Ein tödlicher Autounfall in Berlin führt zu neuen Diskussionen um die Gefährlichkeit von SUVs. Von "Auto-Terror" und "motorisierten Mordwerkzeugen" ist die Rede. Es geht um Trauer, Hilflosigkeit und Wut - und um eine unwürdige DebatteGedenken an die Opfer und Wut in der Berliner Invalidenstraße / Bastian Brauns
Der spätsommerliche Wind verbreitet einen süßlichen Duft in Berlin-Mitte. Dort, wo die Ackerstraße die Invalidenstraße kreuzt, unweit des Nordbahnhofs. Blumen der Beklemmug liegen hier zwischen flackernden Kerzen und kleinen Teddybären. Briefe, Zettel und Kreidezeichnungen zeugen von der Trauer, die hier seit vergangenem Freitagabend herrscht.
Der Fahrer eines Porsche-SUV raste aus noch unbekannter Ursache auf den Gehweg. Ein dreijähriges Kind, eine 64jährige Frau und zwei Männer im Alter von 28 und 29 Jahren kamen deshalb ums Leben. Der Fahrer erlitt Kopfverletzungen. Die ermittelnde Polizei hält eine medizinische Ursache für nicht unwahrscheinlich. Warum bewegt dieser schlimme Unfall so viele in ganz Deutschland?
Das Meer aus Blumen und Kerzen ist inzwischen viele Meter lang. Es wird immer wieder unterbrochen von weißen Papieren, auf denen gedruckt zu lesen ist: "SUV verbieten (freiwillige Vernunft funktioniert hier nicht)", "SUV töten Kinder, Mütter, Väter, das Klima", "SUV Egoisten Ignoranten". Jemand hat ein Schild an einem Pfahl befestigt, die Aufschrift lautet: "Autos sind Terror". Ein Mann schüttelt den Kopf. Er könne das nicht verstehen. Warum jemand solche Aussagen hier aufhängt.
Überall würden schließlich Menschen sterben, warum ausgerechnet ein Verkehrsunfall in Berlin-Mitte nun besonders schlimm sein soll.
Autoverbot ab 2022 in der Berliner InnenstadtTatsächlich waren die Reaktionen auf diesen Unfall bemerkenswert, insbesondere in den sozialen Netzwerken.
Denn es ging nicht nur um Entsetzen, Trauer, Wut und Hilflosigkeit, sondern auch um Konsequenzen und Feindbilder. Noch bevor die Unfallursache überhaupt geklärt ist, war für viele der Grund schon ausgemacht: Die SUVs ( "Sport Utility Vehicle") sind Schuld. Und eines muss man den voreiligen Schlüssen zugute halten: Die immer beliebteren SUVs entfalten
rein physikalisch eine ganz andere Kraft, als etwa ein Kleinwagen oder erst recht ein Roller oder Fahrrad. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kraft, Masse und Geschwindigkeit.
Die Wucht eines Kleinwagens aber kann auch Menschen töten, wie das Bundesamt für Statistik auf S.183 der Verkehrsunfälle 2018 zeigt.
Am Ende läuft dieses Argument auf Folgendes hinaus: Wäre dort kein Auto lang gefahren, wäre auch niemand gestorben. Und das fordern nun auch manche: Autoverbot ab 2022 in der gesamten Berliner Innenstadt, steht auf anderen Schildern geschrieben.Als eine der ersten meldete sich nach Bekanntwerden des Unfalls ausgerechnet die Deutsche Umwelthilfe beim Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort.
Der Verein machte in der Vergangenheit vor allem von sich Reden, weil er Dieselfahrvebote in Deutschlands Städten fordert und sich anschickt, die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) in Baden-Württemberg und Markus Söder (CSU) in Bayern gerichtlich in Beugehaft zu zwingen.
Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), folgte und kritisierte ebenfalls derartig schwere Pkw-Modelle. "Solche panzerähnlichen Autos gehören nicht in die Stadt." Es seien Klimakiller, auch ohne Unfall bedrohlich, jeder Fahrfehler werde zur Lebensgefahr für Unschuldige.
"Wir brauchen eine Obergrenze für große SUV in den Innenstädten", sagte indessen der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer,
dem Tagesspiegel.
Der
Welt-Journalist Ulf Poschardt, selbst bekennender Porsche-Fahrer und SUV-Verachter, reagierte promt:
Daraufhin zerrten seine Gegner einen Tweet von Poschardt aus dem Jahr 2018 hervor, in dem er schrieb: "Und rasen richtig gemacht ist höchste Verantwortung und das schönste und wunderbarste und poetischste".
Geschmacklos, unterstellend und unwahrTatsächlich ist die Wortwahl anlässlich dieses grauenvollen Unfalls, der vier Menschen das Leben kostete, unwürdig. Zwar stellte der "VCD, der ökologische Verkehrsclub" sofort jene weißen, an Menschen erinnernden, Plastikfiguren auf, um an die Toten an Ort und Stelle zu erinnern. Der Verein aber bezeichnet Autos generell als "motorisierte Mordwerkzeuge". Dass man mit Autos morden kann, musste Berlin am Breitscheidtplatz im Jahr 2016 tatsächlich traurig erfahren. Es war aber nicht der LKW, der tötete, Grund war der Vorsatz des Attentäters Anis Amri.
Alle Autos als "motorisierte Mordwerkzeuge" zu bezeichnen und damit alle Autofahrer als potenzielle Mörder, ist nicht nur geschmacklos, sondern unterstellend und schlicht unwahr.In der Resolution 1566 des UN-Sicherheitsrates wird Terrorismus definiert:
Es sind "Straftaten, namentlich auch gegen Zivilpersonen, die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen, oder Geiselnahmen, die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, welche Straftaten im Sinne und entsprechend den Begriffsbestimmungen der internationalen Übereinkommen und Protokolle betreffend den Terrorismus darstellen [...]"So viel zur Verhältnismäßigkeit von Vergleichen. Die Menschen, mit ihren Schildern, Blumen und Kerzen, trauern. Vielleicht schießen einige in Wut auch übers Ziel hinaus. Das ist verständlich. Das ist menschlich. Das ist verzeihlich.
Aber wenn Umweltvereine und Politiker gar nicht erst die Ursache abwarten und den Unfall für ihre eigentliche Klima-Agenda nutzen, ist das fahrlässig und unwürdig. Sachlich zu streiten über bessere Schutzsysteme wie Lkw-Abbiegeassistenen, über intelligente, automatische Bremssysteme, über Warnsignale für Fußgänger - all das wäre angebracht. Bloße Geschwindigkeitbegrenzungen hätten bei einem medizinischen Notfall des Fahrers wohl auch nichts verhindern können. Über die Klimaschädlichkeit von PS-starken und schweren Fahrzeugen zu streiten, ist ebenfalls legitim. Aber ist ein noch ungeklärter, wahrscheinlich tragischer Unfall wirklich der richtige Anlass?
Ein einfaches FeindbildEs gibt viele Städte, in deren City-Bereichen Kreuze und Gedenksteine an getötete Verkehrsopfer erinnern. Viele von ihnen stammen aus Zeiten vor der SUV-Ära. Das ist furchtbar, und sicher wären viele Opfer auch vermeidbar gewesen, aus vielerlei Gründen.
Unfälle aber wird es trotzdem immer geben, ob nun mit oder ohne SUVs. Selbst autonomes Fahres mit Hilfe Künstlicher Intelligenz wird menschliches Versagen nie ganz ausschließen können.
Auch eine Tram kann entgleisen, ein Busfahrer kann einen Herzinfarkt bekommen, ein Rollerfahrer kann in eine Menschenmenge rasen. Politiker und Unternehmer sollten alles dafür tun, dass dies so wenig wie möglich geschieht.
Ein einfaches Feindbild zu kreieren mit martialischen Bezeichnungen aber bringt keine Leben zurück und verhindert auch keine weiteren Unfälle. Trauer darf vieles. Politisch geäußerte Betroffenheit aber ist etwas anderes.
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