Muammar al-Gaddafi ist tot, aber die Waffen des libyschen Ex-Diktators könnten noch immer eine große Bedrohung sein: Einem Zeitungsbericht zufolge sind moderne Raketen aus dem libyschen Arsenal bei der radikalislamischen Hamas im Gaza-Streifen aufgetaucht. Israel ist alarmiert.
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Es wäre ein Alptraum für Israel: Die über den Gaza-Streifen herrschende radikalislamische Hamas soll Besitz von hochmodernen Boden-Luft-Raketen aus libyschen Beständen erlangt haben. Das berichtete die Zeitung Haaretz am Donnerstag unter Berufung auf Quellen in israelischen Armeekreisen.

Demnach sollen in den vergangenen Monaten hochgefährliche "surface to air missiles", im Militärjargon kurz Sam genannt, in den Gaza-Streifen geschmuggelt worden sein. Es handele sich dabei um moderne russische Fabrikate, die aus geplünderten libyschen Waffenlagern stammten, so die Zeitung. Sie seien wesentlich effektiver als Waffensysteme vom Typ SA-7, die bereits früher in den Küstenstreifen gelangt waren. Die Armee fürchte jetzt ein Ende ihrer Lufthoheit über den Gaza-Streifen und mögliche Angriffe auf den zivilen Luftverkehr von und nach Eilat im Süden Israels.

Seit Monaten warnen Militärs und Experten der Nato davor, dass die von Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi gehorteten Waffen in die falschen Hände gelangen könnten. US-Admiral Giampaolo di Paola, Vorsitzender des Militärausschusses, äußerte sich in einer vertraulichen Unterrichtung vor einigen Wochen bereits äußerst besorgt: Trotz Luftüberwachung und Geheimdienstinformationen seien etwa 10.000 Sam-Raketen verschwunden. Die Waffen könnten quasi überall auftauchen, "sowohl in Kenia als auch in Kunduz", sagte di Paola. Sie stellten eine ernstzunehmende Gefahr auch für die zivile Luftfahrt dar.

Der algerische Geheimdienst war bereits im April alarmiert

Hinweise, dass libysches Kriegsgerät außer Landes geschmuggelt wurde, hatte es schon im April gegeben. Damals wollte der algerische Geheimdienst beobachtet haben, wie ein Konvoi von acht mit Waffen beladenen Kleinlastern aus Ost-Libyen über den Tschad und Niger nach Nord-Mali gefahren ist.

Warnungen, dass die auch mit europäischer Hilfe zum Bersten gefüllten Arsenale Gaddafis nicht ansatzweise gesichert sind, hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder gegeben. So wurde am Mittwoch bekannt, dass 120 Kilometer südlich der Stadt Sirt Zehntausende Tonnen Munition gänzlich unbeaufsichtigt in der libyschen Wüste liegen.

Wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete, gibt es dort rund 80 sandfarben gestrichene Betonbunker, in denen Munition aus überwiegend russischer und französischer Produktion lagert. Allein in einem der Bunker zählte der AFP-Reporter rund 8000 100-Millimeter-Granaten. In anderen Bunkern lagerten meterhoch Bomben von 250, 500 und 900 Kilogramm Gewicht sowie Raketen, Splitterbomben, Granaten und viele andere Waffen.

Tausende Munitionskisten im Sand

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte, die Lager seien für jeden zugänglich. In viele der Bunker seien bereits Plünderer eingedrungen. Rund um das Wüstenlager herum lägen Tausende Munitionskisten im Sand. Laut Human Rights Watch wurden sie auf Dutzenden Hektar verstreut, um ihre Zerstörung durch Nato-Luftangriffe zu verhindern. Ein Experte der Organisation schätzte die Menge der in den Wüsten-Bunkern gelagerten Munition auf "Zehntausende Tonnen".

Bei ihren Ermittlungen stießen Inspektoren von Human Rights Watch in einem Vorort von Sirt auch auf die leeren Behälter von 28 Raketen vom Typ SA-24, einer Boden-Luft-Rakete russischer Bauart wie sie in den Gaza-Streifen gelangt sein könnte. Mehr als 20 Boden-Luft-Raketen vom Typ SA-7, ebenfalls aus Russland, seien zudem in ihren Originalbehältern vorgefunden worden. Während der Inspektion des Lagers tauchten der Organisation zufolge mehrere "Zivilisten und bewaffnete Anti-Gaddafi-Kämpfer mit Pick-ups" auf, "um weitere Waffen wegzuschaffen". Der aus den Rebellen hervorgegangene Nationale Übergangsrat sei damit gescheitert, die Waffenbestände der ehemaligen Führung zu sichern, erklärte Human Rights Watch.

Bereits vor zwei Wochen hatte die Washington Post berichtet, dass einige Boden-Luft-Raketen aus Libyen bereits auf Schwarzmärkten auf dem ägyptischen Sinai an der Grenze zu Israel angekommen seien. Laut einem dortigen Waffenhändler ist der Preis für die Raketen von 15.000 auf 4000 Dollar gesunken sein, weil sie recht leicht zu bekommen seien.

Die israelische Luftwaffe hat sich laut Haaretz auf die möglicherweise veränderte Gefahrenlage eingestellt. Sie fliegt Einsätze über dem Gaza-Streifen - ganz so, als ob die Hamas tatsächlich über Luftabwehrsysteme verfügen würde.