können sich die Hände reiben

Während sich also die Villenbesitzer der Republik bei einem Wahlsieg der Rechten die Hände reiben könnten, würde der kleine Mann indirekt die Zeche für diesen nach Ansicht von Kritikern schlicht neoliberalen Plan bezahlen: Denn der Staat würde Verluste im zweistelligen Milliardenbereich machen.

Da die AfD neue Schulden ablehnt, müsste der Bund folglich in vielen Bereichen wie der Sozial- oder Verkehrspolitik massiv sparen. Doch vom Wohlfahrtsstaat, der angesichts von AfD-Steuergeschenken im zweistelligen Milliardenbereich zwangsläufig abgespeckt werden müsste, profitieren vor allem die Unter- und weite Teile der Mittelschicht - also auch viele Sympathisanten der Rechtspopulisten.

Bislang werden diese Bevölkerungsschichten massiv vom Sozialstaat unterstützt, etwa über die Zahlung von Arbeitslosen-, Kinder- oder Wohnungsgeld. Zugleich müsste bei einem AfD-Wahlsieg wohl in zahlreichen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie im Nahverkehr oder beim Sozialwohnungsbau massiv gespart werden.

Schlicht, weil dem Bund die Mittel für solche Ausgaben fehlen dürften. Doch viele Arbeitslose oder Niedriglöhner können sich nicht einmal ein Auto leisten, nicht wenige von ihnen leben in Sozialwohnungen.

Und auch die klassische Mittelschicht würde unter den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der AfD vermutlich leiden. Krankenhäuser müssten möglicherweise schließen, wenn staatliche Gelder gestrichen werden würden. Zugleich könnte das Geld für Lehrer, Polizisten, Erzieher und Verwaltungsbeamte angesichts der Milliardengeschenke für Wohlhabende knapp werden.


Kommentar: Das bedeutet weiterhin Raubbau an den sozialen Strukturen, und das im großen Stil.


Reiche können sich einen schwachen Staat leisten

Schon immer galt: Nur Reiche können sich einen schwachen Staat leisten. Denn sie zahlen im Zweifelsfall gerne viel Geld für Erzieher, Nachhilfelehrer, Privatmediziner oder einen privaten Sicherheitsdienst.

Die AfD lehnt in ihren eigenen Grundsätzen neue Schulden ab und will zugleich auch „Subventionen streichen“. Doch, was sind staatliche Fördergelder etwa für den Hausbau oder eine energetische Sanierung anderes als Subventionen?

Explizit spricht sich die Partei in ihrem Programm etwa gegen die zuletzt massive Förderung der erneuerbaren Energien aus. So mancher Hausbesitzer, der Solarzellen auf dem Dach hat oder neue Fenster braucht, könnte also bei einem AfD-Sieg in die Röhre schauen.

Zwar hatte Parteivize Alexander Gauland vor einiger Zeit angekündigt, die AfD als „Partei der kleinen Leute“ aufstellen zu wollen - in bewusster Abgrenzung zu Freihandelsabkommen und liberaler Wirtschaftspolitik.

Doch am Ende zählt das Parteiprogramm. Für Politikforscher Oberreuter ist deshalb klar: „Wer die Flüchtlingspolitik der AfD wählt, muss wissen, dass er auch ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik bekommt.“