Die Regierungen der mittel- und osteuropäischen Länder haben in den letzten Jahren eine „beispiellose“ Menge an Waffen und Munition in den Nahen Osten verkauft und damit bewaffnete Konflikte in der Krisenregion angefeuert, enthüllt ein aktueller Bericht des Recherchenetzwerks BIRN. Beleuchtet wird auch "Washingtons Rolle bei der Versorgung von Konfliktgebieten mit europäischen Waffen".
Panzer,Waffenhandel
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Reporter des investigativen Reporter-Netzwerks Balkan (BIRN) und des Reportprojekts für organisierte Kriminalität und Korruption (OCCRP) deckten auf, dass eine Gruppe von europäischen Staaten, angeführt von Kroatien und der Tschechischen Republik, seit 2012 Waffen in die Krisenregion schleusen.

Dem Bericht vom Mittwoch zufolge, verdienten sie durch die Waffenverkäufe seitdem mehr als eine Milliarde Euro. Einige der Waffen sollen auch in die Hände des IS-geraten sein.


Der Bericht mit dem Titel „Making a Killing: Die 1,2 Milliarden Euro Waffen-Pipeline in den Nahen Osten“, ist das Ergebnis einer einjährigen Recherche.

Er zeigt „zum ersten Mal“ auf, dass Dutzende Flugzeuge von Flugplätzen in Osteuropa aus, die todbringende Fracht „in Staaten des Nahen Ostens und der Türkei“ transportierten, „die wiederum Waffen in die brutalen Bürgerkriege in Syrien und im Jemen schleuste“ .

Die Regierungen der Verkäuferstaaten waren sich sehr wohl über das Ziel ihrer Exporte bewusst, behauptet der Bericht:
„Die Waffenausfuhrlizenzen, die die endgültige Bestimmungsort der Waren zu garantieren sollen, wurden trotz zahlreicher Beweise dafür, dass Waffen an syrische und andere bewaffnete Gruppen weitergeleitet werden, die beschuldigt werden ausgedehnte Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten zu begehen, gewährt.“
Weiter gibt der Report an, dass Experten, die während der Recherche die Beweise ausgewertet haben, die Exporte als „fast sicher Illegal“ eingestuft haben.
Die Beweise deuten in Richtung einer systematischen Abzweigung von Waffen an die bewaffneten Gruppen, die beschuldigt werden schwere Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Wenn dies der Fall ist, sind die Transfers gemäß dem Waffenhandelsabkommen der Vereinten Nationen (ATT) und internationalen Recht illegal“, so die Aussage von Patrick Wilcken, Spezialist für Rüstungskontrolle bei Amnesty International.
Ein Großteil der Waffen wurde nach Saudi-Arabien exportiert. Das Golf-Königreich hat sich neben anderen Waffen und Munition aus acht mittel- und osteuropäischen Ländern etwa 18.500 Raketenwerfern, 10.000 AK-47 Gewehre, 300 Panzer und 250 Flakgeschütze beschafft.

Die genannten Staaten sind: Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Montenegro, Rumänien, Serbien und die Slowakei.

Neben dem Abnehmer Saudi-Arabien werden die Waffen auch nach Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei verschickt.
„Die vier Empfängerländer stellen für Syrien und dem Jemen wichtige Waffenlieferanten dar. Bis zum Jahr 2012 haben sie gar keine bis wenige Waffen aus Mittel- und Osteuropa gekauft.“
Im Jahr 2012 begannen die bewaffneten Konflikte in der Region zu eskalieren.
„Das Tempo der Transfers nimmt nicht ab, einige der größten Geschäfte wurden im Jahr 2015 genehmigt“, warnten BIRN und die OCCRP.
Nachdem die tödliche Fracht in den vier Ländern des Mittleren Ostens ankommt, wird sie, dem Bericht nach, nach Syrien weitergeleitet. Waffen und Munition werden „über zwei geheime Kommandoeinrichtungen geschleust, die so genannte militärischen Operationszentren (MOZ) in Jordanien und in der Türkei“, wird im Bericht unter Berufung auf den ehemaligen US - Botschafter in Syrien, Robert Stephen Ford, behauptet.

Die Waffen werden Berichten zufolge von den MOZ aus über den Landweg an die syrischen Grenze geschafft oder durch Militärflugzeuge aus Luft abgeworfen. Angeblich sind die Waffen teilweise für die Freie Syrische Armee (FSA) bestimmt. So berichtet es zumindest ein Kommandant der FSA aus Aleppo. Er sagte dem Netzwerk BIRN und der Organisation OCCRP gegenüber aus, dass die Waffen vom zentralen Hauptquartier in Syrien verteilt wurden.
„Wir kümmern uns nicht um das Ursprungsland. Wir wissen nur dass sie [die Waffen] aus Osteuropa stammen“, verriet der FSA Kommandant, der aus Gründen der eigenen Sicherheit anonym bleiben möchte.
Das Untersuchungsteam hat festgestellt, dass ost- und mitteleuropäische Waffen sowie Munition in den Händen von FSA-Kämpfern auf mehr als 50 Videos und Fotos zu sehen sind, die in sozialen Medien veröffentlicht wurden, so der Bericht. Außerdem sollen einige Terrorgruppen, die Al-Nusra Front und der IS eingeschlossen, offenbar auch im Besitz solcher Waffen sein.
„Die Kennzeichnungen auf einigen Waffen, die Herkunft und Produktionsdatum angeben, verraten, dass erhebliche Mengen aus Produktionslinien des Jahres 2015 stammen.“
Waffen aus Mittel- und Osteuropa wurden auch von den Saudis im Jemen aus der Luft abgeworfenen, um ihre Verbündeten zu unterstützen. Laut Ford wird der Handel von Waffen „von der CIA, der Türkei und den Golfstaaten von Zentren in Jordanien und der Türkei koordiniert“. In Wirklichkeit jedoch, würde der Prozess „oft“ umgangen, fügte er hinzu.

Doch Washingtons Rolle bei der Versorgung von Konfliktgebieten mit europäischen Waffen könnte durchaus umfangreicher sein. Der Bericht beschreibt, dass die USA „militärische Güter“ aus Osteuropa direkt angekauft und sie in „großen Mengen“ durch das Spezialoperationskommando des Verteidigungsministeriums (SOCOM) nach Syrien geliefert hat.

„Als Teil der verdeckten Waffenlieferung nach Syrien“, kommissionierte das SOCOM mehrere Frachtschiffe aus rumänischen und bulgarischen Häfen um rund 4.700 Tonnen Waffen und Munition, einschließlich schwerer Maschinengewehre, Raketenwerfer, Mörser und Granaten zu liefern.