Krokodil
Tausende Russen sind abhängig vom Heroinersatz Desomorphin, auch Krokodil genannt. Die Substanz ist sehr giftig und macht hochgradig abhängig. Krokodil-Süchtige laufen Gefahr, lebendig zu verfaulen.

Selbstgemacht aus rezeptfreien Codein-Tabletten - weil die neue Droge mit dem Szenenamen „Krok“ so leicht und billig zu bekommen ist, sind Tausende russischer Junkies auf die Droge umgestiegen. Die chemische Substanz hinter Krokodil ist das Opiat Desomorphin. In Drogenküchen gewinnen Süchtige den Morphium-Abkömmling, indem sie codeinhaltigen Pillen unter anderem Farbverdünner, Feuerzeugbenzin und Phosphorsäure beimischen - alle Zutaten sind in Russland günstig und ohne Rezept zu haben.

Die so entstandene braune Flüssigkeit hat katastrophale Auswirkungen auf den Körper der Süchtigen: Der Name Krokodil rührt wohl daher, dass die Haut sich grünlich-grau verfärbt und schuppig wird. Die Haut um die Einstichstelle stirbt ab, am ganzen Körper entstehen wunde und schorfige Stellen. Der Vergleich mit dem Reptil passt aber auch aus einem anderen Grund: Die Droge frisst ihre Konsumenten von innen her auf. Nach und nach verfaulen nämlich ganze Körperteile, im Endstadium fällt buchstäblich das Fleisch von den Knochen. Nicht selten sind Amputationen die Folge des Drogenmissbrauchs - und praktisch immer der Tod. Er kommt beispielsweise in Form von Leberversagen oder Verbluten durch geplatzte Blutgefäße.

Günstiger, giftiger, gefährlicher

Der hausgemachte Heroinersatz ist aber nicht nur schädlicher als das Original. Ein Krokodil-Rausch hält nur etwa zwei Stunden vor, die Droge muss also viel öfter injiziert werden als Heroin. Außerdem macht sie noch stärker abhängig, das Aufhören ist entsprechend hart. Die körperlichen Entzugserscheinungen quälen Betroffene bis zu einen Monat lang, sagte ein russischer Drogenspezialist dem Independent. Im Falle von Heroin seien es „nur“ fünf bis zehn Tage. Abgesehen davon gibt es aber ohnehin kaum geeignete Entzugseinrichtungen.

Sogar der russischen Regierung, die nicht gerade für eine strikte Drogenpolitik bekannt ist, bereitet die rasante Ausbreitung der synthetischen Armendroge Kopfzerbrechen. Wie die Basler Zeitung Online berichtete, rief der Chef der russischen Drogenaufsichtsbehörde Viktor Iwanow zu einer außerplanmäßigen Sitzung - und Präsident Dmitri Medwedew kam. Er sprach einen Bann gegen Internetseiten aus, die das Rezept für Krokodil enthielten, stellte aber keine strengeren Regeln auf, was den Rohstoff betrifft - die Codein-Tabletten.

Reißender Absatz der Rohstoffpillen

Der Zeitung Independent sagte Viktor Iwanow, der Verkauf von codeinhaltigen Schmerzmitteln habe sich in den vergangenen Jahren verdutzendfacht. Und das läge „wohl kaum daran, dass plötzlich alle Kopfweh haben“. Laut einem Sprecher des russischen Gesundheitsministeriums gebe es zwar Pläne, eine Rezeptpflicht für Codein-Tabletten einzuführen, eine schnelle Änderung sei aber nicht machbar. Die Opposition wirft der Regierung Pharma-Lobbyismus vor.

In Russland gibt es die Droge schon seit einigen Jahren, ihr Ursprung liegt wohl in Sibirien. Große Verbreitung fand „Krok“ aber erst in den letzten Jahren: Allein im ersten Quartal 2011 seien in Russland 65 Millionen Dosen Desomorphin sichergestellt worden, wird Viktor Iwanow von der russischen Drogenstelle in der Online-Ausgabe der Basler Zeitung zitiert. Offizielle Schätzungen gehen von rund 100 000 Süchtigen aus, inoffizielle rechnen mit einer Million Abhängigen.

Bis nach Deutschland sei die Krokodil-Welle mittlerweile geschwappt, berichtete kürzlich die Bild-Zeitung: Im Raum Frankfurt sollen erste Fälle aufgetreten sein. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erklärte auf Nachfrage von FOCUS Online, zur neuen Modedroge noch keine Informationen parat zu haben, und selbst den Betreibern des Drogenlexikons drugcom.de war der Begriff Krokodil neu. Eine Desomorphin-Suchtepidemie wie in Russland ist in Deutschland ohnehin eher nicht zu erwarten, denn wenigstens sind codeinhaltige Arzneimittel wie Hustenstiller hierzulande nur auf Rezept zu bekommen.