Sie nannten ihn "Kommandant Stahl": Der frühere kosovarische Minister Limaj soll gefangene Serben und Kollaborateure auf bestialische Weise misshandelt und getötet haben. Nun sollte sich Limaj wegen Kriegsverbrechen vor Gericht verantworten. Doch die Polizei findet den Kronzeugen tot in einem deutschen Park.
Kosover-Albaner feiern Freilassung von Thaci, 2005
© ReutersKosovo-Albaner feiern 2005 die Freilassung des früheren UÇK-Kämpfer Limaj - der machte nach dem Krieg Karriere in der Partei des heutigen Premier Thaçi. Nun soll ihm wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht werden.

Es war eine Beisetzung im kleinen Kreis. Am Wochenende trugen ein paar Bewohner des kosovarischen Dorfes Nashec die Leiche eines Mannes zu Grabe, der in der Öffentlichkeit bisher nur als Zeuge X bekannt war. Nun hat der Tote einen Namen: Agim Zogaj. Der 54-jährige Vater von vier Kindern und ehemalige Kämpfer der kosovo-albanischen Untergrundarmee UÇK war der wichtigste Zeuge in einem großen Kriegsverbrecher-Prozess, der Ende Oktober in der Hauptstadt Pristina beginnen sollte.

Zogaj lebte seit etwa drei Monaten in Deutschland. Da in Kosovo Zeugen von Kriegsverbrechen um ihre Sicherheit fürchten müssen, wurde der Mann außer Landes gebracht. Deutsche Behörden nahmen ihn auf Bitte der im Kosovo tätigen EU-Rechtsstaatsmission Eulex in ein Zeugenschutzprogramm auf. Der ehemalige Aufseher eines UÇK-Gefangenenlagers konnte bei seinem Bruder in Duisburg wohnen, ab und zu machten deutschen Polizisten einen Kontrollgang.

Am vergangenen Dienstag gegen Abend verlies Agim Zogaj die Wohnung in Richtung Duisburger Stadtteil Homberg. Dort, in einem Park am Essenberger See, beging er Suizid. Diesen Schritt hatte er per SMS an seinen Bruder angekündigt. Die Polizei fand die Leiche gegen Mitternacht. Man habe nicht den geringsten Hinweis auf ein Fremdverschulden gefunden, sagte ein Polizeisprecher, die Obduktion habe gezeigt, dass Zogaj den Tod gewählt habe.

Der Tod von Zogaj wirft Fragen auf. Wurde er in den Suizid getrieben? Hatte er psychische Probleme? Hat der Mann womöglich noch mehr gewusst über die mutmaßlichen Kriegsverbrechen der UÇK als er den Ermittlern erzählte? In der Kritik stehen vor allem die EU-Rechtsstaatsmission in Kosovo und die deutschen Behörden, die nicht in der Lage waren, den Kronzeugen vor dem Suizid zu bewahren. Der UN-Menschenrechtsrat äußerte sich besorgt über den Vorfall und hob die Notwendigkeit effektiver Zeugenschutzprogramme hervor.

Zeuge X hatte im Juni in einer etwa 200 Seiten umfassenden Aussage, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, seinen ehemaligen Befehlshaber Fatmir Limaj schwer belastet. Limaj soll während des Krieges 1998/99 im Dorf Klecka in Zentralkosovo gefangene Serben und kosovo-albanische Kollaborateure getötet und misshandelt haben. Damals war er als "Kommandant Stahl" gefürchtet und geachtet. Der Mann ist nicht irgendwer in der kosovarischen Politik.

Nach dem Krieg machte Limaj Karriere in der sogenannten Demokratischen Partei (PDK) des heutigen Ministerpräsidenten Hashim Thaçi. In den vergangenen drei Jahren war Limaj Verkehrsminister und damit verantwortlich für den Straßenbau. Als er im Frühjahr bekanntgab, dass der US-Konzern Bechtel die Ausschreibung für den Bau einer Autobahn gewonnen habe, wurde er vom US-Botschafter Christopher Dell öffentlich umarmt, obwohl die EU-Mission Ermittlungen wegen Korruption gegen Limaj aufgenommen hatte. Die mittlerweile in Bau befindliche Straße soll Kosovo mit Albanien verbinden.

Die politische Laufbahn von Limaj ist vorerst zu Ende. Der Prozess gegen ihn ist auch nach dem Tod des wichtigsten Zeugen offenbar nicht gefährdet. Die Aussage von Agim Zogaj ist genau protokolliert und auf Video aufgezeichnet. Sie bleibe gültig, heißt es bei der Eulex. Limaj, der Parlamentsabgeordneter und Vizeparteichef ist, steht seit zwei Wochen unter Hausarrest, die Anklagebehörde wirft ihm und neun weiteren ehemaligen UÇK-Kämpfern Kriegsverbrechen gegen Zivilisten und Kriegsgefangene vor. Limajs Untergebene wurden bereits im Frühjahr festgenommen. Einer der mutmaßlichen Kriegsverbrecher war vor den Augen der internationalen Protektoren zum Polizeichef der südkosovarischen Stadt Prizren aufgestiegen, ein anderer konnte in der Schweiz verhaftet werden.

Tagebuch der Gräueltaten im Gefangenenlager

Laut Aussagen von Zeuge X, die er gegenüber dem italienischen Eulex-Staatsanwalt Maurizio Salustro machte, soll die UÇK während des Krieges im Dorf Klecka ein Gefangenenlager unterhalten haben. Der Zeuge Zogaj beschreibt, wie UÇK-Kämpfer vier Serben exekutierten, die vermutlich für das örtliche Elektrizitätswerk gearbeitet hatten und von den serbischen Behörden für den Kampf gegen die UÇK zwangsrekrutiert wurden.

Besonders bestialisch war die Tötung eines Serben, der zuvor laut Zeuge X von UÇK-Befehlshaber Limaj befragt und misshandelt wurde. Danach habe Limaj gesagt: "Schafft das Schwein weg." Daraufhin habe ein UÇK-Soldat den Serben mit einer alten Sense massakriert. In einem anderen Fall sei er gezwungen worden, zwei Serben hinzurichten, sagte Zogaj. Über die Geschehnisse im Gefangenenlager Klecka führte er Tagebuch. Der Ankläger Salustro schreibt, der Zeuge X habe während seiner Aussage geweint.

Die UÇK hatte nicht nur serbische Sicherheitskräfte und Zivilisten zur Zielscheibe erklärt. Auch sogenannte kosovo-albanische Kollaborateure wurden verfolgt und getötet. Es handelte sich meist um Förster, Polizisten und Zivilstandesbeamte, die im Sold des serbischen Regimes standen. Zeuge X berichtet auch von einem Zwangsbordell bei Klecka. Dorthin hätten UÇK-Soldaten Mädchen und Frauen verschleppt und vergewaltigt.

Darüber wurde im Kosovo nie öffentlich gesprochen. Seit Kriegsende wird in Kosovo nur der Mythos vom "ruhmreichen Krieg" gegen die serbischen Besatzer gepflegt. Wer die UÇK nach dem Konflikt kritisierte, wurde vom illegalen Geheimdienst SHIK entweder liquidiert oder eingeschüchtert. Limaj stand schon einmal vor Gericht: In einem Verfahren vor dem UN-Tribunal in Den Haag wurde er 2007 freigesprochen, weil damals niemand bereit war, über seine mutmaßlichen Gräueltaten auszusagen.