Moskau treibt - ob auf dem internationalen diplomatischen Parkett oder bei tausenden vor Ort geführten Gesprächen - den Friedensprozess in Syrien maßgeblich voran. Im Syrien-Konflikt agiert Russland zugleich als Kriegspartei und Friedensmacht.


Syrien
© www.globallookpress.com Global Look PressEnde Juni besuchte Syriens Präsident Baschar al-Assad erstmal den Stützpunkt der russischen Luftstreitkräfte in Hmeimim. Russlands Bemühungen in Syrien beschränken sich jedoch nicht auf die militärisch Komponente.
Bei den Syrien-Gesprächen in Kasachstans Hauptstadt Astana haben sich Russland, die Türkei und der Iran nicht auf die Details zu den sogenannten Deeskalationszonen in dem Kriegsgebiet einigen können. Die Türkei habe um zusätzliche Zeit für die Planungen gebeten, sagte der russische Chefunterhändler Alexander Lawrentew der Agentur Interfax zufolge am Mittwoch in Astana. Im Rahmen der Astana-Gespräche hatten die drei Staaten im Mai die Einrichtung von vier Deeskalationszonen vereinbart, in denen eine Waffenruhe gelten soll. Bei der neuen Verhandlungsrunde am Mittwoch sollten dazu konkrete technische Detail wie etwa der genaue Grenzverlauf der Zonen geklärt werden.

Es war bereits die fünfte Runde der Astana-Gespräche in diesem Jahr. Russland, die Türkei und der Iran haben die Treffen vermittelt. Neben Vertretern von Regierung und Opposition waren auch der UN-Sondervermittler Staffan de Mistura und ein ranghoher US-Diplomat angereist. Die Gespräche in Kasachstan sollen den UN-geführten Friedensprozess in Genf unterstützen. Bereits am kommenden Montag soll die nächste Gesprächsrunde in der Schweiz stattfinden.

Der syrische Chefunterhändler, UN-Botschafter Baschar al-Dschafari, zeigte sich enttäuscht von dem Verhalten der Türkei bei den jüngsten Gesprächen. Ankara habe eine endgültige Absprache über die Zonen behindert. Die Türkei habe während der Verhandlungen eine negative Position eingenommen, zitierte ihn die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Al-Dschafari warf der türkischen Delegation eine „Politik der Erpressung“ vor. Aufgrund ihrer Haltung seien nur "bescheidende“ Ergebnisse erzielt worden:
Ich sage ‚bescheiden‘, weil wir zur fünften Runde nach Astana gekommen waren, um ganz spezifisch die Details der Vereinbarung über die Deeskalationszonen und deren Umsetzung endgültig zu klären.
Syriens UN-Botschafter wollte trotz dessen nicht von einem „Scheitern“ der Gespräche sprechen, auch wenn die türkische Delegation „bedauerlicherweise alles in ihrer Macht Stehende tat, um ein positives Ergebnis zu verhindern, das praktisch den Interessen des syrischen Volkes dienen würde“.

Auch wenn die Feuerpausen in den geographisch noch nicht genau umrissenen Deeskalationszonen zuweilen brüchig sind, so haben sie dort dennoch zu einem spürbaren Rückgang der Kampfhandlungen geführt. Außerdem wurden dadurch Kräfte der syrischen Armee frei, die sich nun auf den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) konzentrieren können.

Dadurch konnte die Armee in den letzten beiden Monaten die größten Geländegewinne gegenüber der Terrormiliz seit deren Bestehen erzielen. Die von Russland auf den Weg gebrachten Astana-Gespräche stellen daher einen bedeutenden Beitrag im Kampf gegen den islamistischen Terror dar - neben der militärischen Unterstützung der syrischen Armee.

Flüchtlinge kehren zurück

Dank dieser Hilfe hat sich die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes erheblich verbessert. Als Konsequenz kehren immer mehr syrische Flüchtlinge an ihre alten Wohnorte zurück. Das Flüchtlingshilfswerk der UN (UNHCR) sprach vor einer Woche von einem „bemerkenswerten Trend spontaner Rückkehr“ einer „signifikanten“ Anzahl von Menschen.

Seit Jahresbeginn sind laut dem Hilfswerk fast eine halbe Million Menschen in ihre Häuser heimgekehrt. In den ersten sechs Monaten haben sich demnach 440.000 Binnenflüchtlinge heimbegeben, außerdem 31.000 Menschen, die ins benachbarte Ausland geflohen waren. Die UNHCR konstatiert eine „wachsende Hoffnung“ im Zusammenhang mit den Astana-Gesprächen.

Moskau beschränkt seine Friedensbemühungen aber nicht auf das diplomatische Parkett. Russland ist darüber hinaus die treibende Kraft im innersyrischen Friedensprozess. Dabei fährt Moskau eine zweigleisige Strategie, bei der die militärische Komponente ergänzt wird von lokal ausgehandelten Waffenstillständen.

So unterstützt Russland die syrische Armee entscheidend im Kampf gegen Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ oder der Nusra-Front, die ohnehin nicht zu Friedensverhandlungen bereit sind. Dadurch konnte die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes erheblich verbessert werden. Laut UNHCR kehren die Flüchtlinge vor allem in die Städte beziehungsweise gleichnamigen Provinzen Aleppo, Hama, Homs und Damaskus zurück.

In diesen Regionen konnte die syrische Armee im Laufe des letzten Jahres große Fortschritte erzielen. Zumeist wurde das militärische Vorgehen begleitet mit dem Angebot an die jeweiligen bewaffneten Gruppen, das von ihnen gehaltene Gebiet zugunsten einer Überführung in die von Aufständischen kontrollierte Provinz Idlib zu räumen. So brachte die Regierung im Mai erstmals seit fünf Jahren die Stadt Homs wieder vollständig unter ihre Kontrolle, nachdem die letzten noch verbliebenen Kämpfer mit Bussen nach Idlib transportiert worden waren.

Mehr als 200.000 Menschen kehrten in den einst von islamistischen Aufständischen gehaltenen Ostteil der Stadt Aleppo zurück, der im vergangenen Dezember von der syrischen Armee und ihren Verbündeten befreit worden war. Mittlerweile konnte auch der IS vollständig aus der Provinz Aleppo vertrieben werden.

Moskau vermittelt zweitausend Waffenstillstände

Gleichzeigt drängt Moskau seine syrischen Partner, die Hand gegenüber all jenen bewaffneten Gruppen auszustrecken, die der Gewalt abschwören. Insgesamt 228 Kampfgruppen haben die vom Russischen Zentrum zur Versöhnung der Konfliktparteien vermittelten Friedensabkommen inzwischen unterzeichnet.

Täglich gibt das Zentrum den aktuellen Stand seiner Bemühungen bekannt. Laut der Mitteilung vom Mittwoch haben allein in den vorherigen 24 Stunden die Vertreter von 125 Ortschaften ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Das ist die höchste Zahl innerhalb eines Tages seitdem das Zentrum vor eineinhalb Jahren seine Arbeit aufnahm.

Lange Zeit verharrte die Zahl der am Friedensprozess beteiligten Orte bei rund 1.500. In den letzten vier Wochen hat der Prozess deutlich an Fahrt aufgenommen. In diesem Zeitraum haben sich rund 500 weitere Ortschaften der russischen Friedensinitiative angeschlossen, der aktuelle Stand vom Donnerstag liegt bei 1.996.

Wie keine andere in den Konflikt verwickelte Macht hat Russland es damit geschafft, den innersyrischen Friedensprozess durch die knapp 2.000 auf lokaler Ebene abgeschlossenen Feuerpausen voranzubringen. Deshalb ist der Bürgerkrieg in Syrien - nicht jedoch der Stellvertreterkrieg, den die ausländischen Mächte dort führen - nach Einschätzung des russischen Generalstabs fast beendet.

Generaloberst Sergej Rudskoj erklärte bereits vor einem Monat, die Lage habe sich nach der Einigung auf die Deeskalationszonen „grundlegend verbessert“. „Der Bürgerkrieg in Syrien ist de facto gestoppt worden“, so der General.