In finnischen Gewässern gerät ein Frachter in Seenot. An Bord: Tonnenweise Sprengstoff und Luftabwehrraketen aus Bundeswehrbeständen, schlecht gesichert und ohne gültige Frachtpapiere. Dabei gehört die Fracht zu einem legalen Rüstungsgeschäft.

Kaj Wikberg hat viel Erfahrung im finnischen Schärengarten. "Seit 15 Jahren arbeite ich als Lotse, aber solche Wetterverhältnisse habe ich noch nicht erlebt", sagte er dem finnischen Rundfunk über seinen Einsatz vor etwa zwei Wochen. Vor der Insel Utö tobte ein Sturm mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 120 Kilometern pro Stunde, die Wellen schlugen bis zu neun Meter hoch. Und mittendrin die Thor Liberty, ein Frachter in Seenot - mit brisanter Ladung an Bord: 150 Tonnen Sprengstoff und 69 Luftabwehrraketen vom Typ Patriot.
Waffenfrachter Thor Liberty
© LehtikuvaIn einen Sturm geraten: Finnische Beamte ermitteln nun, was es mit der Sprengstoffladung der Thor Liberty auf sich hat.

Doch davon wusste Wikberg nichts, als ihn der Notruf des Schiffes erreichte: "Die Besatzung hat zwar gesagt, dass Sprengstoff geladen ist", berichtet er. In den Papieren soll die gefährliche Fracht aber nur als "Feuerwerkskörper" deklariert gewesen sein. Wikberg hielt das Risiko jedenfalls für überschaubar, ging an Bord und lotste das Schiff in einen ruhigeren Teil der Küstenlandschaft. Einen Schrecken bekam Wikberg erst später, als finnische Beamte die Thor Liberty genauer unter die Lupe nahmen.

Die Zustände auf dem Schiff seien chaotisch gewesen, erinnert sich der Lotse. Die Besatzung hatte keine Seekarten, die zum Navigieren im tückischen Schärengarten unerlässlich sind. Und die Ladung war schlecht gesichert. "Ich habe Fotos von der Fracht gesehen: Da lagen überall Pappkartons wild durcheinander." In dem Chaos fanden die Beamten zunächst den Sprengstoff, der statt in Containern, wie es Vorschrift ist, unsachgemäß in Paketen transportiert wurde. Darum zwangen die Beamten die Besatzung im Hafen Kotka zum Umladen. Dort entdeckten sie die Patriot-Raketen, für deren Transport die Mannschaft keine Genehmigung vorweisen konnte.

Patriots waren für Südkorea bestimmt

Was die Raketen betrifft, wirft der Vorgang auch in Deutschland Fragen auf: Absender war das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, eine Behörde der Bundeswehrverwaltung mit Sitz in Koblenz. Das teilte am Donnerstag das Hauptzollamt Oldenburg mit. Die Finnen hatten zunächst vermutet, es könne sich bei den Patriots um Schmuggelware handeln, doch sie waren nach Angaben des Zolls in Papenburg an Bord der Thor Liberty gebracht worden - ausgestattet mit den nötigen Ausfuhrgenehmigungen nach Südkorea. Die Lieferung stammt also aus Bundeswehrbeständen und ist Teil eines im September 2007 unterzeichneten Abkommens. Mit der Einschiffung in Emden war Seoul dem Vertrag nach für die Waffen verantwortlich.

Südkorea kaufte damals Raketenwerfer zum Gesamtpreis von etwa 525 Millionen Euro. Die von Deutschland gelieferten Systeme Patriot PAC-2 GEM + sind zum Einsatz gegen Marschflugkörper und bedingt auch gegen ballistische Raketen geeignet, aber nicht so leistungsfähig wie die modernere Variante PAC-3, die US-Streitkräfte, aber auch Deutschland bereits einsetzen.

Unklar bleibt, warum der Sprengstoff schlecht gesichert war, Herkunfts- und Bestimmungsort nicht bekannt waren - und warum die Besatzung nicht die nötigen Frachtpapiere für die Raketen vorweisen konnte. Die finnische Polizei sprach von "Verdachtsmomenten" gegen den Kapitän und den Steuermann. Beide seien am Donnerstagmorgen verhört worden. Ihnen wird vorgeworfen, gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen zu haben. Auch war laut Behörden die Waffenlieferung nicht ordnungsgemäß angemeldet. Jedenfalls ordneten die Finnen am Nachmittag an, die Raketen vorerst von Bord der Thor Liberty zu holen, die einem dänischen Reeder gehört und mit ukrainischer Mannschaft unter der Flagge der Isle of Man fährt.

Dem Lotsen Wikberg wird bange, wenn er daran denkt, wie gefährlich sein Einsatz im Sturm wirklich war. "Da hätte ja sonst was passieren können. Es bestand durchaus die Gefahr für ein schweres Unglück." Das hätte wohl schwere Folgen gehabt, denn die finnische Bucht gehört zu den am stärksten befahrenen Seefahrtswegen der Welt. Sie ist eine wichtige Route für den Transport von russischem Öl und Gas, das von Sankt Petersburg aus in die Welt verschifft wird. Eigentlich sollte die Thor Liberty nach dem Stopp in Deutschland in Kotka auch nur eine Papiermaschine einladen und dann nach Asien weiterfahren. Ein Transport von Waffen über finnische Häfen sei zwar nichts besonderes, sagte ein Sprecher des Zolls. Ungewöhnlich sei aber, dass eine solche Ladung mit "derart mangelhaften Papieren unterwegs" sei.