Quecksilber
© Keystone / SPLDie Schönheit von Quecksilbertropfen lässt einen leicht vergessen, wie giftig sie sind
Noch immer gelangen grosse Mengen des hochgiftigen Schwermetalls in die Umwelt. Quecksilber ist eines der schädlichsten Umweltgifte. Deshalb gilt seit Dienstag in der EU ein Exportverbot für das Schwermetall. Über eine weltweite Konvention wird bereits verhandelt.

Es glänzt silbrig, bildet wohlgeformte Tropfen und fliesst schneller als Wasser über Oberflächen: Quecksilber, abgeleitet vom altdeutschen Wort «quecksilabar» für lebendiges Silber. Kein Wunder, dass der dreizehnjährige Knabe dessen Leidensgeschichte das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung kürzlich veröffentlichte, fasziniert war von dem Element. Er hatte ein Gefäss mit dem flüssigen Metall auf einer Industriebrache gefunden und wochenlang zu Hause damit gespielt. Nach einiger Zeit klagte er über Rückenschmerzen und Appetitlosigkeit, konnte schliesslich nicht einmal mehr gehen und wurde inkontinent.

Der tragische Einzelfall zeigt drastisch auf, was man seit Jahrzehnten weiss: Quecksilber und seine Verbindungen sind hochgiftig. Trotzdem findet es sich noch in vielen Haushalten. Bis in die 1970er Jahre steckte Quecksilber in jedem Fieberthermometer. Auch in Industrie- und Laborthermometern, Barometern, Batterien und Zahnfüllungen ist es enthalten. Da es für die meisten dieser Anwendungen quecksilberfreie Alternativen gibt, wird die Verwendung des Metalls nun gesetzlich immer mehr eingeschränkt.

Problemstoff Quecksilber
© NZZ-Infografik / mfe
In Norwegen ist der Verkauf aller quecksilberhaltigen Produkte schon seit 2008 verboten, in Schweden seit 2009. In der Schweiz ist das Inverkehrbringen und Verwenden von quecksilberhaltigen Materialien seit 2005 untersagt. Die Liste der Ausnahmen ist hier allerdings lang und umfasst Künstlerfarben ebenso wie Energiesparlampen.

Seit gestern Dienstag gilt in der EU nun ein Exportverbot für Quecksilber und einige seiner Verbindungen. Elena Lymberidi vom Europäischen Umweltbüro in Brüssel kritisiert, das Gesetz unterbinde den Export von quecksilberhaltigen Produkten wie Dentalamalgam nicht. Dennoch ist sie froh über das Inkrafttreten der Verordnung. Die Lieferung von Quecksilber aus der EU, dem bisher weltweit grössten Exporteur des Metalls, habe damit ein Ende.

Die Chlorindustrie denkt um

Bis 2001 wurde Quecksilber im südspanischen Almadén abgebaut, einer der grössten Quecksilberminen weltweit. Seit deren Schliessung stammte das europäische Quecksilber überwiegend aus Altlasten der Chlor-Alkali-Industrie. Diese verabschiedet sich nämlich nach und nach vom sogenannten Amalgamverfahren, bei dem tonnenweise Quecksilber benötigt wird, und rüstet ihre Produktionslinien um.

Beim Amalgamverfahren dient Quecksilber als Kathodenmaterial zur elektrolytischen Herstellung von Chlor und Natronlauge - zwei wichtigen Grundstoffen der chemischen Industrie - aus Kochsalz. Das bei der Elektrolyse gebildete Natrium bildet mit dem Quecksilber ein Amalgam, das in einem separaten Reaktor mit Wasser zu Natronlauge, Wasserstoff und Quecksilber zersetzt wird. Das Quecksilber wird in die Elektrolysezelle zurückgeführt.

Ein Teil des leicht flüchtigen Schwermetalls gelangt bei dem Prozess auch in die Umwelt, über das Abwasser, vor allem aber über die Luft. Mit dem Wind verteilt es sich auf der ganzen Welt. Weil es bei tiefen Temperaturen weniger mobil ist, reichert es sich in den kalten Regionen der Erde an - auch in der Nahrungskette, vor allem in Fischen, in Form des besonders giftigen Methylquecksilbers. Umweltschützer fordern deshalb seit Jahren ein Verbot der Amalgamanlagen, zumal es quecksilberfreie Alternativen gibt: Beim Membranverfahren, das bereits seit 1975 grosstechnisch eingesetzt wird, trennt eine Membran das Natrium vom Chlor.

Der Industrieverband SGCI Chemie Pharma Schweiz unterstützt den Abschied vom Amalgamverfahren. Dafür brauche es aber Zeit und Investitionen, betont Richard Gamma vom SGCI in Zürich. In der Schweiz betreibt nur noch das Chemieunternehmen CABB in Pratteln das Amalgamverfahren, in der EU sind noch über 30 derartige Anlagen in Betrieb. Bis 2020 sollen sie durch quecksilberfreie Prozesse ersetzt werden, so die Selbstverpflichtung der europäischen Chlorhersteller. Mit dem Amalgamverfahren werden zum Teil auch Spezialchemikalien hergestellt. Von diesen Anlagen will sich die Industrie vorerst nicht trennen, da es noch keine alternativen Produktionsverfahren gibt.

Immerhin hat die europäische Chlorindustrie ihre Quecksilberemissionen laut eigenen Angaben mit besseren Filtern seit 1995 schon mehr als halbiert, auf ein knappes Gramm pro Tonne Chlor. Weltweit belasten Chlorhersteller die Luft aber noch immer mit über 160 Tonnen Quecksilber jährlich, heisst es in einer Studie, die vergangenes Jahr in der Fachzeitschrift «Atmospheric Chemistry und Physics» erschienen ist.

Den weitaus grössten anthropogenen Anteil an der Quecksilberbelastung der Umwelt hat laut der Studie allerdings die Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen, allen voran Kohle, die natürlicherweise geringe Mengen des Schwermetalls enthalten (siehe Grafik). Es gelangen so über 800 Tonnen Quecksilber jährlich in die Luft, etwa die Hälfte davon entweicht in Asien aus Kraftwerken ohne moderne Filteranlagen.

Giftige Goldsuche

Bedenklich ist auch die Goldgewinnung in Schwellen- und Entwicklungsländern. Goldsucher vermischen die goldhaltigen Gesteinsstäube oder Schlämme mit flüssigem Quecksilber, denn es bindet das wertvolle Edelmetall. Aus der Gold-Quecksilber-Legierung trennen sie das Quecksilber durch Erhitzen über offener Flamme dann wieder ab - und riskieren dabei ihre Gesundheit. Das Quecksilber verflüchtigt sich; zurück bleibt Rohgold. Etwa 350 Tonnen Quecksilber jährlich gelangen auf diesem Weg in die Atmosphäre, weitere 50 Tonnen jährlich in Flüsse, Seen und Meere.

Hauptverursacher der Quecksilberbelastung in der Umwelt ist aber offenbar nicht der Mensch, sondern die Natur: Vulkanausbrüche, Waldbrände und andere natürliche Prozesse setzen siebzig Prozent der weltweiten Quecksilberemissionen frei (jährlich gut 5200 Tonnen). Allerdings liessen sich anthropogene und natürliche Quellen nicht klar trennen, so die Autoren der Studie. Verbrennen Pflanzen, setzen sie Quecksilber frei, das sie zuvor über Industrieemissionen aufgenommen haben.

Die Schweiz als Zugpferd

Fest steht: Vereinzelte nationale Gesetze können das Quecksilberproblem nicht lösen. Auf Initiative der Schweiz und Norwegens arbeiten die Uno-Staaten daher seit zwei Jahren an einer weltweiten Quecksilberkonvention. Sie soll sämtliche Bereiche der Erzeugung, Verwendung und Freisetzung des Schwermetalls und seiner Produkte umfassen. Mit dem Verlauf der Verhandlungen ist Franz Perrez vom Bundesamt für Umwelt sehr zufrieden. Bei einigen Ländern beobachtet er aber noch Widerstände: Indien dränge immer wieder auf rechtlich unverbindliche Massnahmen. China fürchte kostenintensive Einschränkungen bei Kohlekraftwerken und Chemieprozessen, verhandle aber konstruktiv. Probleme bereite dagegen Brasilien, das sich auch in anderen Umweltverhandlungen aus oft nicht ersichtlichen Gründen querstelle.

Die Konvention soll 2013 unterschriftsreif sein und 2015 in Kraft treten. Japan hat vorgeschlagen, sie «Minamata Convention» zu nennen. Die Chemiefirma Chisso hatte über drei Jahrzehnte lang bis 1968 Methylquecksilber in die Minamata-Bucht geleitet. Ab den 1950er Jahren traten bei den Anwohnern der Küstenregion Gliederschmerzen, Seh- und Sprachstörungen, Lähmungen, Missgeburten und Todesfälle als Folge der Vergiftung auf. Genaue Zahlen zu den Geschädigten gibt es nicht; knapp 2300 Erkrankte sind bis heute offiziell als Opfer des Skandals anerkannt. Die japanische Regierung bearbeitet noch 40 000 Anträge von Betroffenen. Eine rasche Ausgleichszahlung würde ihnen mehr helfen als eine Konvention mit dem Namen ihrer Heimat.
Endlager für Quecksilber

U. Ne. ⋅ Durch die Abkehr der Chlorindustrie vom Amalgamverfahren fallen in Europa in den nächsten Jahren mehrere tausend Tonnen Alt-Quecksilber an. Bisher hat das spanische Unternehmen Mayasa, dem die stillgelegte Quecksilbermine in Almadén gehört, die Überreste der Chemieindustrie aufbereitet und verkauft. Wegen des EU-Exportverbots ist das nun nicht mehr gewinnbringend möglich, darum beschäftigt sich Mayasa mit der Entsorgung des Schwermetalls. Für die Zwischenlagerung von flüssigem Quecksilber hat die Firma einen 50-Tonnen-Edelstahlbehälter entwickelt. Für die Endlagerung soll hingegen flüssiges Quecksilber mit Schwefel, Kies, Sand und Ton in ein steinähnliches Material verwandelt werden, das in der stillgelegten Mine oder in Sondermülldeponien endgelagert wird.

Auch andere Verfestigungsverfahren werden getestet, etwa die Umsetzung mit Kupfer- oder Zinkpulver zu festen Quecksilberlegierungen. Nur eine geringe Menge Quecksilber wird rezykliert, etwa für Energiesparlampen, die wenige Milligramm des Metalls enthalten. Die Leuchten selbst sind allerdings Sondermüll. Das Recycling des darin enthaltenen Quecksilbers lohnt sich wirtschaftlich nicht. Die Energiesparlampen reduzieren die globale Quecksilberbelastung aber trotzdem, denn sie verbrauchen weniger Strom und verringern so den Eintrag aus Kohlekraftwerken in die Umwelt.