Kortison
© Ariadne Barroso/Shutterstock.comDas Unheilmittel Kortison

Das Unheilmittel Kortison, ein eigentlich längst entzaubertes Pharmakon, erlebt derzeit seinen dritten Frühling.


Wer hätte gedacht, dass Kortisonpräparate noch einmal die Kassen der Hersteller klingeln lassen würden? Hatte sich doch selbst unter Ärzten allmählich herumgesprochen, dass Kortison nur selten nützt, aber immer schadet. Nun wurde die "Covid"-Inszenierung auch noch zu einem großen "Reset" für eine Droge, die ihre besten Tage längst hinter sich zu haben schien.

Als 1948 die erste Kortisoninjektion eine Rheumakranke umgehend beschwerdefrei machte, fühlten sich die Halbgötter in Weiß schon auf dem Weg in den Olymp (1). 1951 wurde Kortison erstmals vollsynthetisch hergestellt und avancierte sofort zum neuen Allheilmittel der Ärzteschaft. Endlich eine Substanz, die binnen Stunden fast alle Krankheitssymptome bessern oder verschwinden lassen konnte.

Allerdings folgte die Ernüchterung auf dem Fuß. Alle Symptome kamen zurück und meist schlimmer als vorher, wenn die körpereigenen Mechanismen die Krankheit nicht selbst beseitigten. Heilung war mit Kortison weder bei Hautausschlägen, Rheuma, Asthma, Krebs oder den sogenannten Autoimmunkrankheiten zu machen. Unerwünschte neue Krankheiten dagegen schon: Osteoporose, Spontanbrüche von Wirbelkörpern, Absterben gelenktragender Knochen, erhöhte Infektionsanfälligkeit, Reaktivierung längst überwundener Krankheiten.

Als die Euphorie Anfang der 1970er-Jahre zunehmend abgeklungen war, folgte der nächste Vermarktungscoup: Kortison bei allen Verunfallten. Die hoch dosierte frühzeitige Gabe von Kortikosteroiden wurde zum Nonplusultra der Notärzte. Nach Wiederbelebungsmaßnahmen und einer Flüssigkeitsinfusion schien es keine wichtigere Maßnahme zu geben. Für Gehirn- und Rückenmarksverletzungen galt die Kortisonmedikation durch die sogenannte NASCIS-2- und NASCIS-3-Studien (NASCIS = National Acute Spinal Cord Study) als abgesichert. Weltweit erhielten jährlich circa 40.000.000 Verletzte eine entsprechende Erstversorgung (2, 3).

Eine genauere Betrachtung weckte allerdings Zweifel an statistischer Analyse, Vergleichbarkeit der Studiengruppen, Festlegung der Endpunkte sowie der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse (4). In der NASCIS-3-Studie wurde ohnehin ganz auf einen Vergleich mit einer Placebo-Gruppe verzichtet. Erst 2004 erschien dann eine umfassende Studie mit mehr als 10.000 Patienten, die feststellte, dass hoch dosierte Kortikosteroide nach Schädel-Hirn-Traumen die Sterberate erhöhten (5). Dennoch dauerte es danach noch weitere 9 Jahre, bis der amerikanische Congress of Neurological Surgeons die Therapieempfehlung aufhob (6). Tatsächlich sind Kortikosteroide bei Traumapatienten ebenso unsinnig wie ein Aderlass, da Infektionen begünstigt und die Nervenfaserheilung gestört werden (7).

Ärztliche Kortikosteroidverordnungen haben jahrzehntelang Zigmillionen von Patienten in ihrer Rekonvaleszenz geschädigt oder deren Sterben auf Intensivstationen beschleunigt. Es war vor allem ein Autor, der mit vermeintlicher "Studienevidenz" den Kortisonmythos über Jahrzehnte am Leben und in der Routine hielt (8) und mit etwa 400 Publikationen nicht nur äußerst umtriebig, sondern gleichzeitig Konsulent von zwei Kortikosteroidherstellern war. Bei der Metaanalyse von Cochrane (internationales Netzwerk zur Evidenzbasierung der Medizin), auf dem 1990 die Kortisonempfehlung beruhte, fungierte er als einziger(!) Gutachter (9).

Die Kortison-Langzeitschäden

Die Gabe von Kortikosteroiden erwies sich auch bei anderen Krankheitszuständen nur selten als hilfreich. Sinn machte sie nur, wenn eine kurzzeitige Symptombesserung die mittel- und langfristige körpereigene Heilung nicht torpedierte. Dauertherapie wie bei der häufigen chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) oder Hautkrankheiten verursachen nur Nebenwirkungen, ohne den Krankheitsverlauf zu verbessern (10). Als Begründung reicht dennoch meist aus, dass es zwar keinen Beweis für einen Nutzen, "allerdings auch keinen zwingenden Gegenbeweis" gebe (11).
Die unvermeidlichen Langzeitschäden werden meist weder von den Behandlern noch den Kranken richtig zugeordnet. Verschlechterungen des Gesundheitszustandes werden eilfertig der behandelten Grundkrankheit zugeschrieben.
Es war aber nicht die sportliche Überbeanspruchung, die den früheren Tennisstar Boris Becker zum orthopädischen Krüppel werden ließ, sondern häufige Kortisongaben, um Beschwerden vor Turnieren kurz zu verflüchtigen. Hüftkopf und Sprungbein können dann absterben und sich auflösen...

Die Kortison-Renaissance

Nachdem in den vergangenen Jahren die Umsätze von Kortikosteroiden auf weiterhin viel zu hohem Niveau vor sich hin dümpelten, bot "Covid-19" eine willkommene Gelegenheit, einen entzauberten Mythos noch einmal zum Leben zu erwecken. Umgehend verbreiteten universitäre Mietmäuler im Dienste von Big Pharma, dass Kortison eine Viruserkrankung positiv beeinflussen könne. Zwar zeigte sich bereits im Frühjahr 2020 in einer chinesischen Studie keinerlei Hinweis auf einen positiven Effekt, aber dies focht die westlichen Mediziner im Sold der Pharmafirmen nicht an. Kortison besetzte schnell die Poleposition in den Leitlinien zur "Covid"-Therapie.

Dabei ist seit Jahrzehnten klar, dass die gegen Viren essenziell zelluläre Abwehr des Immunsystems durch Kortison massiv beeinträchtigt wird. Dies ist ja der simple Grund, dass jede Entzündungserscheinung rückläufig erscheint! Gerade bei Infektionskrankheiten benötigen wir aber eine maximal funktionierende Immunabwehr. Jeder, der bei irgendeiner invasiven Maßnahme — und sei es nur eine einfache Injektion — unwissentlich Krankheitserreger einbringt, weiß, dass zusammen mit Kortison eine schwere Komplikation vorprogrammiert ist. Atemwegsinfekte oder gar Lungenentzündungen müssen ungünstiger verlaufen. Eine Sterblichkeit "Covid"-Kranker von zeitweise 70 bis 80 Prozent unter Intensivbehandlung ist nicht durch ein Virus zu erklären, das sich in der Sterblichkeit nicht von der Influenza unterscheidet. Wieso gerade manche Subgruppen von Kranken einigen Studien zufolge von Kortison profitieren sollten, bleibt das Geheimnis der Studienautoren ...

Die Kortison-Lobby

Aber dies gehört zum Standardvorgehen bei Medikamentenstudien. Gibt es beim Vergleich zweier Behandlungsgruppen keinen Vorteil für das zur Diskussion stehende Medikament, wird eine sogenannte Subgruppenanalyse vorgenommen. Für eine noch so kleine Gruppe innerhalb der gesamten Kohorte kann man fast immer einen gerade noch statistisch verwertbarer positiver Effekt, der ausreicht, um das Präparat als wirksam zu erklären. Selbst wenn die günstige Wirkung aufgrund der bekannten Effekte von Kortison gar nicht plausibel ist. Aber so manipuliert man Studien. Und weil man angeblich nichts Besseres hat, erklärt man das Präparat trotz fehlenden Nutzen für alle Erkrankten zum Mittel der Wahl.

Schaut man sich die Mitglieder der Kommission an, die die Leitlinienempfehlung ausspricht, sind regelmäßige finanzielle Unterstützungen der Pharmalobby bei vielen an der Tagesordnung (12). Die Leitlinie beruht dann zwar nur auf Meinungsbekundungen und nicht auf Evidenz, aber daran hat man sich hierzulande seit Jahrzehnten gewöhnt. Nur 20 Prozent aller Leitlinien werden von unbefangenen Gremien erstellt und mit "Gut" bewertet (13).

Der schädliche Einfluss unsinniger Therapien ist für Mediziner aber weiterhin ein Tabu. Wenn behauptet wird, dass bis zu 69 Prozent aller "Covid"-Patienten unter Langzeitnachwirkungen leiden würden (14), dann wird dies einfach auf den mutmaßlichen Erreger, aber nie auf die Therapie zurückgeführt. Die Folgen einer tage- oder wochenlangen Behandlung als Ursache für die Schäden, die man im Todesfall bei einer Obduktion findet, werden gar nicht in Betracht gezogen. Was nicht sein darf, das nicht sein kann!
Dabei waren in der Geschichte der Medizin die Therapien fast durchweg gefährlicher und verheerender als die Krankheiten, die behandelt wurden (15).
Das Prinzip, "besser, ein gefährliches Hilfsmittel anzuwenden, als gar keines" (16), zieht sich wie ein roter Faden durch die ärztliche Behandlungsgeschichte. Ganz im Gegensatz zu Naturheilverfahren und anderen medizinischen Traditionen, in denen sich Behandler immer als Verbündete der Kranken und ihrer Selbstheilung verstanden. Wer zu allererst nicht schaden will, wird auf alle Maßnahmen verzichten, die Krankheitsvorgänge ohne Rücksicht auf die körpereigenen Heilungsmechanismen des Kranken bekämpfen.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Dilg, Peter: Cortison. in: Gerabek, Werner E.; Haage, Bernhard; Keil, Gundolf; Wegner, Wolfgang (Herausgeber): Enzyklopädie Medizingeschichte, Seite 275, De Gruyter, Berlin/New York 2005.
(2) Bracken, Michael B. et alii: A randomized controlled trial of methylprednisolone or naloxone in the treatment of acute spinal cord injury, New England Journal of Medicine 1990; 322:1405 - 11.
(3) Bracken, Michael B. et alii: Administration of methylprednisolone for 24 or 48 hours or tirilazad mesylate for 48 hours in acute spinal cord injury, JAMA 1997; 277: 1597 - 1604.
(4) Nesathurai, Shanker: Steroids and spinal cord injury: revisiting the NASCIS 2 und NASCIS 3 trials, Journal of Trauma 1998, 45(6): 1088 - 93.
(5) Roberts, Ian et alii: Effect of intravenous corticosteroids on death within 14 days in 10008 adults with clinically significant head injury (MRC CRASH trial): randomised placebo-controlled trial, The Lancet 2004, 364(9442):1321 - 8.
(6) Hurlbert, R. John et alii: Pharmacological therapy for acute spinal cord injury, Neurosurgery 2013, 72: 93 - 105; https://www.cns.org/sites/default/files/guideline-chapter-pdf/Pharmacological_Therapy_for_Acute_Spinal_Cord.12.pdf.
(7) Evaniew, Nathan et alii: Methylprednisolone for the Treatment of Patients with Acute Spinal Cord Injuries: A Propensity Score-Matched Cohort Study from a Canadian Multi-Center Spinal Cord Injury Registry. Journal of Neurotrauma 2015, 32(21): 1674-83.
(8) Bracken, Michael B.: Steroids for acute spinal cord injury, Cochrane Database Systematic Reviews 2012, 1: CD001046.
(9) Lenzer, Jeanne: Why we can't trust clinical guidelines, BMJ 2013; 346: f3830.
(10) Magnussen, Helgo et alii: Withdrawal of inhaled glucocorticoids and exacerbations of COPD. New England Journal of Medicine 2014, 371(14): 1285 - 94.
(11) Prof. Tobias Welte, Medizinische Hochschule Hannover; zitiert nach: Vetter, Christine: Inhalative Steroide bei der COPD: Ausschleichen der Steroide lässt Exazerbationsrate nicht ansteigen. Deutsches Ärzteblatt 2015; 112(5): A-185.
(12) https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/113_Internistische-Intensiv-Notfall/113-001i_S2k_Empfehlungen_station%C3%A4re_Therapie_Patienten_COVID-19_2020-11.pdf.
(13) https://www.leitlinienwatch.de/bewertete-leitlinien/.
(14) Mandal, Swapna et alii: 'Long-COVID': a cross-sectional study of persis-ting symptoms, biomarker and imaging ab-normalities following hospitalisation for COVID-19, Thorax 10. November 2020, doi: 10.1136/thoraxjnl-2020-21581.
(15) Winkle, Stefan: Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 1997.
(16) Swieten, Gerard van: Erläuterungen der Boerhaavischen Lehrsätze von Erkenntniß und Heilung der Krankheiten, Seite 497, Krauß, Wien 1769.