Deutschlands Journalisten stehen wegen ihrer Berichterstattung über Flüchtlinge in der Kritik. Eine Studie wirft Ihnen schlechtes Handwerk und einseitige Darstellung vor. Allerdings nicht allen. Insgesamt jedoch sei der Journalismus Schuld an den verschärften Fronten.
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Die Vorwürfe gipfeln in dem Wort "Lügenpresse". Etablierte Printmedien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk gäben nur das wieder, was ihnen die Bundesregierung einflüstere, oder berichteten schlichtweg falsch, heißt es immer wieder von Kritikern der journalistischen Berichterstattung. Prompt wurde der bereits von den Nationalsozialisten genutzte Begriff "Lügenpresse" Unwort des Jahres 2014, weil laut Jury damit Medien pauschal diffamiert werden.

Auch wer nicht gleich von "Lügenpresse" sprach, hatte mitunter ein ungutes Gefühl, was die Berichterstattung über den Flüchtlingszuzug 2015 und seine Folgen anging. Manch einer fragte sich, ob einige Medien nicht zu sehr nach der "Willkommenskultur" riefen und nicht zu unkritisch seien - dazu gab es in der Folge bereits Selbstkritisches zu lesen und zu hören. Andere Menschen wiederum fanden Berichte zu Flüchtlingen und Migration genau richtig.

Ein Vorwurf: Zu unkritisch

Jetzt hat eine Studie, die am Freitag auf der Internetseite der Otto-Brenner-Stiftung freigeschaltet wurde, bei "großen Teilen der Journalisten" Mängel in der Flüchtlings-Berichterstattung ausgemacht. Studienleiter Michael Haller: "Statt als neutrale Beobachter die Politik und deren Vollzugsorgane kritisch zu begleiten und nachzufragen, übernahm der Informationsjournalismus die Sicht, auch die Losungen der politischen Elite." Stichwort "Willkommenskultur".

Die Wissenschaftsstiftung der IG Metall betont aber auch, dass nicht alle Arbeiten über einen Kamm geschert werden dürften. "Viele Journalisten haben herausragende Berichte geschrieben, viele Medien haben sich um präzise, aktuelle Berichterstattung gekümmert", sagen Haller und Stiftungs-Geschäftsführer Jupp Legrand.

Nach Hallers Ansicht weisen die Ergebnisse der Erhebung "auf eine Sinn- und Strukturkrise der sogenannten Mainstreammedien" hin. "Die von den Journalisten beschriebene Wirklichkeit ist sehr weit entfernt von der Lebenswelt eines großen Teils ihres Publikums."


Kommentar: Die Medien bedienten sich beiden Seiten und es gab kaum eine Grauzone bei den Berichten.


Ein Ergebnis: Debatte von Regierungsparteien beherrscht

Untersucht wurden den Angaben zufolge mehr als 30.000 Medienberichte - "und insbesondere für einen gut zwanzigwöchigen Zeitraum, in dem sich im Jahr 2015 die Ereignisse überschlugen, rund 1.700 Texte". Im Mittelpunkt standen "Printleitmedien" wie Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Welt, mehr als 80 Lokal- und Regionalzeitungen sowie die Internetportale focus.de, tagesschau.de und Spiegel Online.

Die Studie gelangt über die Analyse von zehn "Großereignissen" - etwa der Grenzöffnung für Flüchtlinge oder Kanzlerin Merkels Satz "Wir schaffen das" - zu ihren Ergebnissen. Insgesamt dominiert laut Studie bei den drei großen Zeitungen FAZ, SZ und Welt die Textform Bericht mit 48,6 Prozent, gefolgt von Kommentar und Glosse (17,5). Das Interview komme mit 4,4 Prozent selten vor, Reportagen und Porträts lägen bei 6,4.

"Zugespitzt formuliert: Das Flüchtlingsthema fand in der medialen Öffentlichkeit der Leitmedien (weitgehend) ohne Flüchtlinge statt", heißt es dazu. Auch kämen oft Journalisten in den Texten zu Wort, deutlich häufiger als etwa "Vertreter des aktiv handelnden Religions- und Kirchenpersonals". Die politische Debatte sei von den Regierungsparteien beherrscht worden.

Eine Folge: Verschärfte Fronten

Auswahl der Gesprächspartner, Ton der Berichterstattung, Einfluss auf die Stimmung in Deutschland: Ein Befund der Studie ist, dass der Informationsjournalismus dazu beigetragen habe, eine "Frontenbildung" zu verschärfen. In rund der Hälfte der Berichterstattungen werde nicht neutral und sachlich berichtet.

Erst auf die Ereignisse der Silvesternacht 2015/16 hin sei "ein veränderter - man könnte sagen: differenzierterer - Umgang mit dem Megathema 'Flüchtlinge in Deutschland'" erfolgt. So hätten Medien zunehmend Ängste und Sorgen der Bevölkerung thematisiert.


Kommentar: Bei diesen Berichten wurde dann genau das Gegenteil berichtet und die Medien berichteten wiederholt unsachlich und parteiisch.

Reaktion auf die Studie

"Es gibt sicherlich kritikwürdige Punkte", sagt Sebastian Leber vom Tagesspiegel im ZDF. Die Studie sei nicht insgesamt "unlauter" und setze auch nicht falsche Methoden ein, doch einen Vorwurf könne man gegen die Studie erheben. Nämlich, "dass sie eben diese Einseitigkeit, die sie den Medien vorwirft, in einer gewissen Weise auch selbst kultiviert", sagt Leber.

Es seien etwa Gastbeiträge, die in den Medien in diesem Zeitraum veröffentlicht wurden, von den Autoren der Studie nicht berücksichtigt worden. "Einen anderen Punkt, den ich auch noch bemerkenswert finde, was die Studie betrifft, ist die Entwicklung, die es danach gab", erklärt der Tagesspiegel-Journalist. "Die Selbstreflektion der Medien, die ist eigentlich in der Studie gar nicht mehr aufgenommen worden, sondern man hat wirklich nur unmittelbar auf die zwei, drei Monate geschaut." Das verzerre das Bild. Die Studie erhebe den Vorwurf, die Medienberichterstattung habe das Land gespalten. "Also, ich würde sagen, es gab eine diffuse Stimmung. Es gab auch Unsicherheit in den Medien - aber es gab auch eine Diskussion danach", betont Leber.

Quelle: ZDF
Vor gut zwei Wochen wurde eine andere Untersuchung veröffentlicht, wonach die Deutschen Presse, Fernsehen und Radio so stark wie seit 15 Jahren nicht mehr vertrauen. Die Gefahr, dass nach der Studie der Otto Brenner Stiftung nun alle Journalisten in einen Topf geworfen werden könnten und dies denen, die "Lügenpresse" schrien, in die Hände spiele, sehe er auch, sagte Haller der "Welt". Aber: "Wir haben zum Glück eine informationsoffene und meinungsfreie Gesellschaft, und da muss man auch mit Missbrauch rechnen."

kna