Wer reich ist, wird reicher - gleichzeitig können sich viele Menschen weniger leisten als früher. In ihrem Armuts- und Reichtumsbericht warnt die Regierung vor "verfestigten Ungleichheit". Über die politischen Folgen ist sie sich jedoch uneins.
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Der wachsende Wohlstand in Deutschland geht an einem großen Teil der Arbeitnehmer vorbei. "Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben 2015 real weniger verdient als Mitte der Neunzigerjahre", sagte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Donnerstag in Berlin. Es gebe zudem eine "verfestigte Ungleichheit bei den Vermögen". Dies seien Befunde im Armuts- und Reichtumsbericht, auf dessen Formulierung sich Nahles nach monatelangem Streit mit dem Kanzleramt geeinigt hat.

Bei dem Streit ging es um eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Einkommenshöhe und politischem Einfluss sieht. Menschen mit mehr Geld hätten demnach größeren Einfluss auf die Politik. Diese Passage wurde nun gestrichen. (Mehr über die Hintergründe des Streits lesen Sie hier).


Kommentar: Wurde da eine Wahrheit aus dem Bericht bewusst gestrichen und handelt es sich hierbei um Schadensbegrenzung?


"Das ist in der Form des Armuts- und Reichtumsberichts nicht zu finden", räumte Nahles ein. Sie ließ durchblicken, dass dies am Einwand des Kanzleramtes scheiterte: "Da waren wir uns in der Bewertung nicht sehr nah." Nahles steht trotzdem weiter hinter den Kernergebnissen der Studie: Je mehr Menschen mit einem hohen Einkommen eine Meinung verträten, desto wahrscheinlicher sei eine politische Entscheidung in ihrem Sinne. "Es darf nicht sein, dass Stimmen mehr oder weniger wert sind", sagte Nahles.

Objektiv fest steht, dass die Wahlbeteiligung unter Geringverdienern in den vergangenen Jahren deutlich stärker zurückgegangen ist als bei Besserverdienern. Das findet auch im Bericht Niederschlag: "Die politische Beteiligung bis hin zur Teilnahme an Wahlen ist bei Menschen mit geringem Einkommen deutlich geringer und hat in den vergangenen Jahrzehnten stärker abgenommen als bei Personen mit höherem Einkommen und der Mittelschicht", heißt es dort.


Kommentar: Die Beteiligung nahm ab, weil niemand wirklich die Interessen vertritt.


Dem Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung alle vier Jahre vorlegen muss, kommt im Bundestagswahljahr besondere Brisanz zu. Er gilt als eine Bestandsaufnahme der sozialen Lage. Vor allem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat seit seiner Nominierung "soziale Ungerechtigkeit" zum Thema gemacht. Der Entwurf von Nahles lag monatelang im Kanzleramt auf Eis, nachdem er im vorigen Jahr eine erste Abstimmungsrunde durchlaufen hatte.

Zur Vermögensungleichheit heißt es in dem Bericht, die reichsten zehn Prozent der Haushalte besäßen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens, währen die unteren 50 Prozent der Haushalte nur auf ein Prozent des Gesamtvermögens kämen.

Gesellschaftspolitisch problematisch sei nicht nur der Umfang des Reichtums, sondern dass dieser häufig nicht auf eigener Leistung beruhe. Bei zwei Dritteln basiere er vielmehr auf Erbschaften oder Schenkungen. "Sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu groß und wird erworbener Reichtum als überwiegend leistungslos empfunden, so kann dies die Akzeptanz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verringern", heißt es in dem Bericht.

stk/Reuters/AFP/dpa