Immer mehr Menschen leiden an Krebs. Die Frage ist aber, nimmt die Zahl der an Krebs erkrankten Menschen tatsächlich zu oder liegt es lediglich an den heutzutage immer ausgefeilteren Untersuchungsmethoden? Methoden, denen keine noch so klitzekleine Krebszelle entgeht. Methoden, die zu frühzeitigen Krebsdiagnosen führen, obwohl der betroffene Mensch unter Umständen - ohne diese Untersuchung - in seinem ganzen Leben nie etwas von seinem Krebs gemerkt hätte. Solche sog. Überdiagnosen sind häufiger als man vielleicht denken mag.
Schlechte Nachrichten: Sie haben Krebs
Stellen Sie sich vor: Nach der Krebsvorsorgeuntersuchung (mit Screening-Verfahren(1)) eröffnet Ihnen Ihr Arzt: "Es gibt leider schlechte Nachrichten. Sie haben Krebs." Falls Sie vorhätten, Ihr Leben zu retten - so Ihr Arzt - müssten Sie sich schleunigst einer Operation, einer umfassenden Chemo- und Strahlentherapie, einem Haufen weiterer Tests sowie der Behandlung mit zusätzlichen verschreibungspflichtigen Medikamenten unterziehen.
Am Rande erwähnt er noch, dass es selbstverständlich keine Garantie gäbe, dass die Erkrankung vollkommen gestoppt werden könne. Auch könne Ihnen niemand versprechen, dass die Krebsbehandlung selbst folgenlos bleiben würde.
Im Gegenteil, es sei ja bekannt, dass eine aggressive Krebstherapie - wie dieselbige, die Sie jetzt nötig hätten - zu sofortigen oder aber auch noch zu später auftretenden Nebenwirkungen führen könne und gravierende gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte.
Vertrauen ist gut, Kontrolle wäre besser
Voller Angst und Panik stimmen Sie natürlich zu. Denn auf die Idee, dass die Ergebnisse Ihrer Tests überbewertet oder gar falsch interpretiert sein könnten, kommen Sie natürlich nicht. Wie sollten Sie auch? Niemand, der nicht gerade Experte im Auswerten von Screening-Tests ist, kann seinen Ärzten über die Schulter schauen und deren Diagnosen überprüfen.
Das empfehlenswerte Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" lässt sich in diesem Bereich daher leider selten praktizieren. Also ist blindes Vertrauen gegenüber den Ärzten an der Tagesordnung. Man glaubt, dass in der heutigen hochtechnisierten Welt der Schulmedizin gefährliche bösartige Tumore doch sicherlich von harmlosen Zellansammlungen unterschieden und genauestens identifiziert und lokalisiert werden könnten. Diese Annahme hat sich jedoch als falsch erwiesen.
Studien zeigen: Überdiagnosen bei Krebs sind keine Seltenheit
Im Jahre 2010 wurden im Journal of the National Cancer Institute Forschungsergebnisse veröffentlicht, die enthüllten, dass Überdiagnosen bei Krebs in den Vereinigten Staaten ein schwerwiegendes Problem sein könnten.
Die Autoren der Studie, H.Gilbert Welch, MD, und William Black, MD, vom Department of Veterans Affairs Medical Center in White River Junction, Vermont und vom Dartmouth-Hitchcock Medical Center, fordern, dass dringend sowohl klinische als auch forschungstechnische Strategien entwickelt werden, um das Ausmass und die Therapiebedürftigkeit einer (bislang symptomlosen) Krebserkrankung richtig einschätzen zu können und um auf diese Weise Überdiagnosen bei Krebs künftig zu vermeiden.
Überdiagnose oder Fehldiagnose - der Unterschied
Überdiagnosen dürfen nicht mit Fehldiagnosen verwechselt werden. Während das Wort "Fehldiagnose" tatsächlich eine falsche Diagnose beschreibt, ist das bei Überdiagnosen nicht der Fall. Überdiagnosen nennt man Diagnosen, die eine tatsächlich vorhandene "Krankheit" oder besser Abnormalität feststellen. Doch würde diese Abnormalität während des gesamten Lebens des Patienten niemals Symptome verursachen.
Sog. Früherkennungsverfahren können Menschen folglich ganz unnötigerweise zu Patienten machen, die ohne diese Untersuchungsmethoden niemals Patienten geworden wären und möglicherweise bis zu ihrem Lebensende gesund und munter geblieben wären. So aber werden sie behandelt und leiden nicht selten unter den Nebenwirkungen aggressiver Therapien.
Da sich jedoch die meisten Menschen, die eine Diagnose erhalten, auch gemäss der schulmedizinischen Ratschläge behandeln lassen, lässt sich nur schwer sagen, welcher Patient auch ohne Behandlung gesund geblieben wäre. Im Grunde lässt sich eine Überdiagnose nur dann todsicher als solche erkennen, wenn der betreffende Mensch nach der Diagnose unbehandelt bleibt, nie Symptome der diagnostizierten Krankheit entwickelt und irgendwann schliesslich an etwas vollkommen anderem stirbt.
Täglich entstehen im menschlichen Körper mehrere hundert Krebszellen - und dennoch leiden nicht alle Menschen an Krebs
Der Organismus kennt etliche Strategien, wie er Krebszellen selbständig entschärfen kann. Die Anwesenheit von Krebszellen im Körper des Menschen deutet also nicht zwangsläufig auf baldiges Siechtum und frühen Tod hin.
Wenn nun aber mit immer feineren Untersuchungsmethoden immer unscheinbarere Krebszellansammlungen entdeckt werden und jede dieser Entdeckungen als gefährliche Krebserkrankung interpretiert wird, die ohne Behandlung zum Tode führen könnte, dann haben wir ein echtes Problem.
Herkömmliche Krebstherapien sind dafür bekannt, den Körper auf extremste Weise zu schwächen. Sie zerstören - teilweise nur für einen begrenzten Zeitraum, oft aber auch dauerhaft - seine Abwehrkraft und sein Selbstheilungspotential.
Das bedeutet, Chemo- und Bestrahlungstherapien können zwar in manchen Fällen Krebszellen vernichten, können den Körper aber gleichzeitig in einen derart labilen Zustand versetzen, dass er - sollte er die Therapie überleben - künftig nicht mehr in der Lage sein wird, neu entstehende Krebszellen so zu eliminieren, wie er es vor der Therapie regelmässig getan hat.
Die Anwesenheit von Krebszellen im Körper kann also durchaus auch ein vorübergehender - ganz natürlicher - Zustand sein, der sich innerhalb weniger Tage oder Monate wieder ändert, einfach deshalb, weil der Körper von Natur aus ständig seinen ursprünglichen gesunden Zustand anstrebt.
Die Erfolgsstatistiken der Schulmedizin
Wer jedoch Chemo- und Bestrahlungstherapien überlebt und schulmedizinisch daraufhin als (relativ) krebsfrei bezeichnet wird, geht automatisch als erfolgreich behandelter Patient in die Krebsstatistiken ein. Dabei hätte er möglicherweise - ohne Vorsorge- oder Früherkennungsuntersuchung - gar nie von seiner Krebserkrankung erfahren, einfach, weil er niemals krank geworden wäre.
Überdiagnosen verhelfen der Schulmedizin also - völlig unverdienterweise - zu grandiosen Erfolgsstatistiken. Statistiken, die leider gar nichts über die unnötigen körperlichen und seelischen Qualen derjenigen Patienten aussagen, die aufgrund einer Überdiagnose vollkommen überflüssige, aber schmerzhafte Therapien, furchtbare Sorgen und Todesängste ausstehen mussten.
Kommentar:
60 Prozent der Prostatakrebs-Fälle sind Überdiagnosen
Dr. Welch und Dr. Black analysierten die Daten von gross angelegten randomisierten Screening-Versuchen, um abschätzen zu können, in welchem Ausmass Überdiagnosen an der Tagesordnung seien. Sie fanden heraus, dass etwa 25 Prozent aller bei Mammographien entdeckten Brustkrebsfälle und circa 60 Prozent der Prostatafälle, die durch prostata-spezifische Antigen-Tests entdeckt werden, Überdiagnosen darstellen könnten.
Auch Lungenkrebs, der nach Röntgen- oder Sputumuntersuchungen (Sputum = Speichel, Auswurf) diagnostiziert werde, müsse - den Wissenschaftlern zufolge - nicht immer auch therapiebedürftiger Lungenkrebs sein. Welch und Black schätzen, dass es sich bei der Hälfte (!) der auf diese Weise diagnostizierten "Lungenkrebserkrankungen" tatsächlich um Fälle einer Überdiagnose handle.
Ähnlich könne es sich bei Darmkrebs verhalten, der mittels Computertomographie entdeckt wurde. Nur winzige Abnormalitäten im Darm führten oft zu weiteren Tests und diese zu möglichen Überdiagnosen von Darmkrebs. Genauso vermuten die Forscher häufige Überdiagnosen bei Schilddrüsenkrebs, Hautkrebs und Nierenkrebs, wenn diese mit Hilfe von Computertomographien "entdeckt" würden.
Überdiagnosen vermeiden
Überdiagnosen künftig zu vermeiden, ist alles andere als einfach. Der bisherige allgemeingültige Standpunkt (je eher etwas gefunden und behandelt wird, umso besser) müsste in jedem einzelnen Fall neu überprüft und die weitere Vorgehensweise für jeden einzelnen Patienten ganz individuell und neu entschieden werden.
Die Wissenschaftler fordern ausserdem, dass potenzielle Patienten ausführlich über die Risiken (und nicht nur über den vermeintlichen Nutzen) von Krebs-Früherkennungsuntersuchungen aufgeklärt werden müssten. Auch sollten bei bildgebenden Untersuchungsmethoden jene Grenzen angehoben werden, die bislang zu positiven Ergebnissen und daraufhin zu einer Behandlung geführt hätten.
Bei Lungen-CT-Scans beispielsweise werden in einigen Fällen dermassen viele kleine Lungenknötchen entdeckt, dass es bei manchen Ärzten mittlerweile schon üblich ist, diese vielen kleinen Abnormalitäten als das zu behandeln, was sie sind: Kleine Abnormalitäten, die - in den meisten Fällen - keine Symptome nach sich ziehen werden, daher ignoriert werden können und auf die man sich folglich auch nicht mit dem üblichen "Aaaaah-das-sieht-aus-wie-Krebs-und-wir-müssen-sofort-aggressiv-behandeln"-Aufschrei stürzen muss.
Wir empfehlen Ihnen, sich immer eine zweite oder dritte Meinung einzuholen.
Quelle
Fussnote
(1) Screening-Verfahren: zeitsparende und kostengünstige (Vor-)Tests (sog. Früherkennungsverfahren) mit bildgebenden Verfahren zur Erfassung eines bislang symptomlosen Krankheitsstadiums.
Kommentar: