Das Grab ei­ner vor 12.000 Jah­ren ge­stor­be­nen Scha­ma­nin lie­fert span­nen­de Ein­bli­cke in die To­ten­ri­tua­le der jung­stein­zeit­li­chen Kul­tur des Natu­fi­en. Denn wie die un­ge­wöhn­li­che Aus­wahl und Fül­le der Grab­bei­ga­ben na­he­le­gen, führ­ten die Men­schen da­mals be­reits in meh­re­ren Schrit­ten auf­wän­di­ge Be­gräb­nis­ri­tua­le durch. Al­lein die Be­schaf­fung und Vor­be­rei­tung der Bei­ga­ben er­for­der­te ei­ne wo­chen­lan­ge Vor­ar­beit, wie Ar­chäo­lo­gen her­aus­fan­den.

Blick in das Grab der Steinzeit-Schamanin
© Naftali HilgerBlick in das Grab der Steinzeit-Schamanin
Vor rund 12.000 Jah­ren be­gann in der Le­van­te mit der Kul­tur des so­ge­nann­ten Natu­fi­en ein fun­da­men­ta­ler Wan­del in der Le­bens­wei­se un­se­rer Vor­fah­ren. Die Men­schen wur­den sess­haft, sä­ten Wild­getrei­de und Pflan­zen aus und bil­de­ten neue For­men des ge­sell­schaft­li­chen Mit­ein­an­ders aus. Auch neue Ri­tua­le ge­hör­ten zu die­ser Ent­wick­lung da­zu: "Im spä­ten Natu­fi­en wur­den Be­gräb­nis­ri­tua­le im­mer po­pu­lä­rer, und die ers­ten Fried­hö­fe ent­stan­den", er­klärt Leo­re Gros­man von der He­bräi­schen Uni­ver­si­tät Je­ru­sa­lem.

Un­ge­wöhn­li­che Grab­bei­ga­ben

Es war da­her zu­nächst nicht er­staun­lich, dass die Ar­chäo­lo­gin 2008 in ei­ner Höh­le im Nor­den Is­ra­els ein Grab aus der Natu­fi­en-​Ära ent­deck­te. In die­sem wur­de vor rund 12.000 Jah­ren ei­ne et­wa 1,50 Me­ter gro­ße Frau be­stat­tet. Doch die Um­stän­de, un­ter de­nen dies ge­schah, wa­ren un­ge­wöhn­lich: Die äl­te­re, vor ih­rem Tod be­reits kör­per­lich ge­brech­li­che Frau lag auf ei­nem gan­zen Bett aus aus­ge­such­ten Ma­te­ria­li­en, dar­un­ter Ga­zel­len­hör­nern, Krei­de­stü­cken, Ton und sorg­fäl­tig plat­zier­ten Kalk­stein­blö­cken. Um die Über­res­te der To­ten her­um wa­ren 86 Schild­krö­ten­pan­zer auf­ge­reiht.

Auf dem Kör­per der Frau wa­ren wei­te­re, noch selt­sa­me­re Grab­bei­ga­ben an­ge­ord­net, dar­un­ter Mu­schel­scha­len, ein Ad­ler­flü­gel, die Hüft­kno­chen ei­nes Leo­par­den, das Vor­der­bein ei­nes Wild­schweins und so­gar ein ab­ge­trenn­ter mensch­li­cher Fuß. "Die­se Bei­ga­ben und die Me­tho­den, mit de­nen das Grab kon­stru­iert und ver­sie­gelt wur­den, deu­ten dar­auf hin, dass es sich hier um die Be­stat­tung ei­ner Scha­ma­nin han­del­te", sagt Gros­man.

To­ten­ri­tu­al re­kon­stru­iert

Die Ent­de­ckung die­ses un­ge­wöhn­li­chen Gra­bes bot Gros­man und ih­rer Kol­le­gin Na­ta­lie Mun­ro von der Uni­ver­si­ty of Con­nec­ti­cut die ein­ma­li­ge Ge­le­gen­heit, die Ri­tua­le und Ab­läu­fe bei der Be­stat­tung die­ser von ih­rem Volk of­fen­sicht­lich ver­ehr­ten Scha­ma­nin zu re­kon­stru­ie­ren. "Die Fun­de im Grab ge­ben uns ei­nen Ein­blick in ei­ne ent­schei­den­de Um­bruchs­zeit der Mensch­heits­ent­wick­lung und in ei­ne Zeit, in der das Be­gräb­nis­ri­tu­al als so­zia­ler Ver­mitt­ler im­mer wich­ti­ger wur­de", be­to­nen die For­sche­rin­nen.

Wie sie her­aus­fan­den, um­fass­te das To­ten­ri­tu­al der Scha­ma­nin sechs klar de­fi­nier­te Pha­sen und er­for­der­te wahr­schein­li­che wo­chen­lan­ge Vor­be­rei­tun­gen. So muss­ten schon im Vor­feld die Dut­zen­de von Schild­krö­ten ge­fan­gen und ih­re Pan­zer für das Be­gräb­nis vor­be­rei­tet wer­den. Auch die an­de­ren Ma­te­ria­li­en muss­ten aus der Um­ge­bung her­an­ge­schafft wer­den. "Das er­for­der­te ei­ni­ges an Pla­nung und spricht da­für, dass es ei­ne de­fi­nier­te To-​Do-​Lis­te gab und ei­nen Ar­beits­plan, der die Ri­tu­al­schrit­te und ih­re Rei­hen­fol­ge vor­gab", sagt Gros­man.

Sechs Pha­sen ei­nes Ri­tu­als

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© UnbekanntEine Schamanin aus dem Altai-Gebirge.
Das To­ten­ri­tu­al selbst be­gann mit dem Aus­he­ben der Gru­be - ei­nem per­fek­ten Oval, des­sen Grund­riss wahr­schein­lich mit Hil­fe von zwei Holz­pf­lö­cken und ei­ner Schnur auf­ge­zeich­net wur­de. Als nächs­tes wur­de die ers­te Schicht der Grab­bei­ga­ben sorg­sam am Grund der Gru­be aus­ge­legt und mit ei­ner De­cke aus mit Asche ver­meng­ten Sand, Tier­kno­chen und Feu­er­stein­ab­schlä­gen be­deckt. Dann wur­de die to­te Scha­ma­nin in Sei­ten­la­ge auf die­ses Bett ge­legt und ihr Kör­per mit den 86 Schild­krö­ten­pan­zern be­deckt. "Das muss ein be­ein­dru­cken­der An­blick ge­we­sen sein", sagt Gros­man.

Wei­te­re, für das Natu­fi­en sehr un­ge­wöhn­li­che Grab­bei­ga­ben folg­ten, un­ter ih­nen der Schwanz ei­nes Au­er­och­sen, die Flü­gel­spit­ze ei­nes Ad­lers und ei­ni­ge Leo­par­den­kno­chen, aber auch per­sön­li­che Ge­gen­stän­de der To­ten wie ei­ne Ba­salt­scha­le mit star­ken Ge­brauchs­spu­ren, ein Kalk­stein­scha­ber und zwei An­hän­ger aus Mu­schel­scha­len. "Das ent­hüllt, dass selbst schein­bar all­täg­li­che Ob­jek­te durch ei­nen ri­tu­el­len Kon­text ei­ne neue Be­deu­tung be­ka­men", er­klä­ren die For­sche­rin­nen.

Die nächs­te Schicht im Grab zeugt da­von, dass das Ri­tu­al wahr­schein­lich von ei­nem aus­ge­dehn­ten Fest­mahl be­glei­tet wur­de: Sie um­fasst un­zäh­li­ge Tier­kno­chen, Über­res­te von Stein­werk­zeu­gen und an­de­ren Über­res­ten. "Dies spricht da­für, dass ein Groß­teil, wenn nicht so­gar der ge­sam­te Ab­fall des To­ten­fes­tes da­für ge­nutzt wur­de, das Grab auf­zu­fül­len", er­klärt Gros­man. Am Schluss wur­de ein gro­ßer Stein­block oben auf die­se Deck­schicht ge­legt. "Min­des­tens drei Men­schen müs­sen die­sen schwe­ren Stein da­mals ge­tra­gen und in sei­ner rich­ti­gen Po­si­ti­on plat­ziert ha­ben", ver­mu­tet Gros­man.

Nach An­sicht der Ar­chäo­lo­gin­nen be­le­gen die Kom­ple­xi­tät und der schie­re Um­fang die­ses To­ten­ri­tu­als, wie wich­tig die­se Fei­er­lich­kei­ten in der Ge­sell­schaft des spä­ten Natu­fi­en wa­ren. Ver­mut­lich war die ge­sam­te Be­völ­ke­rung des Or­tes und der Re­gi­on an den Vor­be­rei­tun­gen und am Ri­tu­al be­tei­ligt.

Quelle: Hebrew University of Jerusalem, Fachartikel: Current Anthropology, doi: 10.1086/686563