Vor 15 Millionen Jahren krachte ein tausend Meter dicker Meteorit auf Süddeutschland - wo heute Großstädte liegen, schlugen tonnenschwere Trümmer ein. Jetzt können Forscher klären, warum der Einschlag so explosiv war. Noch in Böhmen finden sich Spuren der Naturkatastrophe.
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© Corbis

München - Einen Meteoriteneinschlag hat heute kaum jemand auf der Rechnung - doch was nach Science-Fiction klingt, ist in Deutschland schon passiert. Hätte sich der tausend Meter dicke Steinbrocken, der einst ins Nördlinger Ries krachte, nur um ein paar Millionen Jahre verspätet und würde heute einschlagen, wären die Folgen schlimmer als nach einem Atomkrieg. Auf der internationalen Tagung Fragile Earth in München haben Geoforscher nun das Rätsel gelüftet, warum der Einschlag so explosiv war.

Vor rund 15 Millionen Jahren krachte bei Nördlingen an der Grenze von Bayern zu Schwaben jene Bombe aus dem All mit 70.000 Kilometern pro Stunde in die Landschaft - auf halben Weg zwischen dem heutigen München, Stuttgart und Nürnberg. Sie bohrte sich einen Kilometer tief in die Erde, riss einen 24 Kilometer breiten Krater - das Nördlinger Ries. Der Meteorit war nicht allein, ein Mond umkreiste ihn. Die hundert Meter dicke Eisenkugel schoss 40 Kilometer südwestlich vom Ries in den Boden. Sie hinterließ das Steinheimer Becken, eine heute fast vier Kilometer breite Kuhle.

Solch ein Schlag würde das heutige Süddeutschland vernichtend treffen - denn dies würde geschehen: Erst schmilzt der steinerne Boden unter dem Aufprall des einen Kilometer dicken Geschosses. Dann schießt eine 20.000 Grad heiße Glutwolke drei Kilometer in die Höhe, sie versengt im Umkreis von Dutzenden Kilometern alles Leben. Die Sprengkraft von 250.000 Hiroshimabomben katapultiert einen Hagel aus 300 Milliarden Tonnen Gestein in die Landschaft - die Trümmer fliegen 400 Kilometer weit bis nach Österreich, in die Schweiz; sogar nach Böhmen. In Stuttgart, München, Augsburg und Nürnberg schlagen tonnenschwere Kalkblöcke ein; kurz darauf geht ein mehrere tausend Grad heißer Regen aus Glut und Säure nieder. Geschosse und Feuer aus dem Himmel - dieses apokalyptische Szenario ereignete sich vor 15 Millionen Jahren.

Diamanten in der Häuserwand

Die beste Aussicht auf den Schauplatz des Schreckens bieten die Anhöhen der Schwäbischen Alb: Östlich der Hügel klafft der Meteoritenkrater Nördlinger Ries, eine weite Kuhle mit Wäldern, Wiesen und Dörfern. In seiner Mitte liegt die kreisrunde Stadt Nördlingen. Viele Gebäude bestehen aus Trümmern jener gewaltigen Bombe aus dem All; sie enthalten sogar Diamantsplitter.

Der Meteorit traf Süddeutschland, als regelrecht paradiesische Zustände herrschten: Elefanten, Urpferde und Affen durchstreiften im Zeitalter des Miozäns eine üppige Subtropenlandschaft wie im heutigen Florida mit Sümpfen und offenen Wäldern. Pelikane, Schildkröten und Krokodile rasteten an Tümpeln; Schlangen krochen durchs dichte Schilfgestrüpp. Sie alle waren dem Tod geweiht, als der Kilometer dicke Steintrumm Kurs Richtung Erde nahm.

Doch seit langem wundern sich Experten, dass im Boden des Ries im Gegensatz zu ähnlichen Meteoritenkratern nur wenig Spuren geschmolzenen Gesteins liegen. Ein Meteorit dieser Größe hätte eigentlich den Boden Dutzende Meter tief schmelzen lassen müssen. Eine neue Bohrung in den Krater habe nun eine lediglich fünf Meter dünne Schmelzschicht zutage gefördert, berichtet der Geologe Thomas Kenkmann von der Universität Freiburg auf der Münchner Tagung.

Wasserfontänen nach dem Aufprall

Jetzt präsentieren Forscher eine Erklärung: "Der Meteorit wurde regelrecht pulverisiert", sagt Kenkmann. Ursache seien große Mengen Grundwasser in der damaligen Sumpflandschaft, sie hätten den Einschlag besonders explosiv gemacht, erklärt Natalia Artemieva vom Planetary Science Institute in Tuscon, USA: Es sei beim Einschlag des Meteoriten in gigantischer Menge auf einen Schlag verdampft. Dabei sei der Boden regelrecht zerfetzt - das geschmolzene Gestein sei großteils weggesprengt worden. Im Riesgestein fänden sich auffällig viele Minerale, die sich bei großer Hitze unter Zugabe von Wasser bildeten.

Der Aufprall habe sogar dauerhaft Heißwasserfontänen im Ries sprießen lassen, berichten Forscher um Gernot Arp von der Universität Göttingen auf der Fragile Earth-Tagung. Die Geochemiker haben im Krater Kalkminerale gefunden, die an sogenannten hydrothermalen Quellen in Vulkangebieten entstehen. Die Fontänen waren offenbar die Vorläufer einer erstaunlichen Seenlandschaft.

Im Nördlinger Ries schwappte nach dem Einschlag ein giftiger Salzwassersee - vorbei war es mit den paradiesischen Wassertümpeln. Beim Einschlag hatten sich Salzminerale aus dem Untergrund gelöst, die das in den Krater strömende Grundwasser zu einer lebensfeindlichen Brühe machten. Nur wenige Einzeller konnten überleben: Auf der Münchner Tagung präsentierten Gernot Arp und seine Kollegen Spuren winziger Salzwasserorganismen, sogenannter Stromatolithen, die in solchen Sodaseen leben. Die Fossilien hatten die Forscher in diesem Jahr bei Bohrungen im Ries entdeckt.

Fränkische Alb gesprengt

Die Umgebung des Sees wurde nach dem Einschlag aber bald wieder von den Tieren zurückerobert; sogar im Schilfgürtel des Sees herrschte reges Treiben: Dort, am Rande des Nördlinger Ries, finden Geologen immer wieder versteinerte Reste zahlreicher Vögel, Schildkröten, Igel, Schlangen und von marderähnlichen Raubtieren.

Der Meteoriten-Einschlag hat Süddeutschland für immer verändert: Auswurfmassen blockierten Flüsse, die sich neue Wege bahnen mussten. Nordöstlich des Kraters etwa staute sich der Rezat-Altmühlsee, er wurde doppelt so groß wie der heutige Bodensee. Der Meteorit sprengte zudem die Fränkische Alb von der Schwäbischen Alb ab, die seither als Wetterscheide Wolken abfängt: Die vom Meteoriten zerlegte Landschaft um Nördlingen gehört seither zu den sonnenreichsten in Deutschland. Schon die Frühmenschen fühlten sich dort besonders wohl, wie zahlreiche Werkzeugfunde beweisen.

Das letzte Rätsel

Doch noch immer sind nicht alle Rätsel um Deutschlands Urkatastrophe gelöst; selbst ihr Zeitpunkt ist umstritten. Der neuesten Datierung zufolge krachte der Trumm aus dem All vor genau 14,59 Millionen Jahren herab. Dies habe die Analyse von Glas-Mineralen ergeben, die sich beim Einschlag gebildet hätten, berichteten die Geologen Elmar Buchner von der Hochschule Neu-Ulm und Martin Schmieder von der Universität Stuttgart unlängst auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union in Wien (EGU). Das einst geschmolzene Glasgestein enthält radioaktive Teilchen, die sich beim Meteoriteneinschlag gebildet haben. Sie zerfallen seither mit gleichbleibender Rate. Wie verrinnender Sand in einer Sanduhr zeigt die Menge der übrig gebliebenen Teilchen das Alter des Glasgesteins an. Als Vergleich dient die Menge der Substanz, zu denen die radioaktiven Teilchen zerfallen sind. Bisherige Datierungen hingegen seien ungenau gewesen, weil ältere Minerale in den Gläsern ein zu hohes Alter vorgegaukelt hätten, erläutern die Experten.

Jetzt wollen die Forscher auch das wichtigste verbliebene Rätsel ums Ries lösen: Warum wölbt sich im Zentrum des Kraters kein Hügel wie bei anderen Meteoritenkratern? Üblicherweise wirft ein Einschlag in der Mitte einen Klumpen Erdmasse auf - ähnlich wie Kaffee, wenn ein Zuckerstück in die Tasse plumpst. Dass der Hügel fehlt, irritiert Experten, die Gesetze von Meteoriteneinschlägen beschreiben wollen.

Um das Geheimnis zu lüften, sollten vielleicht mal wieder ausländische Forscher den Krater inspizieren, sie haben schon einmal den Durchbruch gebracht: Als 1961 der Amerikaner Edward Chao und sein Kollege Eugene Shoemaker als Erste Meteoritenspuren im Ries entdeckt haben wollten, gaben sich die einheimischen schwäbischen Geologen skeptisch: "Der hergelaufene Chinäs', der auch noch ein Ami isch...", spotteten sie, könnte das Rätsel um den Krater bei Nördlingen doch nicht gelöst haben? Doch, sie hatten es gelöst - seither kennt Deutschland das katastrophalste Naturereignis seiner Geschichte.