Bordeaux (Frankreich) - Bereits 1990 machten Höhlenforscher im Innern der südfranzösischen Bruniquel-Tropfsteinhöhle eine erstaunliche Entdeckung: Unzählige abgebrochene Stalagmiten bilden hier offenbar eine absichtlich errichtete Art von Steinkreisen. 14 Jahre nach dem plötzlichen Tod des die Konstruktion damals untersuchenden Archäologen hat ein internationales Forscherteam nun die Datierung der Anlage abgeschlossen - mit einem unglaublichen Ergebnis: Mit 175.000 Jahren handelt es sich hierbei zweifelsohne um die älteste bauliche Konstruktion weltweit. Zudem vermuten die Forscher, dass sie nicht von modernen Menschen stammt.
Bruniquel-Tropfsteinhöhle Frankreich
© Etienne FABRE/ SSAC Forscher bei der Erkundung der Stalagmitkreise im Innern der Bruniquel-Tropfsteinhöhle.
Schon in den 1990er Jahren verfolgte der untersuchende Archäologe Francois Rouzard seine Theorie, nachdem der Stalagmitenkreis in der Bruniquel-Höhle nicht von Menschen sondern von Neandertalern konstruiert wurde.

Tatsächlich scheint die Neudatierung der Anlage durch das Team um Jaques Jaubert von der Université de Bordeaux, die aktuell im Fachjournal Nature (DOI: 10.1038/nature18291) veröffentlicht wurde, die Theorie Rouzards zu bestätigen - datiert sie den Steinkreis doch auf ein Alter von 175.000 bis 177.000 Jahren und damit in eine Zeit, in der laut bislang geltender Lehrmeinung in Europa noch keine modernen Menschen lebten.
3D-Computerscan der Stalagmit-Konstruktion in der Bruniquel-Tropfsteinhöhle Frankreich
© Etienne Xavier MUTH – Get in Situ, Archéotransfert, Archéovision -SHS-3D, base photographique Pascal Mora 3D-Computerscan der Stalagmit-Konstruktion in der Bruniquel-Tropfsteinhöhle.
Die Forscher beschreiben den Fund wie folgt: „Die arrangierten Strukturen bestehen aus ganzen und zerbrochenen Stalagmiten, die im folgenden als „Speleofakten“ bezeichnet werden. Das ganze befindet sich in der größten Kammer der Höhle. Unsere Studie definiert zwei Kategorien von Strukturen: zwei ringförmige, die wohl am beeindruckendsten sind, und vier kleinere Ansammlungen von Stalagmiten. Die große Ringstruktur misst 6,7 mal 4,5 Meter im Durchmesser und die kleinere 2,2 mal 2,1 Meter. Die vier Anhäufungen bestehen aus Haufen von Stalagmiten und sind 0,55 bis 2,6 Meter groß. Zwei davon wurdem in der Mitte des großen Rings platziert, die anderen beiden außerhalb. Insgesamt wurde rund 400 (Stalagmiten-)Teile verwendet, die zusammengenommen eine Länge von 112,4 Metern und ein Gewicht von 2,2 Tonnen an Kalzit erreichen. Die Stalagmiten selbst wurden sorgfältig abgemessen und weisen Längen zu je etwa 34,4 cm (A) im großen Ring und zu je 29,5 cm (B) im kleinen Ring auf. Nicht zuletzt dieser Umstand deutet stark auf eine absichtlich errichtete Konstruktion hin.
Bruniquel-Tropfsteinhöhle Frankreich
© Jaques Jaubert et al. Direktansicht einer der Ringstrukturen
Die Ringe bestehen aus einer bis vier übereinanderliegenden Lagen ausgerichteter Stalagmiten. Auffallend ist zudem, dass einige kürzere Elemente im Innern der Lagen verbaut wurden, und diesen so zusätzlichen Halt verleihen. Andere Stalagmiten wurden geradezu stützenartig vertikal gegen die Hauptstruktur platziert, möglicherweise um die Konstruktion ebenfalls zu verstärken.“
An allen sechs Strukturen fanden die Forscher zudem Spuren von Feuer in Form von verkohltem organischen Material und einige Knochen von Bären und anderen großen Pflanzenfressern.

Neben der Konstruktion an sich, fasziniert besonders die Datierung der Anlage nicht nur die Wissenschaftler: Während andere Megalithbauten wie Stonehenge rund 5.000 Jahre und der älteste bislang bekannte Tempelbau von Gobekli Tepe etwa 10.000 Jahre alt ist, finden sich nur selten derart gut erhaltene Archäologische Strukturen mit einem Alter von mehr als 40.000 Jahren. Die Stalagmitkreise und - haufen in der Bruniquel-Höhle datierten die Forscher nun jedoch auf sage und schreibe 175.000 Jahre. Zu dieser Zeit lebten in Europa allerdings noch keine frühen modernen Menschen, sondern lediglich Neandertaler.


„Die Zuordnung der Konstruktionen in der Bruniquel-Höhle als Bauwerke von Neandertalern ist aus zweierlei Gründen bislang beispiellos“, so die Forscher und führen weiter aus: „Zum einen belegt es die Inbesitznahme eines tiefgelegenen Karstraumes mitsamt Beleuchtung durch eine prä-moderne Menschenart. Zum anderen betrifft es komplexe Konstruktionen, wie sie noch nie zuvor gefunden wurden und die aus hunderten, abgemessenen und in dieser Art abgebrochenen Stalagmiten bestehen, die offenbar genau zu diesem Zweck derart abgebrochen, hierher gebracht, angeordnet und gemeinsam offenbar beabsichtigt (durch Feuer) beheizter Zonen genutzt wurden.

Unsere Ergebnisse legen somit nahe, dass jene Neandertalergruppe, die für diese Konstruktionen verantwortlich war, ein Niveau an sozialer Organisation erreicht hatte, die viel komplexer ist als dies bislang Neandertalern zugesprochen wurde.“

Weiterhin rätseln die Wissenschaftler über den einstigen Sinn der Anlage, vermuten jedoch aufgrund der vom Höheneingang fast 340 Meter entfernten Position der Stalagmitkreise und der gezielt an den Strukturen entfachten Feuerstellen einen symbolischen oder Ritualzweck. Weitere Untersuchungen sollen jedoch auch überprüfen, ob die Anlage nicht vielleicht auch einem profaneren Sinn, etwa der Tierhaltung oder Zuflucht ihrer Erbauer gedient haben könnten.