Bei einem Verhör durch das FBI wurde am 22. Mai 2013 ein Bekannter der angeblichen Boston-Attentäter erschossen - angeblich in Notwehr. Nun stellt sich heraus: Der Mann war wohl unbewaffnet.

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Ibragim Todaschew hatte gleich so ein ungutes Gefühl. Für den 21. Mai 2013 hatte das FBI ein Gespräch mit ihm vereinbart. Es sollte um seinen Bekannten Tamerlan Zarnajew gehen, einen der angeblichen Attentäter von Boston. Die beiden hatten im selben Sportclub trainiert. Außerdem gab es da noch drei ungeklärte Morde in Waltham, Massachusetts, im Jahr 2011, für die das FBI einen Täter suchte. Einem Freund zufolge soll Ibragim Angst vor dem Treffen mit der berüchtigten US-Bundesbehörde gehabt haben: Ibragim »stimmte dem Gespräch für Dienstagabend zu, aber nur in seiner Wohnung in Orlando«, zitierte der Boston Globe Ibragims Freund Khusen Taramow. »Denn er glaubte, wenn er in ein FBI-Büro ginge, käme er nie wieder heraus.«

Verhör ohne Wiederkehr

Als das für 19.30 Uhr anberaumte Treffen näher gerückt sei, habe Ibragim mit dem Gedanken gespielt, es abzusagen. »Er glaubte, dass etwas Schlimmes passieren würde«, sagte sein Freund Taramow. »Er dachte, sie würden ihm etwas anhängen und ihn festnehmen.« Der lokale TV-Sender Wesh 2 sprach ebenfalls mit dem Mann, dessen Name hier mit »Khusn Taramiv« angegeben wurde. Taramow erzählte, dass das FBI Ibragim verfolgt habe und dass er Angst gehabt habe: »Er glaubte, dass sie etwas arrangieren würden - etwas Schlimmes, gegen ihn«, sagte er dem Sender. »Sie behaupten so ein wirres Zeug, ich weiß nicht warum«, zitierte er Todaschew. Und wirklich sollten sich Todaschews schlimme Vorahnungen nicht nur bestätigen, sondern sogar noch übertroffen werden. Denn tatsächlich kam er nicht mehr lebend aus den Fängen des FBI heraus. Nach mehreren Stunden Verhör in seiner Wohnung war er plötzlich tot. Laut Darstellung der US-Behörde sei er kurz davor gewesen, ein Geständnis in der erwähnten Mordsache zu unterschreiben, als er plötzlich auf die Beamten los gegangen sei. Nachdem er die FBI-Agenten mit einem Messer angegriffen habe, hätten sie Todaschew "in Notwehr" erschossen, lautete die offizielle Version des FBI - das sofort ein eigenes Team beauftragte, den Todesfall zu "untersuchen".

Alles fabriziert?

Doch genau wie im Fall der Anschläge von Boston begannen sich die Versionen des FBI genauso schnell in Luft aufzulösen, wie sie bekannt gegeben wurden. »Erste anonyme Berichte von Strafverfolgern lieferten einander widersprechende Versionen des Geschehens«, schrieb die Washington Post am 30. Mai 2013. »Einige Ermittler sagten, Todaschew habe ein Messer gezückt, während andere angaben, er habe versucht, sich die Waffe eines FBI-Agenten zu schnappen.« Inzwischen hätten jedoch mehrere Beamte gesagt, dass Todaschew unbewaffnet gewesen sei, so die Post. »Mein Sohn ist zu so etwas nicht fähig«, ließ sich auch Todaschews Vater, ein Beamter der Stadtverwaltung in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, telefonisch vernehmen. »Er würde niemals einen Polizeibeamten angreifen. Er glaubte an die Gerechtigkeit, und vielleicht war das sein Fehler. Er konnte Ungerechtigkeit nicht ertragen.« Sein Sohn habe in den USA Behinderte betreut und Sportler trainiert.

Zu den ungeklärten Mordfällen 2011 habe sein Sohn nie etwas gesagt, und er glaube nicht, dass er damit oder mit den Boston-Anschlägen etwas zu tun hatte. »Es zeichnet sich klar ab, dass all dies fabriziert ist. Sie töteten meinen Sohn, und dann ließen sie sich etwas einfallen, um es zu erklären. Wenn es irgendwo ein Erdbeben gibt, dann beschuldigen sie Tschetschenen. Wenn es eine Flut in Afrika gibt, dann beschuldigen sie Tschetschenen.« Das FBI habe alles erfunden. Tatsächlich gelten die meisten großen Terroranschläge der letzten Jahre in den USA als Inszenierungen des FBI.

Pressekonferenz mit einer Leiche

Am 30. Mai 2013 gab Ibragim Todaschews Vater in Moskau eine Pressekonferenz, bei der er eine Reihe von Fotos seines toten Sohnes präsentierte. Die Bilder waren von Todaschews Freund Taramow in einer Pathologie in Florida aufgenommen worden. Tatsächlich zeigten die Aufnahmen die Person, die auch in den Medien als Ibragim Todaschew präsentiert worden war - allerdings tot. Auf den Fotos war der Leichnam eines athletischen jungen Mannes mit dunklen kurzen Haaren zu sehen. Über seinen behaarten Oberkörper zieht sich ein so genannter »Y-Schnitt«, mit dem bei der Obduktion der Leichnam geöffnet wurde. Auf der linken Seite des Oberkörpers, einschließlich des linken Armes, sind etwa ein halbes Dutzend Schusswunden zu sehen. Offenbar wurde auf seine linke Brustseite gezielt. Ein Foto des Kopfes zeigt einen Einschuss in der Schädeldecke. Allein dieses Spurenbild lässt eigentlich kaum einen Zweifel daran, dass Todaschew gezielt hingerichtet wurde. Und dieser Meinung ist denn auch Todaschews Vater: »Heute verlange ich Gerechtigkeit«, sagte er vor der Presse in Moskau. »Ich verlange eine Untersuchung, damit diese Leute nach US-Gesetzen verfolgt werden. Dies sind keine FBI-Agenten. Dies sind Banditen, und sie müssen sich vor Gericht verantworten.«

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Tote Beschuldigte sind besser als lebende

Wie gesagt hatte Ibragim Todaschew "Ermittlern zufolge" in der Nacht des Verhörs bereits seine Verstrickung in die erwähnten ungeklärten Mordfälle zugegeben. Gerade, als er das schriftliche Geständnis unterzeichnen sollte, habe er die Fahnder jedoch angegriffen, woraufhin es zu dem Schusswaffengebrauch gekommen sei. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Diese Schilderung soll offensichtlich den Eindruck erwecken, Ibragim habe die Morde bereits gestanden und sei als Schuldiger zu betrachten. Das angeblich vorliegende schriftliche Geständnis, das nur noch hätte unterzeichnet werden müssen, sollte den Eindruck von Ibragims Schuld verstärken.

Fakt ist demnach jedoch, dass es beides nicht gibt - weder das mündliche noch das schriftliche Geständnis. Denn während Ersteres nur in den Aussagen der FBI-Leute existiert, existiert Letzteres überhaupt nicht. Zusammen mit den vielsagenden Schusswunden ergibt sich jedoch, worum es an diesem Abend wirklich ging. Offenbar wollten die FBI-Agenten Todaschew zu einem Geständnis in einem Mordfall überreden bzw. erpressen. Als dieser aber nicht nachgab, erschossen sie ihn und erfanden die Geschichte von dem mündlichen Geständnis und dem angeblichen tätlichen Angriff. Nur so war Ibragim Todaschew als Beschuldigter in dem Mordfall zu retten und dieser gleichzeitig »aufzuklären«.Auf diese Weise werden hausgemachte Verbrechen immer öfter toten Beschuldigten in die Schuhe geschoben, egal ob in den USA oder in Deutschland (zum Beispiel in Sachen NSU). Die internationalen Sicherheitsbehörden entpuppen sich so immer mehr als kriminelle Vereinigungen, die sich immer weniger Mühe geben, ihre Taten zu vertuschen.

Der Kampf gegen die Tschetschenen

Nun stellt sich natürlich die Frage: Was sollten die amerikanischen Sicherheitsdienste plötzlich gegen Tschetschenen haben? Warum sollten sie sich ausgerechnet tschetschenische Emigranten bzw. politische Flüchtlinge wie die Zarnajew-Brüder oder Ibragim Todaschew als Sündenböcke heraussuchen und sie als Terroristen darstellen? Ganz einfach: Offenbar arbeiten russische undamerikanische Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung tschetschenischer Flüchtlinge in den USA zusammen. Wahrscheinlich sollen die Vereinigten Staaten für Tschetschenen nicht mehr länger ein Rückzugsraum sein. So kamen beispielsweise die ersten »Hinweise« auf die späteren »Boston-Bomber« (die Zarnajew-Brüder) aus Russland. Von da war ihre Familie 2002 beziehungsweise 2004 geflohen und hatte in den USA Asyl beantragt. Laut New York Times fürchtete ihr Vater Ansor Zarnajew aufgrund seiner Verbindungen zu Tschetschenien »tödliche Verfolgung«, also genau das, was seinen Söhnen später in den USA widerfuhr. 2011 schwärzte der russische Geheimdienst FSB den späteren angeblichen Boston-Bomber Tamerlan Zarnajew beim FBI an, Zarnajew wolle nach Russland reisen, um sich Untergrundgruppen anzuschließen.

Selbst wenn das stimmen würde - warum sollten die Zarnajews dann plötzlich Anschläge in ihrer Fluchtburg USA verüben? Nach den Boston-Attentaten sagte Medet Ünlü, ein Vertreter der nicht anerkannten tschetschenischen Rebellenregierung in Ankara, die beiden Zarnajew-Brüder seien als »Opfer« ausgesucht worden, um das tschetschenische Volk mit Terrorismus in Zusammenhang zu bringen. Das hätte er vielleicht besser nicht gesagt. Am 22. Mai 2013 wurde Ünlü in Ankara von Unbekannten erschossen.