Laut geleakten E-Mails will der saudische Kronprinz am liebsten den Krieg seines Landes gegen den Jemen beenden. Öffentlich hat Mohammed bin Salman einen Rückzug stets zurückgewiesen. Mit einem baldigen Ende des Massensterbens ist dennoch nicht zu rechnen.
Mohammed bin Salman
© ReutersDer saudische Thronanwärter Mohammed bin Salman will angeblich "raus aus dem Jemen".
Im April tauschten der ehemalige US-Botschafter Israels, Martin Indyk, und der amtierende Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA, Yousef Al Otaiba, ihre Ansichten über den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman per E-Mail aus. Indyk bezeichnete darin den Kronprinzen als "pragmatischen Führer", der sich in Gesprächen mit ihm und dem ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater der USA, Stephen Hadley, klar geäußert habe, dass er "aus dem Jemen raus" will. Al Otaiba pflichtete Indyk bei:
Ich denke, Salman ist viel pragmatischer, als es die offiziellen saudischen Verlautbarungen vermuten lassen.
Middle East Eye hat die Gesprächsinhalte der geleakten E-Mails am Montag veröffentlicht. Gegenüber dem Nachrichtenportal erklärte Indyk, dass er sich nicht zu den Inhalten eines privat geführten Gesprächs äußern will. Auch Al Otaiba wollte die Angelegenheit nicht weiter kommentieren.

Sollte Mohammed bin Salman diese Aussage wirklich getätigt haben, dann wären das ganz neue Töne des saudischen Verteidigungsministers. Er gilt bislang als treibende Kraft hinter dem seit März 2015 geführten Krieg gegen den Jemen. An dem vom Westen unterstützten Kriegseinsatz sind unter anderem auch die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligt.

Der BND warnte zu einem früheren Zeitpunkt vor einem aggressiven außenpolitischen Kurs Salmans, den König Salman ibn Abd al-Aziz im Juni dieses Jahres zum Kronprinzen ernannt hat. In der Öffentlichkeit hatte der Prinz einem Rückzug seines Landes aus dem Jemen stets eine Absage erteilt. Dieser würde einem Gesichtsverlust für das Königreich gleichkommen.

Mit dem Militäreinsatz wollen die Saudis den Einfluss der schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen zurückdrängen. Riad betrachtet die Huthis als eine vom Iran dominierte Kraft und wirft Teheran vor, diese militärisch zu unterstützen. Belege dafür gibt es jedoch nicht. Dass es sich bei den Huthis nicht um iranische Erfüllungshilfen handelt, hatte selbst das Weiße Haus nach Beginn der Intervention erklärt.

Dennoch wird der Konflikt in den Medien meist als Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran beschrieben, dabei ist der Einfluss des persischen Landes im Jemen im Vergleich zu Saudi-Arabien verschwindend gering. Obwohl die Saudis und ihre Verbündeten von ihrem Kriegsziel weit entfernt sind und die Bodentruppen der Koalition kaum vorankommen, zeichnete Vize-Premierminister Salman noch im Mai ein positives Bild vom Kriegsverlauf im Jemen.

Laut ihm könnte die saudische Armee die Huthi-Rebellen "innerhalb einiger Tage" besiegen, aber das würde auf den Tod tausender saudischer Soldaten und vieler Zivilisten hinauslaufen. Stattdessen setze man auf eine Erschöpfung des Gegners. "Die Zeit spielt für uns", sagte der Kronprinz.

Humanitäre Katastrophe ohne absehbares Ende

Dasselbe lässt sich nicht bezüglich der jemenitischen Bevölkerung behaupten. Der nunmehr seit über zwei Jahren andauernde Krieg hat verheerende Folgen für das bereits zuvor von Armut gebeutelte Land. Die UN sprach zu Jahresbeginn von über 10.000 durch Kriegshandlungen getötete Zivilisten. Sie bezeichnete diese Zahl als "niedrige Schätzung".

Der Großteil der Getöteten ist auf die saudischen Luftangriffe zurückzuführen, bei denen gezielt zivile Einrichtungen und lebenswichtige Infrastruktur bombardiert werden. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als die Hälfte der Kliniken und Gesundheitszentren zerstört oder mussten aufgegeben werden.

In einem letzten Monat veröffentlichten Bericht spricht die Hilfsorganisation "Save the Children" von 4.000 getöteten oder verwundeten Kindern. Infolge der Kriegshandlungen und der gegen das Land verhängten Blockade leiden große Teile der Bevölkerung Hunger. Über 60 Prozent der Menschen sind laut UN auf humanitäre Hilfslieferungen angewiesen, um überleben zu können. Mindestens zwei Millionen Kinder leiden akut Hunger.

Zudem wird das Land von einer schweren Cholera-Epidemie erfasst. Laut Zahlen der WHO vom Montag sind bereits über eine halbe Million Menschen erkrankt. Täglich kommen Tausende hinzu. Seit April erlagen über 2.000 Menschen der Krankheit. Die Hilfsorganisation Oxfam spricht vom schwersten Cholera-Ausbruch seit über einem halben Jahrhundert:
Der Krieg hat die Wirtschaft zerstört und Millionen Menschen die Einkommensgrundlage genommen. Drei Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Er hat eine Krise herbeigeführt, durch die sieben Millionen Menschen vor dem Hungertod stehen. Durch den Krieg wurde die Hälfte der medizinischen Einrichtungen zerstört, was den schwersten Ausbruch von Cholera seit über 50 Jahren befördert hat.
Nach Angaben der Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR fließen die Hilfsgelder nur spärlich. Es seien erst 50 Prozent der Mittel zusammengekommen, die das Land in diesem Jahr noch brauche, sagte Shabia Mantoo, UNHCR-Sprecherin im Jemen, am Wochenende der Wiener Zeitung. Obwohl es sich um die aktuell größte humanitäre Krise handele, bekomme sie international nur wenig Aufmerksamkeit. Dabei habe die Krise potenziell globale Folgen.
Das Land befindet sich am Rande des Abgrunds, das wird sich direkt auf die weltweite Sicherheitslage auswirken", sagte die Sprecherin.
Ob das Massensterben bald eine Ende finden wird, ist trotz der angeblichen Aussage Salmans zu bezweifeln. Denn selbst wenn der saudische Kronprinz am liebsten "raus aus dem Jemen" will, stellt sich ihm das Problem, der heimischen Öffentlichkeit zu erklären, dass ein Rückzug keiner Niederlage gleichkommt.

Alles andere als ein "totaler Sieg" sei für das Königreich mit seinem regionalen Hegemonieanspruch kaum hinnehmbar, merkte die auf den Nahen Osten spezialisierte Plattform Al-Monitor kurz nach Beginn der saudischen Intervention an.