Pro-Atom-Beiträge von Prominenten, wissenschaftliche Studien und versuchte Einflussnahme sogar bei Frauenzeitschriften: Erstmals werden Details bekannt, wie sich die Atomlobby vor der Wahl 2009 bemüht hat, die Stimmung zu drehen. Diese sagt: Alles war legal.
Kernkraft - Ja Bitte
© T. Schmidt/DPAPlakate sind gut und schön, doch echte Lobbyarbeit ist viel subtiler

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zog am 1. Juli 2009 kräftig vom Leder. "50 Jahre Atomforum - das bedeutet ein halbes Jahrhundert Lug und Trug", wetterte der damals auch für die deutschen Atomkraftwerke zuständige SPD-Politiker. Zur gleichen Zeit weilte die mit ihm regierende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen der Atomlobby im Berliner E-Werk.

Dort machte Merkel klar, dass sie eine Laufzeitverlängerung wolle, wenn es wenige Wochen später bei der Bundestagswahl zur Koalition mit der FDP reichen sollte. Sie halte die Kernenergie zur Zeit für "unverzichtbar". Merkel plädierte für eine pragmatischere Sichtweise. Der damalige Präsident des Atomforums, Walter Hohlefelder, deutete Merkels Präsenz als "politisches Signal" und machte einen hohen Atomanteil für Wohlstand und Wohlfahrt in Deutschland verantwortlich.

PR-Maschine lief längst

Es war klar: das Atomthema würde den Wahlkampf dominieren. Zu dem Zeitpunkt lief im Hintergrund die PR-Maschine schon längst auf Hochtouren. Der taz sind nun 79 Seiten zugespielt worden, die erstmals detailliert darlegen, was immer vermutet worden war. Mit Millionenaufwand versuchte das Atomforum über die PR-Agentur Deekeling Arndt Advisors seit 2008, die öffentliche Meinung massiv zu beeinflussen.

Die Zeitung hat die Dokumente ins Internet gestellt. Neben Imagekampagnen, die Atommeiler als "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer" priesen, gab es auch subtilere Maßnahmen. Bekannte Wirtschaftsführer platzierten Pro-Atom-Meinungsbeiträge in renommierten überregionalen Zeitungen. Der Kontakt zu Politikern wurde intensiviert. Bei dem Professor Joachim Schwalbach von der Humboldt-Uni Berlin wurde eine Studie zum "volkswirtschaftlichen, sozialen/gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen der Kernenergie in Deutschland" in Auftrag gegeben. Die Maßnahme wurde aber "wegen unzureichender Qualität der Ergebnisse" nicht umgesetzt. Schwalbach betont laut taz, er wollte kein "Gefälligkeitsgutachten" schreiben.

Schweiz als Vorbild promoten

Mit einem "Brückenschlag zum Vorzeigeland Schweiz", das nüchtern über Atomkraft diskutiere, sollte gezeigt werden, dass die Deutschen mit ihrer Angst vor der Technologie recht alleine dastehen. Ein Mittel dazu war eine Pressereise mit "Key-Journalisten deutscher Meinungsführer-Medien". Das Fazit der PR-Agentur nach Artikeln über die Reise: "Pragmatismus der Schweiz verfängt in Medienberichten".

Selbst in Frauenmagazinen wollte man atomfreundliche Beiträge platzieren, um einen Stimmungsumschwung mit Blick auf die von Union und FDP geplante Laufzeitverlängerung vor der Wahl zu erreichen. Dies hatte keinen Erfolg: "Trotz intensiver Bemühungen und guter Kontakte keine Platzierung in Frauenzeitschriften aufgrund enger Verknüpfung der redaktionellen Inhalte mit Anzeigenschaltung".

"Dialogischer Ansatz verfängt"

Auch der Historiker Arnulf Baring war im Einsatz. Neben einem Festvortrag zum 50-Jahres-Fest des Atomforums wurde ein ganzseitiger Artikel von Baring in einer großen Zeitung veröffentlicht. Das Ziel: "Reflexion und Interpretation der Kernenergie-Debatte durch unabhängigen, glaubwürdigen Dritten". Danach gab es viele Leserbriefe mit Pro-Kernenergie-Äußerungen. Das Fazit der Agentur: "Dialogischer Ansatz verfängt". Weiter rühmt sich die Agentur, eine andere Zeitung habe die Veröffentlichung einer Studie zu Kinderkrebsfällen im Umfeld von Atommeilern auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2009 verschoben.

Nicht schön, aber legal

Ein Nutzen der PR-Arbeit 2008 und 2009 lässt sich schwer bemessen, aber ist es ein Skandal? Wohl kaum, denn es wurde laut Dokumenten nichts verbotenes getan. In Branchenkreisen heißt es, eher müssten sich Medien kritisch hinterfragen. Schließlich stehe es jeder Zeitung frei, was sie veröffentlicht. Das Atomforum jedenfalls sieht die Enthüllung gelassen. "Es ist ein ganz üblicher Vorgang, dass man über Öffentlichkeitsarbeit versucht, die Öffentlichkeit zu beeinflussen", sagt Geschäftsführer Dieter H. Marx. "Das macht Greenpeace auch."

Inzwischen ist vom Atomforum, dem auch die AKW-Betreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall angehören, nur noch wenig zu hören. Nach der Freude über die Laufzeitverlängerung um im Schnitt zwölf Jahre vor einem Jahr kam keine sechs Monate später die Ernüchterung durch die Folgen des GAU von Fukushima. Schwarz-Gelb warf alte Überzeugungen über den Haufen, legte acht Meiler gleich still und will den letzten statt 2036 nun schon 2022 abschalten lassen. Dieser Beschluss dürfte durch keine PR-Kampagne der Welt wieder rückgängig zu machen sein.