Der Aufbruch in der arabischen Welt soll auf keinen Fall auf die Volksrepublik China übergreifen. Doch in großen Städten regt sich Widerstand.

Im Pekinger Liang-Ma-Blumengroßmarkt werden selbst im Winter Orchideen aus allen Teilen Chinas verkauft. Jasmin-Sträucher aber sind nicht im Angebot. Nordchina liebt die duftenden Blüten weniger als der Süden. „Wir haben dafür keine Nachfrage. Erst ab Mai kriegen wir die Blüten“. sagen die Verkäuferinnen. „In Peking ist die Zeit noch nicht für sie da.“

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© DPA/DPAEs ist das größte Polizeiaufgebot seit Olympia 2008 in Peking.
Politisch hat „Jasmin“ dagegen Hochsaison. Der Begriff ist im Internet zur von den arabischen Revolutionen übernommenen Chiffre für Forderungen von Bürgerrechtlern nach politischen Reformen geworden. Erneute anonyme Aufrufe über Mikroblogs und dem chinesischen US-Server Boxun.Com an die Öffentlichkeit, sich am Sonntagnachmittag zum Jasmin-Stelldichein einzufinden, versetzen Pekings Sicherheitsbehörden in nervösen Ausnahmezustand.

Polizei verhindert Treffen "im Zeichen des Jasmins"

Dabei steht augenscheinlich nur Harmloses in den neuen Blogs, von denen immer noch keiner weiß, wer sie geschrieben hat, so wie schon vergangenen Sonntag. Alle sollen sich im Zeichen des Jasmins auf dem Platz vor der McDonald Filiale in der Haupteinkaufstraße Wang Fujing einfinden.

Diesmal haben die Behörden vorgesorgt. Schon die U-Bahn Stationen auf dem Weg zur Haupteinkaufsstraße wimmeln vor Polizisten. Hundertschaften haben sich über die Fußgängerzone der Wang Fuqing verteilt. Zufällig musste die Stadt auch noch den Platz vor dem Schnellimbiss wegen dringend anfallender Rohrarbeiten mit einer großen Baustelle versperren. Um sicher zu gehen, dass kein Raum selbst für einen Einzelprotest bleibt, fahren am Nachmittag auch noch Reinigungsfahrzeuge hin und her.

Interviews sind verboten - Journalisten festgesetzt

Spaßig ist das dennoch nicht. Zwei deutsche Fernsehteams von ARD und ZDF, die schauen wollen, ob sich jemand zum Jasmin bekennt, werden vorübergehend festgesetzt, damit sie nicht filmen können. Pekinger Journalisten, darunter auch der Korrespondent von "Welt Online", werden schon auf den Zugangsstraßen gestoppt, Ihre Personalien aufgenommen und sie verwarnt, auf der Wangfujing-Straße Passanten zu interviewen. Am Tag zuvor hatte die Polizei Journalisten einbestellt oder antelefoniert, um ihnen die gleiche Botschaft zu übermitteln. Sie dürften niemanden fragen, der ihnen nicht vorab seine Genehmigung erteilt hat.

Eine Woche vor Beginn des Volkskongresses liegen die Nerven der Behörden blank. Die Partei mobilisiert Tausende Polizisten im ganzen Land, nachdem im Internet für Sonntag Jasmin-Treffpunkte in 23 Städten genannt werden. Am Sonntag davor, am 20. Februar, waren es erst 13 Städte. In Peking spazierte an dem Tag auch der US-Botschafter Jon Huntsman angeblich zufällig auf dem Platz vor McDonalds ins Bild. In patriotischen Internet-Foren wie „Anti-CNN“ machen Fotos von ihm Furore. Seither glauben sogar einige in der Pekinger Führung, dass hinter Jasmin eine abgekartete internationale Absicht steht, China zum nächsten Domino-Stein zu machen.

Dutzende Festnahmen und harsche Medienzensur

Dabei tragen die virtuellen Aufrufe eher Happeningcharakter. „Wir müssen nicht unbedingt die derzeitige Regierung Chinas stürzen“, heißt es süffisant in einem der Online-Manifeste. Sie würden der „herrschenden Partei Zeit geben, die Probleme zu lösen.". Die namenlosen„Jasmin-Organisatoren“ führen Allerweltsklagen über Chinas grassierende Korruption und Inflation, über die Unterschiede zwischen Reich und Arm bis zur Forderung nach einer unabhängigen Justiz, freier Rede und dem Recht, „öffentlich die Regierung zu überwachen und zu kritisieren.“ Alle sollten dafür „von jetzt an jeden Sonntag“ auf den genannten Plätzen spazieren gehen. „Streicht vorbei, schaut Euch um oder tut so, als ob ihr nur vorbeigeht. Solange ihr nur dort seid, wird das autoritäre Regime vor Furcht zittern.“

Pekings Verhalten entspricht der Vorhersage. Schon auf den ersten Jasmin-Protest reagierte die Polizei mit Dutzenden Festnahmen und harscher Medienzensur. Am zweiten Sonntag nahm sie in Shanghai und Peking sechs Personen fest. Verschleppte Anwälte wie Teng Biao, Tang Jitian oder Jiang Tianyong bleiben weiter verschwunden. Chinas höchster Sicherheitspolitiker Zhou Yongkang warnte nach dem ersten Jasmin-Aufruf die Behörden, „vorausblickend zu handeln“ und erkennbare „Konflikte im Keim aufzulösen.“

Wen Jiabao kündigt "Systemreformen" an

Premier Wen Jiabao schlug am Sonntag einen anderen Ton an. In einer Online-Auskunftsstunde bei der er Fragen der Internetgemeinde vor dem Beginn des Volkskongress beantwortete, gestand Wen erstmals ein, wie leicht sich auch im reichen China der Funken zum Flächenbrand entwickeln kann, wenn er nur auf den richtigen Zunder fällt. Befragt nach der zunehmenden Inflation und Korruption in China, antwortete Wen: „Ich habe früher gesagt: Wenn Phänomene wie Preissteigerung und Korruption eine Gemengelage bilden, können sie Unzufriedenheit im Volk und „sogar schwere Probleme in der Gesellschaft“ hervorrufen.

Seine Regierung werde in diesem Jahr nicht nur den Kampf gegen Korruption und Inflation zur Hauptaufgabe machen, sondern „Systemreformen“ auf den Weg zu bringen, die die „Kontrolle des Volkes institutionalisieren“ und ihm Einsicht- und Einspruchsrecht bei der Ausgabenpolitik der Regierung verschaffen. Er kündigte an, mit Steuer - und Sozialreformen und besseren Kranken- und Altenschutz - Investitionen ungerechte Verteilungslücken zu schließen.

Trotz solcher Versprechungen vertraut die Partei auf ihre Polizeimacht und auf Zensur. Seit dem vergangenen Montag hat das Informationsamt des Staatsrats allen Internetservern verordnet, ihre Web- und Mikroblog-Seiten, Handy-SMS, Klingeltöne oder Breaking News zu zensieren. Das Amt möchte nirgends mehr die erste Zeile eines populären Volksliedes sehen oder hören. „Hao Yi Duo Mo Li Hua.“ Übersetzt heißt das: “Oh schöner Jasmin.“